Ein lautes "Wow". Und ein leises "Schade". Das waren in etwa meine Reaktionen auf diesen Film, den ich erst 12 Jahre nach seinem Kinostart entdeckt hatte. Als Fan von allem, was in die Richtung Cyberpunk / Moderner Film Noir geht, konnte ich mir dieses Movie nicht entgehen lassen.
Gleich der Beginn gleicht einem Paukenschlag, der einem sofort vorführt, worauf der Film hinsteuert - nämlich in ein wahres audiovisuelles Inferno, das so manchen überfordern dürfte. Zunächst schaltet der Streifen aber einen Gang zurück und führt uns in die bizarre Welt der Hauptfiguren ein. Keiner der Charaktere scheint frei von Problemen zu sein: Lenny Nero (Ralph Fiennes) ist hinter der charmant-schleimigen Dealerfassade ein richtiges Weichei, der sich zu seiner Ex-Freundin, der Rocksängerin Faith (Juliette Lewis) zurücksehnt und dabei in Erinnerungen schwelgt, die er mit Hilfe der sogenannten "SQUID"-Technik aufgezeichnet hat, ein VR-Apparat, der diese Erlebnisse immer wieder reproduzierbar macht. Faith ihrerseits ist eine ständig von diversen Substanzen benebelte Underground-Figur, die nie wirklich weiß, was sie will, und hin- und hergerissen zwischen ihrem - ebenfalls SQUID-süchtigen - Freund und Promoter Philo (Michael Wincott), und ihrem Ex-Lover ist. Einzige Insel der Ruhe ist die toughe Mace (Angela Basett), die durch ihren kühlen Kopf so einige Situationen rettet. Doch auch sie hat einen wunden Punkt: ihre unerfüllte Liebe zu Lenny. Eine klassische Dreiecksgeschichte also, die aber ihre Eigenheiten hat.
Die Technik kann auch 12 Jahre nach Filmstart noch voll überzeugen und lässt selbst neuere Produktionen zum Teil alt aussehen. Die First-Person-Perspektive, aus der im Film alle möglichen Gewalttaten, aber auch Sexzenen gezeigt werden, ist schon etwas gewöhnungsbedürftig, macht diese Szenen aber extrem intensiv. Besonders die Vergewaltigungs- und die Fluchtszene am Bahnhof gehören mit zu dem Beeindruckendsten, was ich jemals auf der Leinwand gesehen habe (Ich kann nur sagen: Schade, das es am Fernseher und nicht im Kino war). Auch die Action kann überzeugen, zudem bietet der Film eine für US-Produktionen durchaus passable erotische Komponente, die vor allem durch die kurvige Lewis unterstrichen wird, die mit einer sehr trashigen Sinnlichkeit glänzt. Die Farbwahl ist dagegen für düstere SF-Filme eher konventionell, passt dafür aber auch sehr gut zur Story.
Die Schauspieler machen ihre Sache durchaus gut und retten über so manche Länge hinweg. Ihre weitgehend klischeelose und unkonventionelle, aber auch etwas kühle Darstellung lässt sie sehr glaubwürdig wirken. Als Plus darf man Juliette Lewis auch mal singen hören, worin sie sich gar nicht schlecht schlägt - eines der ersten Anzeichen auf ihre spätere Karriere als Musikerin.
Warum also das leise "Schade"? Nun, daran ist meiner Meinung nach eigentlich nur das Ende schuld, das durchaus als banal bezeichnet werden kann, auch wenn es durch die Hautfarbenproblematik und die Freundschaft/Liebe-Konfusion zwischen den beiden Hauptdarstellern auch eine eigene Komponente besitzt, die sie etwas von ähnlichen Endszenen abhebt. Trotzdem: Soviel Kitsch hatte ich dann doch nicht erwartet. Mehr will ich aber nicht spoilern, denn der Film ist alles in allem deutlich überdurchschnittlich. Die Kritik am langsamen Storyaufbau kann ich dagegen nicht nachvollziehen, gerade solche Filme ziehen den Zuschauer besonders in den Bann, wenn es dann irgendwann ans Eingemachte geht. Man muss sich dadurch nur einlassen... und wer das nicht tut, dem entgeht so Einiges.
Fazit: Ein toller Streifen voller Action und Bildergewalt, bei dem einzig und allein das Ende mich davon abhält, ihm die volle Punktzahl zu geben. Pflicht für Cyberpunk- und Film-Noir-Fans.
8,5 von 10