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Wenn man die Qualität eines Films nach seinen Geheimnissen beurteilen möchte, dann muss man DE LA GUERRE für eines der größten Werke aller Zeiten halten. Der Film ist nicht nur eine Schatztruhe an Geheimnissen, sondern selbst ein einziges Mysterium. Das fängt schon beim Titel an. DE LA GUERRE handelt also vom Kriege. Damit ist jedoch ganz offensichtlich nicht der Krieg gemeint, den Clausewitz in seinem berühmten Werk anspricht. Welchen Krieg Bertrand Bornello nun genau meint, das bleibt, wie vieles, bis zum Schluss offen und ist eine Frage, die sich jeder Zuschauer selbst beantworten muss. DE LA GUERRE ist dabei kein Film, der explizit Fragen stellt, sondern der dafür sorgt, dass sie sich von selbst in den Köpfen seines Publikums einstellen. Antworten liefert er natürlich keine. Der Zuschauer selbst muss sich den Film erschließen und die unzähligen Geheimnisse entweder aus seiner subjektiven Sicht heraus enträtseln oder sie unberührt belassen, wenn er will, dass der Film ein Mysterium bleibt, was den Gesamteindruck wohl kaum schmälern kann. DE LA GUERRE ist ein Film, den man lieben kann, ohne ihn komplett zu verstehen, den man vielleicht aufhört zu lieben, wenn man all seine Geheimnisse kennt. 

Sein Stil ist, im Gegensatz zu seinem Inhalt, recht eingängig, ruhig und unaufgeregt. Die Hauptperson dieses Films eines Regisseurs namens Bertrand ist ein Regisseur namens Bertrand, der gerade mit den Vorbereitungen für sein nächstes Werk beschäftigt ist. Es soll von einem jungen Mann handeln, der besessen von dem Gedanken an den Tod ist, und daher gerne und oft Zeit in den verschiedensten Bestattungsunternehmen verbringt, unter dem Vorwand, er suche einen Sarg für seinen Vater. Bertrand selbst äußert gegenüber einem Bestattungsunternehmer, dass er gerne eine Nacht in dessen Institut zwischen all den Särgen und Urnen verbringen würde, um sich emotional auf seinen neuen Film vorzubereiten. Dies wird ihm gewährt, doch die folgende Nacht verändert sein Leben. Bertrand legt sich in einen der Särge, probiert mehrere Positionen in ihm aus, wodurch sich versehentlich der Deckel schließt. Für die nächsten Stunden ist Bertrand mit sich allein in der Dunkelheit und muss warten bis am nächsten Morgen das Geschäft geöffnet wird und man ihn aus dem Sarg befreit.
Bertrand ist danach nicht mehr der, der er vorher war. Er scheint eine Leere in seinem Innern zu spüren, die er vorher nicht bemerkte. Weder seiner Freundin noch seiner Familie kann er sich mitteilen. Stattdessen schleicht er ziellos durch die nächtlichen Straßen von Paris und seine Schritte führen ihn wie von selbst zu dem Bestattungsunternehmen zurück. Dort trifft er Charles, für den es kein Problem ist, die verschlossene Tür des Geschäfts zu öffnen. Bertrand vertraut sich dem Fremden an, erzählt ihn von seinem Erlebnis im Innern des Sargs, von seiner vorher nie gekannten Konfrontation mit sich selbst. Charles berichtet ihn von einem Schloss auf dem Lande, in dem Seminare abgehalten werden, die Bertrand helfen könnten, und lädt ihn zu der Gruppe ein, von der er selbst ein Teil ist. Bertrand verlässt also Paris, ohne irgendwem eine Notiz zu hinterlassen, wo er sich aufhält. Vier Wochen soll sein Aufenthalt in besagtem Schloss dauern. Zunächst zeigt Bertrand sich verwundert über das, was ihn in dem Schloss erwartet. Unter der Leitung einer jungen Frau stellen die Bewohner einige äußerst obskure Experimente mit sich an. Man zieht sich Tiermasken über und stellt Szenen nach, die aus pornographischen Büchern vorgelesen werden. Man isst, schläft und spricht tagelang nicht. Man führt stundenlange Meditationsübungen durch. Das Ziel soll das Vergnügen sein. Pur und ungefiltert. Physisch wie psychisch. Und natürlich bereitet man sich auf den Krieg vor. Uma, die in den Mitgliedern der Gruppe so etwas wie ihre eigenen Kinder sieht, denen sie sowohl Vater als auch Mutter sein will, lässt die Seminarteilnehmer eine regelrechte paramilitärische Ausbildung durchlaufen. In Tarnanzügen robbt Bertrand durch die Wälder, die das abgeschiedene Domizil der Gruppe umschließen, wenn er nicht gerade zu ohrenbetäubender  elektronischer Avantgardemusik in Trance tanzt oder mit Charles und anderen Teilnehmern seine körperlichen und geistigen Grenzen auslotet.
Verändert kehrt Bertrand nach Paris zurück. Er fühlt sich frei wie nie zuvor. Und stößt bei seinen Mitmenschen auf Unverständnis. Seine Freundin scheint die Liebeserklärung, die er ihr macht, nicht wirklich zu begreifen. Seine Mutter versteht noch weniger, dass er sich zu dem Entschluss durchgerungen hat, seinen Film nicht zu drehen, überhaupt keine Filme mehr zu drehen, sondern ein neues Leben zu beginnen. Desillusioniert kehrt er der Stadt den Rücken zu und findet sich bei seiner alten Gruppe ein. Uma begrüßt ihn enthusiastisch. Inzwischen haben die Kriegsvorbereitungen feste Gestalt angenommen. Man verfügt über Waffen, Schützengräben im Umland und den Willen zu kämpfen. Doch Bertrands altes Leben will ihn nicht in Ruhe lassen. In Gestalt seiner Freundin versucht es, in die hermetische Abgeschlossenheit des Schlosses einzudringen… 

DE LA GUERRE kann man, wie jeden Film, auf einer emotionalen und einer rationalen Ebene verstehen. Selbst wenn einem für die Geschichte, die in Wirklichkeit noch etwas ungewöhnlicher umgesetzt wurde als die Inhaltsangabe vermuten lässt, jegliches Verständnis fehlt und einem ein Großteil des Films wie eine mehr oder weniger sinnlose Aneinanderreihung von seltsamen Szenen erscheint, kann ich mir nicht vorstellen, dass einen die emotionale Ebene unberührt lässt. Schon lange hat mich kein Film mehr zu Tränen gerührt, doch DE LA GUERRE schaffte es gleich mit mehreren Szenen. Dabei waren es nicht mal die Szenen innerhalb des Schlosses, die mich am meisten beeindruckten. Die sind natürlich die aufsehenerregendsten und entführen in eine andere, unbekannte, fremde und auch irgendwie beängstigende Welt, in der lange unterdrückte Gefühle nach außen gespült werden und eine ständige Bedrohung über allem zu liegen scheint.
Noch mehr haben mich jedoch die Szenen bewegt, in denen Bertrand nach seiner ersten vierwöchigen Auszeit nach Paris zurückkommt. Wenn er in dem Plattenladen, wo sie arbeitet, seine Freundin überrascht, bei der er sich wochenlang nicht meldete, und ihr auf dem Boden hinter der Theke einige der schönsten Sätze sagt, die ich in meinem Leben hören durfte, gehört das für mich zu den größten und traurigsten Momenten der Filmgeschichte, denn trotz allem Überschwang der Gefühle von Bertrands Seite ist zwischen ihnen eine unüberbrückbare Distanz, die sie scheinbar nicht überwinden will oder kann. Auch das minimalistische Ende ist an Emotionalität kaum zu überbieten und steht in angenehmem Kontrast zu all den irrealen Szenen zuvor. Die entwickeln sich überdies völlig natürlich aus der Geschichte heraus. DE LA GUERRE ist kein Film, der ständig auf sein Arthouse-Label pochen muss. Selbst wenn Bonello sein Werk in einen namenlosen Prolog und drei Kapitel unterteilt, die nicht etwa klassischer Natur sind, sondern Livre I: La Natue de la Guerre, Livre IV: L’Engagement und Livre VII: L’Attaque lauten, hat das nichts von bemühten Versuchen, ja nicht den Konventionen zu entsprechen, sondern ergibt innerhalb des Kosmos des Films durchaus Sinn.
Vor allem die Schauspieler kann man schlussendlich nicht genug loben und für alle Cineasten hat Bonello zudem einige Filmanspielungen in DE LA GUERRE versteckt, die genauso unaufdringlich daherkommen wie der gesamte Rest.
Zu erwähnen ist vielleicht noch, dass Sex und Gewalt auch Bestandteil von DE LA GUERRE sind, dass der Tod in die Abgeschiedenheit der Gruppe einbricht und dass in ihr auch durchaus miteinander kopuliert wird, doch rückt Bonello diese Themen nie explizit in den Mittelpunkt. Wer auf Gewaltausbrüche oder besonders anstößige Sexszenen hofft, wird enttäuscht werden.  

Es ist beruhigend zu sehen, dass selbst im Jahre 2008 noch Filme gedreht werden, die zwar von ihrem Publikum fordern, sich selbst in sie einzubringen, es jedoch niemals überfordern und ihm im Gegenzug etwas Seltenes schenken: das Gefühl, etwas Großem beigewohnt zu haben.

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