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Der Bergfilm kann durchaus als deutsche Erfindung gesehen werden, für den Vertreter wie der hochgewachsene Alpenländer Luis Trenker und die umstrittene Regisseurin Leni Riefenstahl stehen. Der Berg mit seiner majestätischen Höhe, die Herausforderung ihn zu bezwingen, aber auch die naiv bezaubernde Landschaft boten immer wieder reichlichen, filmischen Stoff. Zwar legte auch Hollywood seit den 90er Jahren mit Filmen wie Cliffhanger oder Vertical Limit in dieser alpinen Sparte nach. Doch stand hier mehr das waffenstrotzende Duell zwischen Held und Schurke vor atemberaubender Kulisse im Mittelpunkt, als der Kampf des einfachen Mannes gegen die Natur. Der alten Heimat- und Dramatradition hat sich Nordwand verschrieben. Für dessen Umsetzung zeichnet sich der Starvideoclipregisseur Philipp Stölzl verantwortlich.  

Die Geschichte, die auf einer wahren Begebenheit beruht, spielt in der gefürchteten und legendenumwobenen Eiger Nordwand. Die olympischen Sommerspiele von Berlin 1936 stehen kurz bevor und da sollte es doch gut passen, wenn zwei tapfere und stolze, deutsche Bergsteiger die Bezwinger des „letzten Problems der Westalpen“ werden könnten. Der parteitreue Reporter der Berliner Zeitung Henry Arau (Ulrich Tukur mit schön schnarrender und befehlsmäßiger Stimme) nimmt sich die schüchterne Journalistin Luise (Johanna Wokalek) zur Seite, da sie genau solche Teufelskerle zu kennen meint und reist mit ihr an den Fuß des Eigers. Dort machen sich gerade die beiden Gebirgsjäger Toni Kurz (Benno Fürmann) und Andi Hinterstoisser (Florian Lukas) für ihren Aufstieg bereit. Üblicherweise fristen sie ihr Dasein in einer Gebirgsjägerkaserne in Berchtesgaden und haben dort Pissrinnen zu putzen. Luise kennt Toni aus früheren Tagen und war seine große Jugendliebe. Während sie es sich mit ihrem Vorgesetzten in einer noblen Pension gemütlich macht, um über das Großereignis zu berichten, beginnen die beiden Kletterasse mit dem beschwerlichen Aufstieg. 

Um es gleich vorwegzunehmen, es wird kein Happy End geben. Für die Verfilmung des Eigermythos hat man sich nicht die Erfolgsgeschichte der Erstbesteigung der Nordwand aus dem Jahr 1938 genommen. Den tragischen Reiz bezieht diese Geschichte aus dem Scheitern eines Gipfelsturms vor fesselnder Kulisse. Als Zuschauer fiebert man jede Sekunde mit, die die Protagonisten im eisigen Felsmassiv verbringen müssen. Der Schneesturm peitscht um die Kamera, die auch nicht müde wird, den gähnenden Abgrund im Panoramaformat zu zeigen. Stölzl schafft es bravourös, die physikalischen Kräfte, die sich in dieser Höhe entladen, fühlbar zu machen. Der Mensch, der ansonsten auf Meeresspiegelhöhe so souverän wirkt, wird an diesem unwirtlichen Ort zum winzigen Spielball der Natur. Besonders ergreifend sind dann auch die Momente, in denen Toni von seinem Biwak im Fels auf den kleinen Ort am Fuß des Berges blickt, in dem vereinzelt die Fenster erleuchtet sind. So nah und doch so fern, möchte man denken. Auch wunderbar anzuschauen sind die Aufnahmen der Landschaft am Tag, bei strahlendem Sonnenschein. Wohl wissend, dass innerhalb von Minuten diese Pracht durch dunkle Wolken wieder verhangen sein kann. Die Wetterumschwünge sind für den Bergsteiger am gefürchtetsten.

Neben dem Natur- und Abenteuerfilm wird auch die Kritik an einem System deutlich, das Helden um jeden Preis, auch um den Preis des tödlichen Versagens, will. Sehr zynisch äußert sich hierbei der Reporter Arau, der lieber von einem tragischen, als einem geglückten Rückzug vom Berg berichten will. Sicherlich ist dieses Denken dem Sensationsjournalismus, auch und besonders in der heutigen Zeit, nicht fremd. Der naive und bescheidene Bergsteiger, der sich selbst überwinden will, wird von einer Macht instrumentalisiert, die mit dem Berg nur symbolische Höhe zu verbinden mag.

Leider wirkt der Film an vielen Stellen inhaltlich zu flach. Die Figuren sind recht eindimensional gezeichnet und die Erzählweise entspinnt sich wie an einem linearen Faden, ohne besondere, dramaturgische Brüche. So wird die letzte halbe Stunde etwas zu sehr in die Länge gezogen. Dennoch ist Nordwand unterhaltsames und vor allem atmosphärisches Kino, das den Bergfilm zu neuem Leben erweckt. „Der Berg ruft!“

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