Ein historischer Stoff, besonders wenn er auf wahren Begebenheiten beruht, forciert automatisch eine Frage - welche Bedeutung hat er für die Menschen der Gegenwart, sieht man einmal vom allgemeinen Unterhaltungswert aufwändiger Kostümfilme ab ?
"Die Herzogin" erzählt die Geschichte der jungen englischen Adeligen Georgiana (Keira Knightley) zum Ende des 18. Jahrhunderts, genauer am Vorabend der französischen Revolution, die auch Auswirkungen auf die politische Landschaft in England hatte. Der Film beginnt mit einer Überraschung, denn als Georgiana von ihrer Mutter, Lady Spencer (Charlotte Rampling) zu sich gerufen wird, um ihr zu erzählen, dass sie soeben mit dem Herzog (Ralph Fiennes) ihre Hochzeit beschlossen hätte, reagiert sie mit Begeisterung. Angesichts des ausgelassenen Spiels unter jungen Menschen, an dem Georgiana zuvor engagiert teilgenommen hatte, hätte man erwartet, dass sie gegen den Wunsch ihrer Mutter zumindest emotional aufgebehrt, aber stattdessen ist auch für sie die Heirat mit dem mächtigen Fürsten ein Beweis ihrer Qualität, zu der sie von ihrer ehrgeizigen Mutter erzogen wurde.
Ihre Aufgabe liegt neben den repräsentatorischen Pflichten, für die sie sich als überaus begabt erweist, vor allem darin, einen männlichen Erben zu gebären. Schnell werden ihre Illusionen von einem liebevollen Verhältnis zu ihrem Ehemann zerstört, denn dieser ist an Kommunikation nicht interessiert und vollzieht den Geschlechtsakt nur zur Zeugung von Nachwuchs. Möglichst männlichen natürlich, weshalb ihre Mutter sie jedesmal, wenn sich Georgiana über ihren Mann beklagt, nur daraus hinweist, dass sie, sobald sie ihre Aufgabe erfüllt hätte, deutlich mehr Freiheiten haben würde.
Das vor gut 200 Jahren noch ein wesentliches Ungleichgewicht zwischen Frauen- und Männerrechten vorherrschte, wird Niemanden wirklich überraschen. Auch nicht, dass es den adeligen Frauen nicht besser erging. So muss Georgiana mit ansehen, dass ihr Mann sich für sein Vergnügen regelmässig weiblichen Beischlaf besorgt, ohne das er das besonders verheimlicht. Im Gegenteil überträgt er ihr die Aufgabe, eine uneheliche Tochter zu erziehen, die er, nachdem deren Mutter gestorben war, bei sich aufnimmt. Die Ungerechtigkeit dieser Konstellation wird noch verstärkt, als zwei weitere Personen dazu treten.
In Bath, während einer Kur, lernt Georgiana, die inzwischen zwei Töchter zur Welt brachte, die attraktive Lady Bess (Hayley Atwell) kennen, mit der sie sich anfreundet. Sie erfährt, dass diese ihre drei Söhne nicht mehr sehen darf, weil ihr Mann sich eine neue Frau genommen hatte und ihr den Umgang mit den Kindern verbot. Georgiana bringt den Herzog dazu, Lady Bess in ihrer Londoner Residenz aufzunehmen, aber dieser verfolgt dabei eigene Ziele, denn er hält sie für geeigneter, männliche Erben zu gebären. Als Georgiana Beide beim Beischlaf erwischt, reagiert sie wütend und lässt sich auch nicht von Bess beruhigen, als diese ihre Not schildert, sonst ihre Kinder niemals wiedersehen zu können, denn der mächtige Herzog holt als Gegenleistung sofort ihre Söhne zu sich ins Schloss.
Das Georgiana nicht die gleichen Rechte zustehen, wird spätestens deutlich, als sie eine Liebesbeziehung mit dem jungen Politiker Charles Grey (Dominic Cooper) beginnt, welche sie auch offensiv gegenüber ihrem Ehemann einfordert. In dieser Verbindung werden die modernen Strömungen des sich befreienden Bürgertums deutlich. Grey , der in die Herzogin schon lange verliebt ist, will sich nicht den Klassengrenzen beugen und kämpft offen um sie, aber die realen Machtverhältnisse machen ihnen das Leben schwer.
So emotional bewegend das Schicksal der Herzogin ist, die sich politisch engagiert und auch in Künstlerkreisen einflussreich und beliebt ist, so bekannt ist auch der Fakt, dass diese Freiheiten nur mit strenger Selbstdisziplin erkauft werden können. In dem Moment, in dem sie sich gegen ihre gesellschaftlich vorgeschriebene Rolle entscheidet, verliert sie jeglichen Einfluss, von materiellen und familiären Konsequenzen ganz abgesehen. Keira Knightley spielt die Herzogin mit der richtigen Mischung aus einem Bewusstsein über die eigene anerzogene Rolle und einem romantischen Unabhängikeitswillen, der ihr die Sympathien des Publikum einbringt.
Doch das alles ist trotz des Unterhaltungswertes und der allgemein sehr guten Darstellerleistungen weder neu noch überraschend inszeniert. Leider konzentriert sich auch die Filmvermarktung auf die unglückliche Liebe zwischen dem zukünftigen englischen Premierminister und der Herzogin, was übersehen lässt, dass erst Ralph Fiennes' Spiel den Film über gängige Kostümfilmware mit realem Hintergrund hinaus hebt.
Seine sehr reduzierte Darstellung des mächtigen Fürsten lässt ohne Anbiederung die Zwänge erkennen, welche ihm aufgelegt sind und die weit über die übliche Interpretation hinausgehen, dass nur die Aussendarstellung stimmen muss, während man im stillen Kämmerlein machen kann, was man will. Dabei riskiert Fiennes in seinem Spiel, als Unsymphat durchzugehen, denn ihm fehlt als Herzog der freundliche und soziale Umgangston seiner Gattin. Stattdessen greift er immer wieder zu radikalen Methoden, seine geerbten und durch die hohe gesellschaftliche Stellung verliehenen Rechte durchzusetzen, und macht dabei weder vor Drohungen noch Gewalt halt. Das lässt lange Zeit übersehen, dass in ihm ein gütiger, manchmal sogar liebevoller Mensch steckt, der selbst sein eigener Gefangener ist. Man spürt dabei sein inneres Leiden, ohne dass er Mitleid damit erzeugt.
Während das Publikum ganz automatisch auf der Seite der Frau ist, die (aus heutiger Sicht zu Unrecht) am Ausleben eigener Wünsche gehindert wird, gelingt es dem Film über seine gesamte Laufzeit eine Art Gleichgewicht zwischen Mann und Frau herzustellen, die sich nicht in billigen Effekten verliert. Denn Ralph Fiennes mutiert keineswegs zu einem äußerlich freundlicheren Menschen, doch man erkennt zunehmend, dass er - innerhalb des eigenen durch Erziehung und Erwartung an seine Position begrenzten Spielraums - großzügig ist. Wirkt seine Forderung an Georgiana, seine uneheliche Tochter zu erziehen, im ersten Moment als grobe Ungerechtigkeit, erweist sie sich letzlich als human, denn es war keineswegs selbstverständlich, dass sich ein Fürst überhaupt einem unehelichen Kind annahm. Diese Fairness zieht sich durch die gesamte Handlung, indem der Herzog den Beteiligten, auch wenn diese sich aus seiner Sicht grob fahrlässig verhielten, immer eine Chance zur Korrektur einräumt. Aus heutiger Sicht mag das vordergründig ungerecht bleiben, da hier eine Person über das Schicksal Vieler bestimmt, aber dem Film gelingt es, ein Zeitgemälde zu entwerfen, das die gegenseitigen Abhängigkeiten deutlich werden lässt und auf billige Schuldzuweisungen verzichtet.
Trotz tragischer Details vermittelt "Die Herzogin" damit Optimismus und eine Aufbruchstimmung, die in eine neue Zukunft verweist, und auch wenn es zu befürchten ist, dass angesichts der prächtigen Kulisse und den äußerlichen Liebesreigen die sensible Darstellung der gegenseitigen Abhängigkeiten übersehen wird, so weist gerade dieses Element in die heutige Gegenwart (8/10).