Zur Hochzeit ihrer Schwester Rachel kommt die junge Kym (Anne Hathaway) aus der Entzugsklinik. Die allgemeine Freude ist groß, wird aber schnell überschattet – schwierige Verhältnisse untereinander, Kyms unangepasstes Verhalten und immer wieder bloßgelegte Konflikte sorgen für zahlreiche Konfrontationen...
Mit „Rachels Hochzeit“ sahnte Anne Hathaway ihre erste Oscarnominierung ab und bewies nach ihrer „Plötzlich Prinzessin“-Phase, dass sie auch als seriöse Charakterdarstellerin ernstgenommen werden konnte. Ihre Kym ist ein ungeheuer vielschichtiger Charakter, die mit einer schweren Schuld durchs Leben taumelt, immer wieder von den Dämonen ihrer Vergangenheit eingeholt wird und doch auf ihre ganz eigene Weise einen Weg nach vorne findet. Dass sie dabei nicht zur uneingeschränkten Sympathieträgerin wird – zu stark ist ihr Hang zur Selbstdarstellung ausgeprägt, zu herausfordernd ihre Art, ständig unpassende Dinge zu sagen – macht den Film ein Stück weit anstrengender, verleiht dem Ganzen aber eine starke realistische Note. Hier werden die Menschen in all ihren Widersprüchlichkeiten, Schwächen und Stärken, guten und schlechten Seiten gezeigt. So bleibt das schwierige Schwesternverhältnis trotz ständiger Streitereien im Kern doch von tiefer Zuneigung und Zusammenhalt geprägt, und die Frage nach der Verantwortung für lebensverändernde Ereignisse wird ebenfalls sehr vielschichtig und komplex thematisiert.
Das alles wird neben dem superben Cast von einer formalen Inszenierung getragen, die ganz nah dran an den Charakteren bleibt – und das wortwörtlich. Die agile Handkamera (vielleicht mitunter etwas zu betont unruhig und dadurch prätentiös) folgt den Agierenden dichtauf, gleitet schwerelos durch die Räume, fängt vieles beinahe wie zufällig ein und bietet nicht immer die perfekten Bildausschnitte, wodurch eine gewisse Nähe zu altmodischer Heimvideo-Ästhetik entsteht. Zusammen mit dem beinahe vollständigen Verzicht auf einen untermalenden Score erreicht der Film so eine sehr naturalistische Atmosphäre, die nicht ganz an die Radikalität des Dogma 95-Manifests herankommt, aber spürbar davon inspiriert wirkt. Wie notwendig das letztendlich für die Erzählung ist, sei dahingestellt – wie gesagt wirken manche Passagen dann doch arg bemüht – aber für eine frische visuelle Umsetzung im amerikanischen Independent-Kino der ausgehenden 2000er sorgt das auf jeden Fall.
Das Hauptaugenmerk bleibt aber auf der Geschichte und den Charakteren haften, und das ist auch gut so. Dramaturgisch nimmt sich „Rachels Hochzeit“ bis auf wenige dramatische Höhepunkte (ein drastisch eskalierender Streit mit der Mutter etwa) angenehm zurück, weicht Genre-Klischees aus und lässt Handlungsfäden auf kluge Weise halb offen – so entwickelt sich zwar eine zarte Romanze zwischen Kym und dem Trauzeugen des Bräutigams, den sie bei einem AA-Treffen kennenlernt, doch bleibt es bei diesem ersten Kennenlernen mit Hoffnung auf mehr. Auch werden nicht alle Konflikte endgültig aus der Welt geschafft – ganz im Gegenteil zeigt der Film immer wieder, wie offen ausbrechende Streitereien auch wieder erstickt werden, um den Frieden zu wahren, auch wenn der Preis dafür ist, sich nicht richtig aussprechen zu können. Insgesamt erweist sich „Rachels Hochzeit“ als enorm dialoglastiger Film, der allerdings durch eine flotte Schnittfrequenz und die quirligen Charaktere beinahe durchgehend unterhaltsam und dank der nur nach und nach preisgegebenen Altlasten der Vergangenheit spannend bleibt. Einzig die Hochzeit hätte vielleicht etwas weniger ausführlich geschildert werden können, auch wenn hier natürlich vieles begründet liegt, das zu der einen oder anderen Versöhnung beiträgt.
„Rachels Hochzeit“ ist im besten Sinne klassisches Autoren- und Darstellendenkino, das mit komplexen Charakteren, einer packenden Geschichte sowie zurückhaltender Inszenierung zu überzeugen weiß. Das intensive, naturalistische Spiel sämtlicher Agierenden lässt einen sehr schnell mit den Figuren mitfiebern. Und für Filmnerds gibt es noch einen netten Gastauftritt der Genre-Legende Roger Corman. Im Grunde also für alle etwas dabei.