Wenn es je eine Franchise, eine Filmserie nicht gegeben hat, um die es wirklich schade war, dann ist das meiner Meinung nach "Young Sherlock Holmes", der bei uns mit dem kindersicheren Titel "Das Geheimnis des verborgenen Tempels" entstellt wurde.
Dahinter steckte eine großartige Idee, nämlich die Jugendabenteuer von Holmes und Watson in Filmform für die ganze Familie in Szene zu setzen. Arthur Conan Doyle hat natürlich nichts dergleichen berichtet, aber die Freiheit, die sich die Spielberg-Factory nahm, war so sorgfältig mit der jahrhundertalten Vorlage abgestimmt, daß man schon fast von Ehrenbezeugung reden muß.
Doch der finanzielle Erfolg blieb aus und so gab es nie mehr als nur das erste Zusammentreffen von Holmes und Watson. Das jedoch ist so üppig mit orginal Holmes-Bezügen ausgestattet, daß es eigentlich gar nicht auf die fehlenden Fortsetzungen ankommt.
Holmes brillianter, wenn auch aroganter Kopf ist schon in großer, wenn auch noch nicht großartiger Form. Watson ist noch schüchtern und ängstlich, die perfekte Identifikationsfigur für Kinder. Nacheinander sollte der Film all die Elemente bedienen, die man sich von dem großen Detektiv verspricht. Der karierte Mantel, die Deerstalkermütze, die Pfeife, das zeitlebende Fehlen von Romanzen, ja jeglicher Damenverbindung, Inspektor Lestrade, ja selbst Moriarty als Erzfeind tauchen hier nach und nach in der Szenerie auf.
Unter Barry Levinsons behutsamer Regie entfaltet sich ein winterliches Studiolondon des vergangenen 19.Jahrhunderts und Holmes und Watson stolpern in ihren ersten Fall, als eine geheimnisvolle Sekte mittels einer Droge eine Gruppe von Männern von dieser in die nächste Welt befördert, indem sie ihnen mörderisch angstvolle Visionen verabreicht, die in schier bizarren Selbstmorden gipfeln.
Wie in Doyles Fällen müssen sie den Fall behutsam aufrollen, ihre Charaktere langsam entwickeln und finden noch dazu Unterstützung durch eine Reihe von Spezialeffekten, die die entsprechenden Visionen ausschmücken.
Da gibt es etwa einen mörderischen Ritter, der einem Buntglas-Kirchenfenster entsteigt (übrigens die erste PC-Vollanimation), diverse griffige Leichen, kleine geflügelte Dämonen und selbstmörderisch agierende Backwaren, die Watson das Maul stopfen.
Trotzdem wirkt der Film trotz seiner sorgfältig stillen Opulenz auf sympathische Weise althergebracht. Levinson ist taktvoll und charmant, aber dabei stets retro, als wäre der Film aus den seligen 70ern oder noch älter. Es gibt Action, aber auch stille Passagen voller Ruhe und Sanftheit, wo 1985 an anderer Stelle meist überbordende Hysterie in war. Die sanfte Liebesaffäre von Holmes wurde charmant behandelt, der Film hatte Humor und lud zum Miträtseln ein. Nicholas Rowe war praktisch die Idealbesetzung für den Charakter und harmonierte gut mit Alan Cox' Watson.
Was den Film scheitern ließ, ist umstritten. Vielleicht hatte der Film zu wenig Drive, zu wenig Sense of Wonder für die Zeit seiner Veröffentlichung. Sein Kernset, eine ägyptische Pyramide mitten in London mutete zu sehr nach dem Höhepunkt des im Jahr davor absahnenden "Indiana Jones und der Tempel des Todes" an und zu allem Überfluß hatte der Film nicht mal ein richtiges Happy End, sondern war gegen Ende erst traurig, dann melancholisch, ergänzt durch einen Realismus, der den meisten Spielberg-Projekten abging. Da konnte viele auch der auf eine Fortsetzung hindeutende Schlußgag am Ende der Schlußtitel nicht besänftigen, der einen der Hauptcharaktere als Holmes künftigen Erzfeind identifizierte.
Trotzdem ist der Film ein wunderbares "period picture", ein wunderbar vielfarbiger Ausflug in die Vergangenheit und gleichzeitig in die literarische Phantasie der Holmes-Geschichten, dessen mal beschwingte, aber meist sehr düstere Atmosphäre durch seinen sich festkrallenden Flötenscore noch gewinnt.
Ein Film, den man gern einmal wiedersieht, weil keine seiner Szenen verschwendet wirkt. (8,5/10)