Kaum zu glauben, dass hier dieselbe Frau wie beim hirnschonenden Hochglanzfilm „Gefährliche Brandung“ auf dem Regiestuhl saß, denn „Strange Days“ unterscheidet sich so ziemlich von allem, was Kathryn Bigelow bis dato gedreht hatte. Anzusiedeln ist dieser Streifen irgendwo zwischen düsterer Utopie, Cyberpunk, Actionfilm und Krimi, wobei sich sogar Einflüsse des Film-Noir wiederfinden. Mittendrin ein Ex-Polizist Lenny Nero (Ralph Fiennes), der jetzt mit halbillegalen Erinnerungschips dealt, der Droge der Zukunft. Kurz vor der Jahrtausendwende gerät er plötzlich in Lebensgefahr, als eine seiner Freundinnen getötet wird. Diverse Umschläge, an die Lenny gelangt, sind der Schlüssel zur Aufklärung des Verbrechens, doch irgendwann ist er an dem Punkt angelangt, an dem er sich fragen muss, wem er letztendlich noch trauen kann.
Es ist nicht leicht, die komplexe Story von „Strange Days“ in knappe Worte zu fassen, da gleich mehrere Plots parallel ablaufen, wobei man nie was, inwiefern und ob sie überhaupt etwas miteinander zu tun haben. Lenny trauert in einer Nebenhandlung seiner alten Liebe Faith (Juliette Lewis als abgehalfterte Schlampe) hinterher, die nun einem echtem Ekelpaket von Manager gehört, der bis zuletzt undurchsichtig ist. Allem Anschein nach hat er etwas mit dem Mord an der Prostituierten Iris zu tun, vielleicht auch mit dem an dem Sänger und gleichzeitig radikalen politischen Anführer der Schwarzen Jericho One. Darüber hinaus wollen zwei Polizisten unbedingt in den Besitz eines Erinnerungsstückes gelangen, das sich in Lennys Besitz findet.
Das Drehbuch legt geschickt falsche Fährten und hat gleich mehrere überraschende Wendungen parat, bis Bigelow am Ende die Katze aus dem Sack lässt. Mit so einer Entwicklung konnte man nicht rechnen und ob sie komplett glaubwürdig ist, vermag man nach Erstansicht kaum einzuschätzen, zu überrumpelt ist man von alledem, was man gerade gesehen hat.
Bei der nötigen Aufmerksamkeit, die für die Handlung draufgeht, übersieht man fast die politische Komponente. Los Angeles präsentiert sich in der Zukunft (bzw. jetzt in der Vergangenheit, wo wir 2004 haben) als tickende Zeitbombe, die jederzeit detonieren könnte. Anstatt der Vorfreude aufs Millennium geht die blanke Angst aufgrund der nackten Gewalt um, die in jeder Einstellung auf offener Straße zum Ausdruck kommt. Polizisten liefern sich ständig Kämpfe mit Farbigen, die stetige Dunkelheit verhüllt die Stadt in Düsternis und macht sie unheimlich. Bigelows Vision ist gesellschaftskritisch, durchweg pessimistisch und phasenweise in befremdlichem Cyberpunk-Look verhüllt, der eigentlich bereits in den späten 80ern längst aus der Mode war.
Der Showdown präsentiert sich schließlich als bombastische Silvesterfeier auf den Strassen von Los Angeles, welche die gereizte Stimmung zum Überlaufen bringt. Inmitten dieses Chaos finden dann Lenny und Lornette doch noch zueinander und zeigen einen der ehrlichsten Filmküsse seit langem. Für die Hauptfiguren kommt es so doch noch zu einem Happy-End, das man nach diesem Filmverlauf nicht unbedingt erwarten konnte, allerdings geht die Schlacht auf den Strassen weiter und die Zukunft sieht alles andere als fröhlich aus.
Mit „Strange Days“ lieferte Kathryn Bigelow einen ihrer besten Filme ab, der in seiner Genre-Mixtur weiterhin ein Unikat bleibt. Verschiedenste Einflüsse ergeben einen abgefahrenen Sci-Fi-Thriller, bei dem nichts unmöglich scheint. Die durchweg pessimistische Stimmung, fehlende Stars und komplexe Handlungsstränge ließen den Streifen zu Unrecht zum Kassengift verkommen, obwohl „Strange Days“ durchaus das Zeug zum modernen Klassiker hat. Man muss sich nur auf ein etwas anderes Filmerlebnis gefasst machen.