Am Anfang war eine Tischlampe. Von Luxo Jr., der nach seinem oscarnominierten Kurzfilmauftritt im gleichnamigen Pixar-Erstling zum Firmenlogo avancierte, bis zu "Wall-E" vergingen gerade 22 Jahre. In dieser Zeit schafften es die pixar Animation Studios aus einem Büroraum übers Kinderzimmer in den Weltraum und brachten so viele Innovationen in das Genre wie es seit den Lebzeiten Walt Disneys wohl nicht mehr der Fall war. Das immer noch währende Problem, menschliche Charaktere und auch die meisten Tierarten darzustellen, umschiffte die Firma in ihren Großproduktionen elegant durch intelligente Überzeichnung oder Aussparung. Die Helden der Pixar-Filme sind vornehmlich leblose Gegenstände, denen auf zauberhafte Weise Leben eingehaucht wird. den Anfang machte dabei "Luxo Jr.", den vorläufigen Höhepunkt markiert in dieser Hinsicht "Wall-E". Die Geschichte um den einsamen Müllbeseitigungsrobotor hat das Potential zur absoluten Apostheose des CGI-Animationsfilms aufzusteigen und diesen endgültig aus dem Schatten des Zeichentrickfilms zu entreißen. Tatsächlich kann Pixars neuer Film diesen Ansprüchen auch beinahe gänzlich gerecht werden. Leider verschenkt er die Möglichkeit, als erster Film seiner Art komplett auf Dialoge zu verzichten und seine Geschichte rein visuell zu erzählen. Vielleicht um die Kleinsten im Publikum nicht zu überfordern wird dieser Ansatz nur im ersten Filmabschnitt konsequent verfolgt, dennoch schafft es "Wall-E" aber, sich selbst nicht zu verraten im stilistischen Umschwung innerhalb der Narration. Immerhin funktioniert der Film lange Zeit ohne Dialog, seine beiden Helden bleiben bis auf ihre mechanischen Geräusche stumm.
Nach den bemerkenswerten Fortschritten von "Toy Story 2" bis zu "Findet Nemo" erreichte Pixar mit "Die Unglaublichen" erstmals ein optisches Qualitätslevel, dass durchaus den Begriff 'zeitlos' verdient. Der Detailreichtum, der dem Zuschauer aber im Jahr 2008 entgegenschlägt ist atemberaubend: Wunderschön colorierte Panorama-Aufnahmen der endzeitlichen Erde zeigen verträumte Landschaften, denen eine makabre Romantik zugrunde liegt - schließlich blicken wir auf einen vermüllten, entvölkerten Planeten. Auch die Bewegungsabläufe sind gereift, was bereits eindrucksvoll im Alltagsleben von Wall-E illustriert wird. Seine Gestik ist trotz seines schwerfälligen Körperbaus phänomenal facettenreich und mimisch deckt sein minimalistisches Gesicht alle Bandbreiten menschlicher Empfindungen ab. Nicht aber die opulente Perfektion setzt den Film ab von seinem Vorgänger "Ratatouille" sondern sein subtiler aber stets präsenter Gesellschaftskommentar.
"Wall-E" proklamiert mit beißender Ironie das Ende der Wohlstands- und Spaßgesellschaft, die ihren Untergang selbst herbei geführt hat. So erscheinen die Menschen als aufgeblasene dicke Ballons, die kaum noch zu körperlicher Betätigung fähig sind und ihre Verantwortung gegenüber ihrer Umwelt schon lange vergessen haben. Den Hintergrund der Geschichte liefern fragmentarische Überreste in Form von Video-Aufzeichnungen, Zeitungsreste und andere Rudimente der einstigen Konsumkultur. Bezeichnend ist die Darstellung der Menschen auf den Videobändern, wo echte Schauspieler zu sehen sind - diese bewusste Abgrenzung zwischen der Natürlichkeit realer Darsteller (also der Vergangenheit) und den überzeichneten CGI-Wesen der Zukunft weist gleichzeitig darauf hin, in welche Richtung sich unser modernes Gesellschaftsleben bewegt aber auch, dass diese fatale Entwicklung noch nicht unumkehrbar ist. Der Roboter Wall-E selbst ist daher nur ein Opfer der gedankenlosen Menschheit, nicht ihrer Bösartigkeit, vielmehr ihrer Faulheit und Unselbstständigkeit. Diese lebt in utopischen Raumkolonien, ihr asimovsches Vertrauen in die Technik hat die Sehnsucht nach der alten Heimat ersetzt. Die sterile Umgebung weist trotz aller Farbenpracht und Fortschrittsvisionen keine Wärme auf, im Gegensatz zum Planeten Erde. Und obwohl "Wall-E" grundlegend positiv bleibt und sogar neue Hoffnung verspricht, wo alte Fehler offensichtlich nicht mehr rückgängig zu machen waren, findet keine Anbiederung statt und erst recht keine Versöhnung mit der schönen neuen, fetten Welt.
Perspektivisch und erzählerisch lebt "Wall-E" von seiner naiven Kindlichkeit, von der scheinbaren Leichtigkeit der Umsetzung. Tatsächlich sieht es bei den ganz Großen immer ganz einfach aus und so ist dem Film nichts anzumerken von der langwierigen und strapaziösen Entwicklung. Wie aus einem Guss wirken die spektakulären Animationen, die nie zum Selbstzweck verkommen und immer Platz lassen für das Gefühlsleben seiner sensiblen Hauptfigur. Diese ist offenkundig optisch angelehnt an den ebenfalls fühlenden Roboter aus "Nummer 5 lebt", folgt aber auch der Kinderzimmer-Romantik des frühen Steven Spielberg und dem technischen Positivismus eine Isaac Asimov. "Wall-E" erzählt keine Geschichte über Bedrohung von außen sondern von Einsamkeit und Sehnsucht nach Liebe. Ein Film mit Herz also, mit unverhohlenem Hang zum Kitsch, was schon die Liebeserklärung an "Hello, Dolly" beweist. Vom selbstreflexiven Zynismus eines "Shrek" oder von der überdrehten Lautstärke der früheren Pixar-Streifen löst sich "Wall-E" elegant, genauso wie er das allgemeine Niedlichkeitsprinzip auf einen Müllmann aus Metall ummünzt. Die grobe und zweckmäßige Bauart von Wall-E erinnert an industrielle Technik während das glatte Design der moderneren Roboter im Film genau jene herzlose Oberflächenästhetik trifft, der die inzwischen völlig kulturlose Menschheit zum Opfer gefallen ist. Selbst aus der gänzlich reduzierten Körperlichkeit der Roboter um Eve lässt das geschickte Charakterdesign ein größeres emotionales repertoire sprechen als aus den aufgedunsenen Menschen.
Als die Menschen der Zukunft, die ihre verfetteten Körper auf schwebenden Transportsesseln herumkutschieren während sie mit ihren Mitmenschen über einen kleinen Monitor kommunizieren, ertmals auftauchen wird Wall-E überrumpelt von unzähligen Wortfetzen, die in ihrer Sinnlosigkeit ein anschaulisches Bild von menschlicher Kommunikation via technischer Hilfe beschreiben. Die wachsende Anonymität des Individuums in den Weiten des Internets und in der Bequemlichkeit der eigenen Wohnung wird hier beängstigend auf die Spitze getrieben, sodass man sich sogleich wieder nach der friedlichen Ruhe und den sympathischen Geräuschen Wall-E's sehnt. Als ein Mensch von seinem fliegenden Sessel fällt wird sogleich seine absolute Hilflosigkeit deutlich, ohne die Hilfe der Service-Roboter kann er nicht einmal auf seinen Platz zurück. Die voran schreitende Technik wird also als Wegbewegung von der Menschlichkeit definiert, was beispielweise in der hier beschreibenen Abhängigkeit ihren bitterbösen Ausdruck findet. Diesen gesellschaftskritischen Unterbau verwässert auch nicht die absurde Weltraumreise der Hauptfigur, zu welcher der Zuschauer von ganz allein Sympathien aufbaut. Schon bevor Wall-E in gefährliche Situationen gerät nimmt man Anteil an seinem Schicksal, wofür nicht nur seine hoffnungslose Grundsituation und seine unschuldige Liebe zu Eve sorgen - seine schlichte, herzerwärmende Kindlichkeit allein macht ihn zur Identifikationsfigur und sein Schicksal zur universell parabelhaften Abhandlung über das menschliche Schicksal und die Verlorenheit des Einzelnen.
Auch wenn es zunächst so scheint als würde "Wall-E" sein enormes Potential teilweise ungenutzt lassen, so verliert er nie die Satire aus den Augen und bleibt seinem Hauptcharakter treu. Dessen Odyssee mag auf den ersten Blick als konventionell erscheinen und in Anbetracht des aktionsarmen ersten Drittels den falschen Eindruck einer tempoverschärften Relativierung machen, insgesamt wirkt aber gerade dieser kontrastierende Stilbruch so ungeheuer konsequent und erwachsen.
9,5 / 10