Review

Goldene Lettern über blauschwarzem Meeresgrund. Ein Taucher tastet sich an mystischer Architektur entlang. Ein Auge umrahmt einen geheimnisvollen Abgrund. Unerklärliche Artefakte erscheinen in der Tiefe. Da gerät eine anmutige Schönheit ins Blickfeld. Ihr von wabernden Strähnen umrahmtes Gesicht zieht den Forscher in seinen Bann. Ihre Augen saugen ihn auf. Ein forderndes Lächeln umspielt die Lippen, als sie sich den seinen nähern. Ein plötzlicher Bruch. Die verzerrte Fratze der Nixe (Macarena Gómez) schießt auf Paul (Ezra Godden) zu. Als er auf der Yacht ihrer Freunde aus dem Albtraum erwacht, hält er seine Freundin Barbara (Raquel Meroño) in seinen Armen.

Für Regisseur Stuart Gordon ist DAGON ein Herzensprojekt. Nach dem großen Erfolg mit der Lovercraft Verfilmung RE-ANIMATOR sollte ein Nachfolger anschließen, der sich ebenfalls an der Feder des Horrorautoren orientiert. Als das Team jedoch nach Italien aufbrach, um auf dem neu erworbenen Studiogelände des Produzenten Charles Band gleich zwei Filme zu verwirklichen, war von dieser Geschichte keine Rede mehr. Band war nicht sehr begeistert von der Aussicht auf Fischmonster, weshalb Dennis Paoli und Stuart Gordon FROM BEYOND erdachten. Als Beiprodukt enstand bei dem Dreh der Film DOLLS. Es sollten noch 15 Jahre ins Land ziehen, bis Stuart Gordon das DAGON Script schließlich doch noch für den Produzenten Brian Yuzna umsetzen durfte.
Gordons Handschrift ist hierbei unverkennbar. Während die Figurenzeichnung typisch abläuft, so gab es in diesem Fall mehr als nur eine Kurzgeschichte als Vorlage. THE SHADOWS OVER INNSMOUTH, H.P. Lovercrafts einzige zu Lebzeiten als Buch veröffentlichte Erzählung, war aufgrund der Länge vom WEIRD TALES Redakteur Farnsworth Wright abgelehnt worden, da er die dichte Atmosphäre nicht durch das Aufteilen über mehrere Hefte zerstören wollte. Die von Irvin S. Cobbs FISHHEAD und Algernon Blackwoods ANCIENT SORCERIES beeinflußte Story greift die bereits in der eher den Namen spendenden Kurzgeschichte DAGON angedeutete Rasse der Deep Ones auf. Während bei Lovecraft allerdings die in Massachusetts gelegene Küstenstadt Newburyport Vorbild für Innsmouth war, verlegt Stuart Gordon die Lokalität an den Drehort Spanien. Der Name Imboca (Spanisch: "Im Mund") ist hierbei eine konsequente Übersetzung.

In Stuart Gordons Abwandlung der Geschichte in die Gegenwart befinden sich Paul und Barbara auf der Yacht ihrer Freunde Howard (Brendan Price) und Vicki (Birgit Bofarull). Aus der Ferne hallende Choräle bilden den Auftakt für einen Schiffbruch im Verlauf eines Unwetters. Die verletzten Kameraden zurück lassend führt die Seenot das Pärchen in das verlassen wirkende Städtchen, wo sie von einem Priester empfangen werden.
Allein schon durch ihre Kleidung stechen Paul und Barbara aus dem vorherrschenden tristen Grau als Fremdkörper heraus. Barbara trägt eine neonfarbene Jacke, Paul ein knallig-orangenens Sweatshirt mit der Aufschrift "Miskatonic". Hierbei handelt es sich um eine sich durch die Filme ziehende Anspielung auf die Miskatonic University aus dem fiktiven Ort Arkham, die erstmals in der Geschichte HERBERT WEST - REANIMATOR erwähnt worden ist.
Im Zuge eines Rettungsversuchs nun sowohl von den unauffindbaren Freunden als auch Barbara getrennt offenbart Paul am Schauspieler Harold Lloyd orientierte Manierismen. Während eigentlich nur die in RE-ANIMATOR und FROM BEYOND stets präsente Musik von Richard Band zu fehlen scheint, umschleicht das Verderben eine Figur, deren Handlungen sie tappsig durch die vom geheimnisvollen Esotérica Orde De Dagon beherrschten Ortschaft taumeln lassen. Die ohnehin schon surreale Grundstimmung wird durchzogen von Pauls Traumbildern, die sich zunehmend als Vorsehungen herausstellen.

Statt der Musik umrahmt das Geschehen eine omnipräsente Soundkulisse des plätschernden Regens und des Singsangs, aus dem sich die Phrase "Iä! Iä! Cthulhu fhtagn!" herauskristallisiert wie schmatzende Laute zunehmen, je mehr fischige Züge die Einwohner preisgeben.
Der alte Trunkenbold Ezequiel (Francisco Rabal) ist es, der Paul schützend zur Seite nimmt und ihn in gebrochenem Englisch über die Geschichte des Dagonkultes aufklärt. Ezequiel übernimmt dabei die Rolle von Zadok Allen aus THE SHADOWS OVER INNSMOUTH.
Nachdem Paul bereits schockiert zu den grausamen Geheimnissen von Imboca vorgedrungen ist, erfährt er nun vom schrecklichen Schicksal der Stadt, deren Fischer einst mit ausbleibenden Fängen zu kämpfen hatten. Alles Beten nützte nichts, bis ein Mann mit dem Sturz der Kirche die Netze mit Fischen und goldenen Gegenständen füllte. Als Anführer der gestifteten Religion trägt er eine goldene Kappe, die in Form eines Fischkopfes an die Mitra erinnert, einem dem Christentum zugeordneten liturgischen Kopfputz. Somit erzählen die Bilder nicht nur davon, wie in der Not einem Menschenopfer fordernden Götzen der Vorzug gegeben wird. Sie berichten auch davon, wie Riten und Motive adaptiert werden, was in der Ausbreitung des christlichen Glaubens ebenso geschehen ist.
Um Details ist Stuart Gordon durchaus bemüht. So wird der nach einem Propheten benannte Ezequiel Komplize bei einem Fluchtversuch im einzigen Fahrzeug des Ortes. Hierbei handelt es sich um einen Citroën DS 23 Pallas, dessen Spitzname "Hai" abgeleitet von der Form die maritimen Bezüge aufgreift. Viele Namen haben außerdem direkte Bezüge zu Lovecrafts Werk.

Deutlicher hätte Gordon den Grund dafür erklären können, dass die Bewohner der Küstenstadt unterschiedlich ausgeprägte Mutationen aufweisen, die auf ein Opfer zurückzuführen sind, welches die Deep Ones in THE SHADOWS OVER INNSMOUTH ebenfalls einfordern. Hierbei handelt es sich um Kreuzungen mit den Menschen, die sich im Verlaufe ihres Lebens zu untsterblichen Fischwesen verwandeln und sich dann an den Meeresgrund zurückziehen.
Was einen Film wie DAGON schließlich ausbremst ist vor allem das knappe Budget. Zwar ist Stuart Gordon in seiner gesamten Karriere an erdrückende Produktionsbedingungen gebunden gewesen, jedoch ist auch ein Fachmann abhängig von seinem Werkzeug. Auffällig werden an dieser Stelle wenige Szenen, die von der CGI-Technik dominiert sind. Eine Einstellung aus dem Wasser heraus auf den Boden der Yacht wäre hierbei vermeidbarer gewesen als übermütige Monsterdarstellungen. Gemeinsam ist den Bildern, daß die weichgezeichnete Computergrafik sichtlich aus dem Gesamtbild hervorsticht, bei dem Fischmutationen in der Regel durch klassische Masken und Applikationen dargestellt werden. Mildernd muß hervorgehoben werden, daß die Effekte nicht ihrer selbst willen zum Einsatz kommen, sondern klar der Erzählung untergeordnet sind.

Dort verbirgt sich auch die Stärke des vornehmlich per Handkamera aufgenommenen Films, dessen Zugänglichkeit nicht der in der Exposition nahegelegten Leichtigkeit des Slasher-Sujets entspricht. Stuart Gordon vermag humoreske Elemente gegen erschütternde Bilder zu stellen, in denen plötzlich abgezogene Häute die blutige, an die Xenobiten aus HELLRAISER erinnernde Realität der Gesellschaft belegen, in der die Hauptfigur gestrandet ist.
So trifft in diesem Film das Alte auf das Neue. Stuart Gordon übersetzt die Erzählformen Lovecrafts in das Jetzt. Ezra Godden erinnert nicht von Ungefähr an die Art, wie Jeffrey Combs die Rolle des Pauls vermutlich bekleidet hätte, weil Gordon 1985 wahrscheinlich an eine Besetzung durch Combs gedacht hat. Macarena Gómez wirkt ein wenig wie Barbara Steele und schließt so eine optische Brücke zu den Gothic Horror Akzenten, die besonders von den starken Kulissen ausgehen. Mit dem Abspann nimmt man Abschied von der Schauspiellegende Francisco Rabal, der DAGONS Uraufführung nicht mehr miterleben durfte.
Auch wenn das ursprüngliche Drehbuch mit einem Setting in New England deutlich näher an der Vorlage orientiert gewesen ist, so bemerkt man doch das Gespür für die vermittelte Stimmung.

DAGON stellt sich als sehr personenbezogener Horror dar, weil der Zuschauer aus dem einleitenden Albtraum heraus immer der Perspektive Pauls folgt. So muß die mit amerikanischer Sorglosigkeit anlandende Figur eine nahezu elementare Bedrohung durchleben, die dem Menschen in der Gegenwart kaum noch bewußt ist. Wann wird heute schon ein abgründiger Schlund spürbar, der eine Person wie einen Spielball seinem Schicksal ausgeliefert in sein Innerstes reißt?
Umso einschneidender wirkt der behäbig an Pauls Verstand mahlende Strudel von der Manifestation des Schrecklichen bis zur unaufhaltbaren Assimilierung in dessen Mitte. DAGON erinnert uns an das Unerforschte und an die Demut, die dem Menschen bei aller Selbstverwirklichung abhanden gekommen ist.

Details
Ähnliche Filme