Deutsch-französischer Kulturaustausch
„Faust auf Faust – hart, ganz hart, alles das kannst du verdauen, doch gib zu: zart, ganz zart, hat ihre Hand dich umgehauen. Und das ist hart für Schimmi – dein ganz privater Krimi.“
Im Oktober 1985 war es soweit: Götz George und Eberhard Feik feierten in ihren Rollen als Duisburger „Tatort“-Ermittler Horst Schimanski und Christian Thanner Kinopremiere! Ihr zwölfter gemeinsamer Fall war zugleich der 200. „Tatort“ – und wurde unter der Regie des Duisburg-„Tatort“-Routiniers Hajo Gies nach einem Drehbuch Horst Vocks und Thomas Wittenburgs zu einem dem Zeitgeist entsprechenden Action-Krimi, der tatsächlich Kinoformat aufwies.
„Ich hab‘ nicht mehr geschlafen, seit ich dich zur Polizei geholt habe!“
In Duisburg geht es hoch her: Grassmann (Charles Brauer, „Neonstadt“), Inhaber von Industriewerken, lässt Wohnsiedlung abreißen. Erbitterter Widerstand formiert sich, Häuser werden besetzt, Molotow-Cocktails geworfen und sich Straßenschlachten mit der Polizei geliefert. Schimanski sitzt relativ ungerührt in einer Kneipe, bis Thanner dazustößt und man sich gemeinsam auf den Weg zu einem Einsatz macht: Alf Krüger, ehemaliger Buchhalter der Grassmann-Werke, und seine Familie werden tot in ihrer Wohnung aufgefunden, lediglich die jüngste Tochter hat sich unterm Bett versteckt und dadurch überlebt. Die Polizei geht von einem erweiterten Selbstmord aus, doch Schimmi hegt Zweifel. Mithilfe einer Motorradgang verschafft er sich Zugang zu Grassmanns Villa, wird nach seinem rüpelhaften Auftritt dort jedoch suspendiert. Als er zum Tatort zurückkehrt, trifft er auf die attraktive Journalistin Ulli (Renan Demirkan, „Super“) und fordert sie auf, sich aus den Ermittlungen herauszuhalten. Dennoch fühlt er sich zu ihr hingezogen und verbringt eine Nacht mit der eigentlich verheirateten Frau. Zugute kommt ihm, dass sie einige Unterlagen aus der Wohnung der Krügers entwendet hat, die nun auch er auswerten kann. Schimanski fliegt gegen alle Widerstände nach Marseille, denn eine Spur führt zu einem Komplott von Veteranen der Fremdenlegion. Auch Ulli hat sich auf den Weg nach Südfrankreich gemacht…
„Kein Schwanz ist so hart wie das Leben!“
Zu Bildern einer Haussprengung ertönt Klaus Lages fantastisches Titelstück „Faust auf Faust“, Rocker auf Motorrädern werfen Mollies, Randale und Straßenschlachten, Explosionen und brennende Barrikaden – vergesst die Bronx, this is Duisburg! Tatsächlich haben diese Szenen im damaligen Arbeitskampf aufgrund zahlreicher Werksschließungen und dem mit ihnen einhergehenden Leerstand ehemaliger Arbeitersiedlungen einen ganz realen Hintergrund, womit auch dieser Kino-„Tatort“ sein ausgeprägtes Bewusstsein für gesellschaftliche und soziale Themen unter Beweis stellt. Dieser fulminante Auftakt liefert perfekt choreographierte und gewiss zahlreichen Komparsen viel Spaß bereit habende Szenen, wenngleich etwas befremdlich wirkt, weshalb die Rocker sogar mit Granaten werfen und unklar bleibt, auf wessen Seite sie eigentlich stehen. Womöglich ging es Gies aber auch schlicht um eine möglichst eindrucksvolle Darstellung von Chaos und Anomie. Eine solche Motorrad-Gang dirigiert Schimanski im weiteren Verlauf, als wäre er ihr Präsi, und zeigt den ersten von mehreren eindrucksvollen Stunts. Zusammenschlagen lassen muss sich der harte Horst jedoch ausgerechnet von der zartgliedrigen Ulli, deren Mann er nach einer gemeinsamen Nacht mit ihr kennenlernt…
„Reblaus? Ich kenn‘ nur Filzlaus!“
Auch Schimmis geplante Marseille-Reise verläuft nicht zwischenfallfrei: Thanner verhaftet den suspendierten Kollegen am Flughafen, doch Schimmi schlägt ihn k.o. und kann den Flug trotzdem antreten. In seinem Zimmer erwarten ihn jedoch ein toter Mittelsmann und die französische Kripo. Und diese ist genauso wenig von der Stippvisite des Duisburger Kollegen begeistert wie Fremdenlegionär Pierre Hacker (Rufus, „Der Mieter“). Während die Kamera malerische, Fernweh weckende Bilder der französischen Mittelmeerküste präsentiert, illustriert die Handlung die Hassliebe zwischen Schimmi und Ulli, die mal mit- und mal gegeneinander arbeiten, in jedem Falle aber einer großangelegten Verschwörung auf der Spur sind. Als subtiler Running Gag hält her, dass der bedauernswerte Deutsche einfach kein Bier bekommt.
„Monsieur Schimanski de Duisburg!“
Actionreiche, schöne Kampfchoreographien und coole Schimmi-Moves gehen mit einer prächtigen, sonnigen ‘80er-Atmosphäre einher. Sowohl Schimanski als auch Ulli werden oberkörperfrei ins Bild gerückt, Klaus Lages (Hard-)Rock untermalt zahlreiche Szenen und setzt sich im Ohr fest. Da Schimanski nicht nur den eigentlichen kreuzgefährlichen Feind sondern auch sowohl die französische als auch die deutsche Polizei gegen sich hat, wäre er auf sich allein gestellt, wäre da nicht Ulli – in der Konsequenz fast so etwas wie eine „Zu zweit gegen den Rest der Welt“-Außenseiterromanze, würde man die Mithilfe Alf Krügers Vaters (Herbert Steinmetz, „Berlin Alexanderplatz“) unterschlagen. Und in der Tat: Selbst zurück in Deutschland kann Schimmi den ehemaligen Kollegen nicht mehr vertrauen und muss Hilfe in der Unterwelt suchen. Was genau es mit den Immobilienkonflikten auf sich hat, geht jedoch leider etwas in Nebendialogen unter; markiger, schnoddriger oder aggressiver Meinungsaustausch genießt Priorität.
„Ihr Kollege Thanner hat wirklich recht: Sie sind ein Arschloch!“
Inklusive seines an Western gemahnenden finalen Duells ist „Zahn um Zahn“ über weite Strecken eine äußerst gelungene Mischung aus europäischen und US-amerikanischen Action-Vorbildern mit der deutschen Realität und dem bis dahin elf Episoden lang aufgebauten Duisburger „Tatort“-Universum, das sowohl jeglichen reaktionären politischen Unterton ausspart als auch auf den Ein-Mann-Armee-Quatsch der Amis verzichtet. So, also nicht auf die dumme Tour kommend, macht Actionkino wirklich Spaß. Diesen Spaß jedoch wollte man dem Publikum dann doch noch ein Stück weit nehmen und schloss mit für meinen Geschmack einer Explosion zu viel den Kreis zum ja bereits bedrückenden Beginn mit einer beinahe komplett ausgelöschten Familie und einem traumatisierten Kind. Andererseits wird „Zahn um Zahn“ damit zum Ende noch um eine tragische Note reicher und mündet in einer Pointe mit durchaus nachdenklicher Komponente, die die Polizei infragestellt und Fragen um Selbstjustiz aufwirft.
„Schimanski ist zurück, die erste Leiche haben wir schon!“
In Sachen Action war „Zahn um Zahn“ der vorläufige Höhepunkt der kultgewordenen Duisburger „Tatort“-Reihe, der aber auch über Blechschäden, Schusswechsel, Prügeleien und Pyrotechnik hinaus sehr viel richtig gemacht hat – etwas, wovon ein „Nick Tschiller“ heute nur träumen kann. Der Konflikt zwischen Schimanski und der Polizei sowie seine Zusammenarbeit mit einer Journalistin gingen jedoch zu Ungunsten Eberhard Feiks, dessen Figur Thanner hier auf die undankbareren Plätze verwiesen wird. Als aalglatter Schurke seine Leinwandwirkung unter Beweis stellen durfte hingegen Charles Brauer, der ebenso wie Nebendarsteller Martin Lüttge später selbst zum „Tatort“-Kommissar avancieren sollte.
„Sie will wie du auch zu viel wissen, auch ihr ist keine Spur zu heiß. Hinter Kohlenpottkulissen wäscht Kohle manche Weste weiß. Und die Kohle fällt nach oben; an solchen Herren hat sich allein schon mancher einen Bruch gehoben, doch ihr beide wart schon zwei…“