Spoilerwarnung
Bereits mit dem Zombie-Ulk RE-ANIMATOR erwiesen sich Stuart Gordon und Brian Yuzna als Experten für relativ werktreue, gleichzeitig aber auch ziemlich ruppige Lovecraft-Adaptionen. Während H. P. Lovecraft in seinen Erzählungen mit Sex und Gewalt sehr behutsam umgeht (was wohl auch an der Entstehungszeit in den 20er und 30 Jahren liegen mag), hat es das Horror-Genre spätestens seit der Zombie- und Kannibalen-Welle nicht mehr nötig, sich in vornehmer Zurückhaltung zu üben.
Entsprechend wird in DAGON der Rückfall des aufgeklärten Menschen in barbarische Verhaltensmuster um einiges direkter thematisiert als in der Erzählung THE SHADOW OVER INNSMOUTH (1936), die dem vorliegenden Film offenkundiger als Inspirationsquelle diente als die 1923 erschienene gleichnamige Kurzgeschichte (zu finden in der Anthologie "Stadt ohne Namen" bei Suhrkamp).
Der Verfall der Zivilisation zeigt sich im Film auf mehreren Ebenen: Zunächst wenden sich die Bewohner eines kleinen spanischen Fischerdorfes von Gott ab, um fortan Dagon zu huldigen. Dieser ist ähnlich wie Baal ein von der Bibel dämonisierter orgiastischer Gegenspieler Jahwes, der hier als unangenehm Verdrängtes wiederkehrt und den Dörflern Gold und Fische beschehrt, dafür aber Menschenopfer fordert. Die Sitten verfallen (schließlich werden die geopferten Frauen von Dagon vergewaltigt), das Dorf ebenfalls und die Bewohner mutieren zu Fischgesichtern.
Diese Vorgeschichte offenbahrt sich jedoch erst in der Mitte des Films als Rückblende und entsprechend ist die Hauptfigur Paul, den es samt Freundin als Schiffbrüchigen nach Imboca verschlägt, mit der Situation zunächst hoffnungslos überfordert. Allerdings macht der Traum zu Beginn des Films bereits seine regressive Tendenz klar: die Vorstellung, auf dem Grund des Meeres mit einer unheimlichen Nixe in einen goldgeschmückten Tunnel hinabzutauchen, erschreckt ihn zunächst, doch im Verlauf des Filmes wird sich der zunächst wissenschaftlich (binär) denkende Paul seiner Triebhaftigkeit bewusst werden und tatsächlich ein neues Leben im Meer beginnen. Als Amerikaner spanischer Abstammung verschlägt es ihn zurück zu seinen Wurzeln in der Alten Welt, wo er die wahren Umstände seiner Abstammung erfährt (seine Mutter war ein Opfer Dagons) und schließlich dem inzestuösen Verlangen nach einer Vereinigung mit seiner Schwester (der Nixe, ebenfalls ein Kind Dagons) nachgibt.
Über weite Strecken gestaltet sich Gordons Film als spannende Flucht des Protagonisten vor seiner eigenen Kreatürlichkeit bzw. den mitunter recht unheimlichen mutierten Bewohnern des Dorfes, die niemals zu blinzeln scheinen, in verdreckten Gassen herumkriechen und Kiemen, Schwimmhäute und Tentakel besitzen. Obendrein erhält man Einblick in die grausigen Riten der Dagon-Sektierer, die ihren Opfern die Gesichtshaut abziehen, um diese in bester Leatherface-Manier selber zu tragen (die deutsche Verleihfassung wurde hier um die härtesten Momente erleichtert, was zwar prinzipiell nicht gutzuheißen ist, den Gesamteindruck des Films aber nicht zerstört).
Das Genre wird in diesem soliden B-Movie zwar nicht neu erfunden, aber durch die Verknüpfung des eher angestaubten Inzest-Motivs mit moderner Splatterästhetik und mythischem Schrecken, der sich vor allem im Kauderwelsch der Beschwörung "iä, iä, Cthulhu Ftaghn!" ausdrückt, kann DAGON zu den gelungenen Lovecraft-Verfilmungen gezählt werden.