Review

Nick und Norah, was für eine Freude, euch zu sehen.
Es ist schon ein bißchen Offenbarung, im Zeitalter des konfektionierten Teenager- und High Schoolfilms ein Produkt in die Finger zu bekommen, daß bewußt und gewollt ein wenig gegen den Strom schwimmt.
Natürlich hat es schon immer Filme gegeben, die die Formel auf ihre Art so weit oder so wenig modifizierten, um der Zielgruppe ein leises Aha-Erlebnis zu verschaffen und das waren dann auch regelmäßig gleich Blockbuster oder Überraschungserfolge – aber hier ist den Machern ein kleines Juwel gelungen, ohne mit dem spröde erhobenen Zeigefinger daherzukommen oder die gewöhnlichen Elemente einfach neu zu gewichten.

„Nick and Norahs Infinite Playlist“ ist, obwohl er eine gewöhnliche Liebesgeschichte erzählt, so etwas wie der Antichrist unter den Teenagerfilmen, denn er liegt in Plot und Erzählweise immer so herzerfrischend leicht neben der bekannten Spur, das man fast das Gefühl bekommt, etwas völlig Neues zu sehen.
Dabei ist die Handlung in einem Satz zusammen zu fassen: ein Verlassener und eine Einsame, beide extrem unterschiedlich treiben durch eine lange Nacht in der Stadt, reden, streiten und verlieben sich schließlich – die simpelste Versuchsanordnung, seit die Gebrüder Lumiere ihren Apparat konstruiert haben.

Aber diese einfache Geschichte auf neue Art zu erzählen, das bedingt schon eine frische kreative Brise, die wohl nicht zuletzt auch in der literarischen Vorlage zu suchen ist, die aber wohl selbst hier für stark abgeändert wurde.
Michael Cera, bekannt als niedlicher Tropf und werdender Vater in „Juno“ ist der sitzen gelassene Nick, der immer noch für seine (von ihm unbemerkt untreue) Verflossene Mix-CDs brennt, die diese sofort wegwirft, um von einer Mitschülerin aufgegriffen zu werden, die auf die Zusammenstellung unwahrscheinlich abfährt. Und genau diese Menschen treffen nun eines Nachts zusammen – und sind doch ganz anders, als sie es erwarten konnten. Denn Norah ist weder das absolute Traummädel, noch ein verwuscheltes Mäuschen, sondern eher eine spröde, kuriose Schönheit, selbständig und auch wieder nicht, individuell und doch in einigen Punkten unabhängig, mit einem berühmten Vater versehen, aber dennoch deshalb eher geachtet als geliebt.

Wer wäre momentan für eine solche Rolle besser geeignet als Kat Dennings, das derzeitige It-Girls des Teenagerfilms, die mit Schlafzimmerblick und breiten vollen Lippen prädestiniert ist für die Mädchen, die nicht Models sind, aber genau so ungewöhnlich, reizvoll und unabhängig, wie Männer sie sich wünschen, wenn sie nicht selbst nach Castingshow aussehen.

Das Zusammentreffen läuft dann auch anders als gewohnt: er will Infos über seine Ex, sie ist von dem Anblick nicht sonderlich begeistert und beide müssen erst einsehen, daß sie zu sich selbst stehen müssen, um den jeweils Anderen als akzeptable bessere Hälfte ansehen zu können.
Bis es soweit ist, entspannt sich ein One-Night-Stand-and-Drive-Road-Movie, das genau das vermeidet, was man in der nächsten Szene erwarten könnte. Klar, Nick ist Musiker, aber er spielt nur (den langweiligen) Bass; er hat Musikgeschmack, sieht aber aus wie Putzi; sie ist herb-schön, versteckt es aber lieber, weil sie um ihrer selbst geliebt werden will; er hat dolle Musikerkumpels, die sind aber nicht stark und laut und doof/peinlich, sondern samt und sonders schwul, unternehmungslustig und mit genau dem Lebensmut ausgestattet, den sich die Protagonisten noch erarbeiten müssen.
Dazu kommt das biestige Ex-Liebchen, das lieber die Kontrolle hat, auch nach der Trennung, statt ihr Schoßhündchen endlich loszuwerden, doch auch dieser Handlungsstrang kulminiert nicht erst im Finale, sondern die Gute/Böse wird schon nach zwei Dritteln am Hafen stehen gelassen.
Finde dich selbst – heißt das Programm – dann findest du auch den „Anderen“ und zögernd und zaudernd lassen die Figuren es zu, daß der jeweils Andere ihm/ihr hilft. Sie offenbart ihm einen Ort seiner Träume – er verschafft ihr das, was sie zudem zurück setzt, den ersten Orgasmus.
Und nicht mal dieses Versatzstück, die obligatorische Sexszene, ist im Bild zu sehen, stattdessen konzentriert sich Peter Sollett auf den Soundtrack dieser Szene, streicht über das ganze Equipment eines Musikstudios, während die realistischste und zögernst unsicherste Sexszene (übrigens in vollen Klamotten) im Off ihren Laut nimmt – und man die Intensität des weiblichen Orgasmus am Ausschlag eines Verstärkers ablesen kann.

Sicher, so setzt sich der Film zwischen die Stühle jeder Erwartungshaltung, spröde, humorvoll und selten konventionell, aber selbst die Zielgruppe ist nicht genau definiert, denn die Figuren sind längst selbständig, Erwachsene, gerade über die 20, aber von Schule wird nur geredet, man ist bereits einen Schritt weiter und gefühlsmäßig dennoch zwei Schritte zurück – John Cusack konnte in „High Fidelity“ ein Lied darüber singen und war über eine Dekade älter.

Natürlich gibt es ein paar kleine Konzessionen, z.B. in der Figur der stockbesoffenen Caroline, die ihre eigene Deliriumsodyssee durchleben muß, begleitet nur von ihrem Kaugummi, der, vermutlich in einem der ekligsten Handlungsstränge seit Jahren, selbst nach dem Fall in eine vollgekotzte Toilette noch von mehreren Leuten weiterbenutzt wird. Ja, doch – wir sind hier alle ein wenig anders.

„Soundtrack einer Nacht“ ist ein Film über zwei Menschen (oder mehr), die ständig in Bewegung sind, die auf der Suche sind: nach einer Band, einer Location, einem Konzert, dabei haben sie mehr Musik bei sich oder in sich, als sie brauchen. Sie gehen, sie rasten, sie reden, sie gehen weiter, alles fließt – der Weg ist das Ziel, das Ziel ist man selbst.
Heraus kommt dabei ein wunderbarer Film, der seine charmanteste Anlehnung im Titel trägt („Nick und Norah“ sind natürlich eine Anspielung auf das ewig verliebte Detektivehepaar Nick und Norah Charles aus den „Dünner-Mann-Filmen“ der 30er Jahre) und der sein Publikum mitnimmt und es auf die Probe stellt – ob man nicht selbst schon einmal in einer der vielen Situationen war und wie man sich dann verhalten hat. Der sich eine gewisse Natürlichkeit und Herzlichkeit bewahrt hat, ein bißchen (wenn auch nicht viel) Indie-Anspruch und viele amüsante Ereignisse und Begegnungen in der Stadt, die niemals schläft. Was sollte Kino mehr brauchen für so etwas als ein Publikum, das dafür dankbar ist. (9/10)

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