Review

Wenn ich eine hochkarätige, aber amtsmüde Mysteryserie bei der Hand habe, die langsam ausläuft, offen endet und maximal noch im Kinoformat etwas reißen kann, was mache ich dann damit?
Schicke ich sofort einen Breitwandknaller hinterher, der reichlich aufgebrachte oder gelangweilte Fans wieder wachrüttelt? Oder warte ich ein Jahr und lasse mit zahlreichen Andeutungen das Wasser im Mund zusammenlaufen?
Oder warte ich sechs Jahre, rufe die Beteiligten an und köchel dann etwas Beliebiges zusammen, in der Hoffnung, daß das Brandzeichen der Serie schon alle aus dem Winterschlaf reißt?
Hier haben wir es eindeutig mit letzterem Fall zu tun, einer kreativen Kuriosität, deren Mißerfolg bei Fans und an der Kinokasse schon so lange vor Kinostart mit Leuchtschrift bis zum Horizont zu sehen war, daß man offensiv darüber grübeln darf, was die Verantwortlichen, speziell Serienerschaffer Chris Carter wohl geritten hat.

Ein Wiedersehen mit alten Bekannten ist zwar immer schön und niemand, der nicht diverse Jahre in das Alienmysterium rund um das FBI und "Spooky" Fox Mulder eingetaucht war, würde sich beschweren, wenn endlich mal die narrativen Ecken ausgekehrt würden, in denen es seit Jahren staubte. "Akte X" war eine der Serien, die eine ungemein raffinierte Mythologie aufbauten, aber auf halben Weg dann die Übersicht darüber verloren, wohin man mit dem Thema eigentlich wollte. Endlose schlingernde Fahrten durchs Mystery-Territorium, ohne sich zu einer Entscheidung über das Ziel durchringen zu können, hatten das Publikum irgendwann ermüdet - dazu noch mit zwei Figuren, deren Chemie darin bestand, daß sie trotz aller erzählerischen Offensichtlichkeiten 200 Folgen lang niemals zu einer entscheidenden Weiterentwicklung durchringen konnten, bis man die Stories von A bis Z am Beginn schon vorhersagen konnte und die Darsteller die Lust verloren.

Darum erscheint es arg rätselhaft, warum Chris Carter, von dem man seit Serienende ebenso sensationelle sechs Jahre GAR NICHTS gehört hatte, auf die spontane Idee verfiel, man könnte doch Akte X mal wieder ins Kino bringen, ungeachtet der Überlegung, ob die Zeit reif wäre.
Und wenn ich schon meine alten Helden wiederbelebe, sollte ich dem Publikum eben wenigstens ein paar Antworten, Überraschungen oder Schauwerte liefern, Größe, Breitwandverfahren, Effekte.
Stattdessen: nichts (oder fast nichts) davon.

Obwohl mit dem sensationsschwangeren Titel "I want to believe" (ein Trademark der Serie) befrachtet, liefert der Film nicht für fünf Cent etwas von der Mythologie oder dem Unterbau der Serie, sondern zitiert andere Merkmale und Ansätze, die zwar auch Gegenstand der Serie waren, aber im Laufe der Jahre enorm totgeritten wurden.
"Jenseits der Wahrheit" stellt sich als eine (der Länge nach) Doppelfolge der Serie dar, allerdings thematisch nur mit dem Inhalt einer Einzelfolge, die man gewollt auf Filmformat gestreckt hat. Und, um das zu betonen, eine eher mäßige Serienfolge.
Das Thema "Gottglaube vs. Aliens" war in Bezug auf die Figur von Gillian Andersons "Dana Scully" schon endlos beackert worden, ohne daß es zu etwas geführt hatte, hier kaut man das Thema noch einmal durch.

Im Wesentlichen versucht Carter hier folgende Elemente zu vermischen: eine Reihe von Entführungen an Frauen in der verschneiten Landschaft Virginias; die Visionen eines pädophilen und exkomunizierten Priesters, der bei dem Fall helfen soll und das Dilemma Scullys, ob sie einen todkranken Jungen mit einer degenerativen Gehirnerkrankung einer experimentellen und schmerzhaften Therapie unterziehen soll.
Alle drei Handlungsstränge sind in 90 Minuten geradezu sträflich vernachlässigt, denn nebenbei will man ja noch die latente Liebesbeziehung zwischen Mulder und Scully behandeln - und tut auch das nicht.

Carter spielt hier wieder mit Serienelementen, bleibt sich aber insofern treu, als das sich eben mal für nichts wirklich entscheidet.
Ergo darf munter philosophiert und diskutiert werden, ob man dem Kirchendienerschänder glauben soll oder nicht, ob es übersinnliche Verbindungen oder göttliche Visionen sind oder nicht, ob Gottvertrauen oder Medizin der Ausgangspunkt für die Handlungen sein soll oder nicht und für welche titelgebende Version von "believe" man sich entscheiden soll.
Interessant sicherlich, aber im Kinoformat machen sich schnell Ernüchterung und Langeweile breit, weil der Film ziellos zwischen den Themen hin und her schwankt, Spannung und Aktion vernachlässigt und ständig rote Heringe verteilt, ohne diese zu entlarven. Wenn Carter damit sagen will, daß es eben nicht immer so einfach ist, eine Position zu vertreten, dann schafft er das wieder einmal, aber warum man damit kein kleines TV-Special produziert hat, sondern einen Kinofilm, bleibt ein ewiges Rätsel.

Dazu kommt noch, daß sich der Fall mehr oder minder nach dem Prinzip Zufall entwickelt, was die Interessenkurve nicht eben anhebt. Das FBI erscheint als eine Gruppe von minderbegabten Bürokraten, die ohne zwei Ex-Agenten gar nichts gebacken bekommt; der hellseherische Priester ist eigentlich nie eine Hilfe und irgendwann stolpert Scully mal im Internet zufällig (oder schicksalsbedingt? gottgegeben?) über die Motivation der Entführer, die wieder mal total sinistre Experimente durchführen. Die Absicht ist selbst für "Akte X" abstrus, die Locationwahl fragwürdig, die Ziele rätselhaft. Muß man einfach "glauben", daß es wichtig ist, um diesen Film zu mögen - und hilft das gegen ereignislosigkeitsbedingte Öde?

Schön unklar auch weiterhin das noch immer aktive Postionshickhack von Mulder und Scully, die ihre Standpunkte hier mehrfach den Gegebenheiten anpassen bzw. untereinander tauschen müssen, bis der Zufall (oder was auch immer) Mulder auf die richtige Fährte bringt und Scully ihm (inclusive eines Walter-Skinner-Cameos) zur Hilfe eilen darf. Der amuröse Bezug (man liegt auch mal im Bett) bleibt nebulös, der Spaß der Serie nur in ganz kleinen Momenten sichtbar.
So wird "I want to believe" zu einen ganz großen Philosophiespielchen, daß das Kulturmagazin "Aspekte" sicherlich zu einer Sondersendung bewegen könnte, aber einen unterhaltungswilligen X-Fan binnen einer Dreiviertelstunde einschläfern sollte, denn meistens passiert hier so gut wie gar nichts, die Spannungsszenen sind zu lang und zu falsch geschnitten, die Action ist entweder zu bemüht oder zu unspektakulär, die Bedrohung bleibt im Hintergrund, das Durchexerzieren bekannter dramaturgischer Muster (der Pädophile kriegt Krebs, etc.) mehr als bekannt.
Wenn Carter glaubt, daß es das ist, was Akte X ausgemacht hat, sind seine Prioritäten wohl falsch gesetzt - der erste Kinofilm der Serie war dabei zwar auch nicht bar jeder Makel (kam auch schon während des Serienlaufs heraus), hatte aber Schauwerte, Drive und Größe zu bieten, um ein Publikum bei der Stange zu halten. Dieser Film hier hat jede Menge Theorie, Schwere, Kälte und gewollte Emotionalität, jedoch nur wenig Attraktivität, wenn es an die Unterhaltung geht. Zuviel thematischer Balast, der aber nie zur Zufriedenheit der Themen ausgespielt wird, führt zu dramturgischer Ödnis, der die schneebedeckte Weite des Films in nichts nachsteht - und da reißt auch ein inniger Kuss am Ende nichts mehr raus, die einstigen Reizfiguren, die mit ihren Standpunkten und ihrer Anziehung spielten, wirken hier wie dröge, verkopfte Individualisten, die nur zusammen sind, weil sie es in der Wirklichkeit sonst nicht mehr hinbekommen und weiter ziellos vor sich hinwerkeln.
So ist "Akte X" zur WG der kaputten Outsider geworden - bleibt nur zu hoffen, daß Mr.Carter die wohl einzige kreative Idee, die er je hatte, nicht so auslaufen läßt, denn das wäre traurig signifikant für seinen eigenen Output. (3/10)

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