„How much is anyone worth?“
Im Jahre 1979 widmete sich der deutsche Autorenfilmer Rainer Erler („Operation Ganymed“) mit seinem fürs ZDF produzierten Spielfilm „Fleisch“ dem Thema Organtransplantation/-handel und unterstrich damit seinen Ruf als pessimistischer Mahner und technologiekritischer Prophet.
Das frischvermählte deutsche Paar Monica (Jutta Speidel, „Mädchen beim Frauenarzt“) und Mike (Herbert Herrmann, „Das Traumschiff“) verbringt seine Flitterwochen in den USA. In einem Motel in New Mexico werden sie von der Betreiberin betäubt und ihnen falsche Sanitäter auf den Hals gehetzt, die Mike entführen, während Monica entkommen kann. Diese trifft auf Trucker Bill (Wolf Roth, „Plutonium“), der seine Hilfe bei der Suche nach Mike anbietet. Zusammen kommt man der Organmafia auf die Spur…
Offensichtlich war dieses Thema seinerzeit brandaktuell bzw. innovativ und originell, weshalb Erlers Film – darf man den Überlieferungen Glauben schenken – Teile des Publikums zutiefst verstörte und heftige Kontroversen auslöste. „Fleisch“ beginnt sodann auch wahrhaft erschreckend und erinnert von seiner Rezeptur an Backwood-Horror nach Art eines „The Texas Chainsaw Massacre“. Generell präsentiert sich „Fleisch“ als ein an ein breites, internationales Publikum gerichteter Unterhaltungsfilm nach US-amerikanischem Vorbild, und das nicht nur durch die Wahl seiner Originalschauplätze. Mit Jutta Speidel wählte man eine attraktive Hauptdarstellerin, die man in Unterwäsche durch die Umgebung hetzt. Ein bisschen was hat er zeitweise von einem die Fernfahrerklientel idealisierenden Roadmovie, als Monica und Bill durch die Staaten den Tätern hinterherjagen. Dabei kommt es sogar zu einer Schießerei, die jedoch schon den Höhepunkt grafischer Gewalt darstellt, denn für den weiteren, recht konstruiert wirkenden Handlungsverlauf setzt man statt auf Härte und Action vielmehr auf das Publikum nicht überfordernde Abschwächung, verlässt das Gut/Böse-Schema, buhlt um Verständnis und begibt sich gefährlich in Kitschnähe. Nachdem Monica und Bill sich als Lockvögel selbst der Organmafia auslieferten, ist die Spannung eher raus, als dass sie gesteigert würde, denn mit Dr. Jackson (Charlotte Kerr, „Plutonium“) etablierte man einen bemüht auf tragisch und einsichtig getrimmten Garnichtmalsobösewicht, der zudem in schwindelerregender Geschwindigkeit seine Motivation herunterrattert und damit den zuvor aufgebauten Eindruck einer übermächtigen, verschwörerischen Organisation einstürzen lässt wie das vielzitierte Kartenhaus.
Dennoch bleibt ein Science-Thriller (ein Subgenre, das Erler angeblich begründet hat) von internationalem Format mit bis zu einem gewissen Zeitpunkt hohem Unterhaltungswert und einer Fiktion zum Thema, die nur wenig später von der Realität eingeholt werden sollte. Insofern war es vermessen, Erler von mancher Seite aus Panikmache vorzuwerfen, statt ihm zuzugestehen, einen sein Publikum erreichenden Film geschaffen zu haben, der die Sensibilität für die Schattenseiten fortschrittlicher Technologie und Wissenschaft schärft. Und wenn Ronnie L. Williams im Abspann sein „How much is anyone worth?“ trällert, ist dies nicht nur der einzige Moment, der die moralischen/ethische Frage explizit beim Namen nennt, sondern auch ein geschmackvoll ausgesuchter Soundtrack, der länger im Ohr verweilt und in seiner Leichtigkeit ein schweres Thema transportiert, das sich auf diese Weise ebenso wie durch den Film seinen Weg ins kollektive Bewusstsein bahnt.
Die schauspielerischen Leistungen reichen von unauffällig (Herrmann) über abgeklärt-unterkühlt (Kerr) bis über die gesamte Distanz ordentlich bzw. sehr gut (Speidel und Roth), Nebenrollen fallen nicht negativ aus der Reihe. Meines Erachtens ein Fernsehfilm, der angesichts heutiger TV-Film-Qualitäten positiv überrascht und mich nach „Operation Ganymed“ weiter in meinem Vorhaben bekräftigt, mich mit der spannenden Welt Erler’scher Produktionen auseinanderzusetzen.