Ganz oben stehen, bald! Schritt für Schritt bergauf, immer im Rhythmus. Noch sind es viele Schritte bis dahin. Tautropfen glitzern im Gras und an den Nadeln der Bergkiefern, die sich an die steilen Hänge schmiegen. Die Morgensonne treibt die letzten Nebelschwaden aus dem Tal.
Von unten dringen die ersten leisen Geräusche der hektischen Betriebsamkeit der Arbeitswelt herauf. Vom ewig rotierenden Hamsterrad, das uns auszehrt und irgendwann ausspuckt. Aber das ist gerade weit weit weg. All das Getue und Gerenne da unten erscheint sehr klein und sehr nebensächlich, ja fast unwirklich.
Oben leuchtet und lockt der helle Fels, hebt sich ab gegen das tiefe Blau des Berghimmels. Gleichmäßige und tiefe Atemzüge in der kühlen und klaren Morgenluft, im Takt mit dem Knirschen der Schritte in Fels und Geröll. Und es geht stetig und sicher voran, immer dem Gipfel entgegen.
So oder so ähnlich empfinden Leute, die gelernt haben, unsere Welt anders zu sehen. Die gewohnt sind, die Dinge des Lebens von Zeit zu Zeit von oben zu betrachten, aus der Perspektive des Adlers. Die Ruhe und Unberührtheit der Bergwelt zu genießen. Dem Himmel, oder wenn man so will, dem Weltall näher zu sein als viele Andere auf diesem Planeten. Mit großem Abstand zu Hast und Hektik.
Das ist die Sonnenseite dieses Filmes, in dem ein weltberühmter Berg in den Alpen die Hauptrolle spielt: Der Eiger, genauer gesagt die Nordwand. Das ist die mehr als 1000 Meter hohe und nahezu senkrecht aufragende Nordseite dieses Berges. Diese Wand ist sehr schwierig zu klettern, berühmt und berüchtigt bei allen Freunden des hochalpinen Felskletterns.
Die Handlung spielt in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Bis zu dieser Zeit war es niemand gelungen, den Eiger auf einer Route durch die Nordwand zu erklimmen. Viele hatten es versucht, einige sind umgekehrt, manche dabei gestorben.
Der manische Nationalismus in dieser Zeit (vor allem in Deutschland) forderte von seinen jungen Männern die Erstbesteigung, um allen anderen die Überlegenheit der Nation zu veranschaulichen. Man brauchte Helden, koste es was es wolle. Dies, obwohl damals weder genug Wissen und Können und auch keine zuverlässige Ausrüstung verfügbar waren. All das machte den Aufstieg an der Nordwand zu einem unkalkulierbaren Risiko, einem Himmelfahrtskommando.
Selbst die mit allen topographischen Gegebenheiten vertrauten einheimischen Bergsteiger machten deshalb zu dieser Zeit einen großen Bogen um die Nordwand.
Zwei junge Deutsche, die sich schon durch einige Gipfelerfolge einen Namen gemacht hatten, nehmen sich nach einigem Hin und Her die Erstbesteigung zum Ziel. Motiviert und unterstützt durch sensationsgierige Presseleute „greifen“ ( :-/) sie den Berg an. Zur gleichen Zeit sind auch Bergsteiger anderer Nationen vor Ort, was zu einem eher hinderlichen und unsinnigen Wettbewerb um den Gipfel führt. Aus diesem Zusammenhang entwickelt sich ein hochspannendes und perfekt gemachtes Bergsteiger Epos, das wirklich sehenswert ist, auch für „Flachlandtiroler“.
Schauspieler der ersten Garnitur des Deutschen Filmes prägen dieses Werk, allen voran Benno Fürmann als der führende Bergsteiger. Schon unglaublich, wie intensiv und erschreckend real er die Gefühlswelt dieses jungen Gipfelstürmers darstellt. Perfekt inszeniert ist dessen Hin- und Hergerissensein zwischen Ehrgeiz, gesunder Vorsicht und dem Drang nach Ruhm.
Ulrich Tukur glänzt wie immer, hier in seiner Rolle als skrupelloser Zeitungsmann. Verblüffend, wie leicht ihm das fällt, wie echt er dabei wirkt. Und unbedingt erwähnt werden müssen Johanna Wokalek und Florian Lukas. Johanna stellt die junge Freundin der Beiden dar, mit Hingabe agierend und sehr gefühlvoll. Florian ist der zweite der beiden Alpinisten, ein draufgängerischer Leichtfuß.
Naturgemäß stehen die Nordwand, der Eiger, und damit die Jungfrau Region im Mittelpunkt der faszinierenden Landschaftsaufnahmen. Absolut erstklassig und mit feinem Sinn fürs Detail gedreht sind die Phasen in der Wand. Man muß sich fragen, wie das möglich gemacht werden konnte.
Für mich besonders erhellend sind die bezaubernden Szenen mit den Menschen im Hotel am Fuße der Nordwand. Wirklich berückend ist die feinfühlige Interpretation der Charaktere dieser Zeit, mit Allem was die Menschen damals bewegt hat. Und einfach nur umwerfend die gediegene und heimelige Gestaltung des Ambientes im Hotel. Gut, daß es in der Jungfrau Region auch heutzutage exzellente Häuser gibt, die Glanz und Glamour dieser Zeit bewahren.
„Nordwand“ ist ein Film, den man als Freund der Bergwelt und des anspruchsvollen Kinos unbedingt gesehen haben muß. Fein gesetzte dramaturgische Höhepunkte, professionell mit viel Emotion interpretiert von erstklassigen Akteuren. Und unvergeßliche Bilder geben der Welt der damaligen Zeit ein faszinierend reales Gesicht.