Inge ist seit über dreißig Jahren mit ihrem Mann Werner verheiratet. Das Eheleben hat Routine angenommen. Beide befinden sich in Pension. Hin und wieder jedoch arbeitet die fast siebzigjährige Rentnerin als Änderungsschneiderin, verdient sich einige Mark dazu. Eines Tages begegnet sie Karl, einem sechsundsiebzigjährigen Pensionär, der die hausinterne Schneiderei aufsucht, um ein Kleidungsstück ändern zu lassen. Es scheint für Inge unbegreiflich zu sein, denn zunächst kämpft sie noch dagegen an - Aber in ihrem Inneren ist es nicht zu leugnen: Sie fühlt sich zu Karl hingezogen. Beide verfallen in eine Affäre und setzten damit nicht zuletzt Inges Ehe auf’s Spiel ...
Liebe, Sex und Alter sind die drei großen thematischen Silbermänner in diesem Film von Andreas Dresen aus dem Jahre 2008 und zeigen dem Zuschauer den Zusammenhang und deren Signifikanz in mehreren ausdrucksvollen Kapiteln auf. Innerhalb der Filmbranche waren Liebe und Sexualität stets das Würzmittel sowie unentbehrlicher Grundstoff eines nahezu jeden Films. Themen, welche jeden Einzelnen unter uns betreffen, welche stetig im Unterbewusstsein rotieren und die Dinge aus einem Winkel erscheinen lassen, welcher mit Nichten Objektivität beglaubigt. Wenn allerdings das Alter als Substrat einmarschiert, entwickelt sich eine Kombination, die sich in der westlichen Welt zu einer moralischen Schranke normierte, dass selbst das Thema des vorzeitigen Geschlechtsverkehrs unter Jugendlichen abgelöst hat. Ein Tabuthema, welches ungerne in unserer Gesellschaft fußt und zum markanten Gesprächsstoff wird. Es ist eine besonders von der Moderne geprägte Allgemeingültigkeit, dass Liebe und Sex ab einem gewissen Alter aufhören zu existieren. Andreas Dresen, welcher unter anderem Regie in Filmen wie HALBE TREPPE oder SOMMER VORM BALKON führte, hat sich dieser grellfarbenen Problematik, dass Liebe, Sex und Alter unvereinbar erscheinen, angenommen und mit Bildern gearbeitet, die bewusst die bisweilen triste Gleichförmigkeit des Alltaglebens einfangen und dabei dem Zuschauer exemplifizieren, dass der Mensch ein Mensch mit all seinen Bedürfnissen und Trieben bleibt - Auch im hohen Alter ...
Viele Metaphern trägt der Film, die einen aber meist erst gar nicht erreichen, wenn man sich die Bilder nicht en détail ansieht. WOLKE 9 ist freilich nicht für einen gemütlichen Familienabend gedacht, denn dafür ist er in seiner monotonen Miesepetrigkeit zu bleiern. Elemente des Wassers in Bezug auf Veränderung sind ja in der Filmnarration nichts Neues und auch hier kommt diese Begleiterscheinung dann und wann zum Einsatz. Man sieht die hin und wieder als Änderungsschneiderin tätige Inge und den Werner, einen pensionierter Lehrer, fortwährend mit der Eisenbahn herumkutschieren ohne dabei ein wirkliches Ziel zu haben. Es ist ein Steckenpferd, das die beiden aneinanderbindet. Inge äußert im Film, dass Zugfahren gänzlich anders sei, als fahre man mit dem Auto. Die laterale Natur würde stets in ihrem Habitus anders wirken, als wenn man sie von einer Zugmaschine aus beschaut. Das Bahnfahren ist für beide eine Kraftquelle. Man merkt es in der Szene, in welcher eine Schallplatte läuft, die lediglich mit quotidianen, mechanischen Zuggeräuschen auffährt. Das ist schon beinahe etwas morbide. Beifolgend die expliziten Liebesszenen, von welchen es mehr als eine Handvoll in WOLKE 9 gibt. Es wird der Versuch gewagt, diese möglichst nahe an der Realität vorbeischlendern zu lassen, obschon so mancher Handlungsakt beim jungen Publikum doch eher zum Kopfschütteln bis hin zum Detestieren animieren dürfte. Aber weil die Protagonisten vorherrschend improvisieren, wirkt das Grundgerüst trotz mancher Ambivalenz doch zum geräumigsten Teil authentisch, was freilich nicht heißen soll, dass man auch einunddieselbe Meinung mit der Aussage des Filmes vertritt. Aber es ist schon harter Tobak, was man hier zu sehen bekommt, nicht zuletzt aufgrund der willkürlich-gesetzten narratorischen Wortkargheit sowie der musikalischen Untermalung, welche hauptsächlich minimalistische Konturen in das Körperschema impliziert. Man hat schlichtweg alles sehr bescheiden gehalten. Das ist zwar kein Novum für einen deutschsprachig-produzierten Film, jedoch in diesem Werk in beabsichtigter Art und Weise vonstatten gegangen, so dass man meinen könnte, man wolle eine Existenz aufzeigen, welche ausschließlich von der Liebe handelt. Die Explizität der Sexstaffagen macht aufgrund ihrer harschen Statur irgendwo die Empfindung, als wolle man die sittliche Schranke weit aufdehnen und nicht etwa die Liebe als etwas Alltägliches darstellen. In dieser Art ein tatsächlich himmelschreiendes Thema, das die Macher sich ausgesucht haben, denn wer denkt schon darüber nach, mit was sich die älteren Herrschaften am gemeinschaftlichen Lebensabend die Zeit vertreiben. Auch werden heikle Fragen aufgeworfen, wie bspw., ob der Partner, den man an seiner Seite führt und mit dem man möglicherweise schon Dekaden verbrachte, denn auch der richtige Partner ist. Durch die Koinzidenz der Protagonistin mit dem älteren Karl, formt sich zunächst das Bildnis der Ménage-à-trois und später die Ausflucht aus einer routinierten Welt in emotive Gefilde, unter dessen Präponderanz sie sich noch einmal jung fühlen darf ...
Fazit: Deutsches, farbloses Melancholiemuster mit Arthouserahmen und einer Handvoll Epaven des täglichen Alltagstrotts verbunden mit seneszenter Kontiguität und einem verpönten thematischen Schriftzug.