Das Problem bei Hypes und/oder falscher Promotion ist, dass schlichtweg außerirdisch hohe Erwartungen entstehen, die so nie erfüllt werden können, weshalb der Film zwangsläufig scheitern muss. Nur ist es leider wegen des Internets, der Presse oder der guten alten Mundpropaganda heutzutage kaum noch möglich, sich eines Hypes gänzlich zu verschließen, geschweige denn, zu erwehren. Was bleibt einem also übrig, als entweder aus Protest schon den Film zu ignorieren oder dem einfach nachzugeben, um sich schleunigst ein eigenes Bild zu machen. So auch bei "Martyrs", der für enormen Trubel bei Presse, Fans und, in Frankreich, sogar Politik generieren konnte. Als Sprössling der aktuellen französischen Horror-/Terrorfilmwelle, macht "Martyrs" im Grunde keine Anstalten, das auch zu verleugnen. Dabei fängt der Film mit einem unglaublichen Tempo und höchster Intensität an, fährt wahrlich blutige Geschütze auf und lässt seine Protagonistinnen wie im Wahn überaus überzeugend agieren. Spannung kommt hier wie üblich auf, es gibt einige dezente Erschrecker, während ein vermeintlich rätselhaftes Wesen seinen Schabernack treibt. Hier stellt sich bereits die Frage, wie denn der Film das noch selber toppen will (wenn er es denn will). Wenn der Film jedoch nach einiger Zeit, im wahrsten Sinne, in die Tiefe geht, ändert sich auch der Film an sich fast komplett. Das Tempo wird vollends rausgenommen, es beginnt das große titelgebende Martyrium, welchem ausführlichst gefröhnt wird und welchem man als Zuschauer nicht entkommen kann. Dieses ist wahrlich konsequent und direkt bebildert worden und lässt glücklicherweise die ganz harten Splattereffekte aus, derer es hier in dieser komplett ironielosen Gestaltung eh nicht mehr bedarf. Immer und immer wieder wird man Zeuge, wie die Hauptfigur geschlagen, gefüttert, geschlagen, gefüttert und wieder geschlagen wird, bis die Wiederholung allmählich ermüdend wird. Das ist in dieser Direktheit wahrlich harter Tobak und doch irgendwie viel mehr nicht. Spannung kommt in dieser Phase bis hin zum Filmende eigentlich nur durch die falsche, aufgrund klassischer Genrekonditionierung entstehende Erwartung auf, dass in bestimmten Szenen gleich etwas unvorhergesehenes passiert, ein Schockmoment etwa. Tatsächlich lässt das die Inszenierung auch das eine oder andere mal vermuten, was sich aber letztendlich als falsche Fährte herausstellt und auch nicht Ziel des Filmes ist (die Spannung bleibt aber dennoch aufrecht). Das sonst klassische Unbekannte entlarvt sich in der Filmmitte allzu schnell selber und gibt die Richtung des Filmes vor, weshalb der Verlauf eigentlich gar nicht überrascht, ebenso wenig wie das grande finale, über das sich die halbe Internetwelt den Mund zerredet, wie es denn gedeutet werden kann, ob man es überhaupt deuten kann und soll und welches die einen als komplett blödsinnig, die anderen als Manifestation künstlerisch hohen Anspruchs ansehen. Tatsächlich hinterlässt der Film Fragen und bietet somit Raum für Interpretation, was ihn durchaus hervorhebt. Inwieweit das allerdings bereits zu einem Kunstfilm reicht, wie oftmals im Internetdiskurs zu diesem Film zu vernehmen ist, soll an dieser Stelle unkommentiert bleiben. Ebenso ist das unfassbare Martyrium der Hauptfigur stets Fokus der Diskussion. So unglaublich hart und verstörend sei es, dass es seinesgleichen sucht. An dieser Stelle muss aber die Kritik erlaubt sein, dass die leidende Figur nur äußerst leidlich als richtiger Charakter nahegebracht wird. Über einen besonderen Hintergrund oder gar besondere Charakterzüge verfügt sie nicht, stattdessen wird sie gleich von Anfang an als eine Art Opfer eingeführt: Zweifelnd, ängstlich, zwar getrieben von einem prinzipiell edlen Motiv (der Freundin beistehen), jedoch damit wiederum ein Opfer eben dessen. Als Gegenbeispiel sei der südkoreanische Rape-and-Revenge Thriller "Bedevilled" genannt, in welchem die weibliche Hauptperson ebenfalls heftiges Durchstehen muss, jedoch dem Zuschauer vorher ans Herz wachsen kann, was der Identifikation und dem empfundenen Mitleid nur zuträglich ist.
Nimmt man die pseudo- plottwistartige Erklärung der Geschehnisse weg, so ist "Martyrs" irgendwie zwei Filme in einem: Ein kleiner harter Horrorschocker und, etwas polemisch überspitzt, "La Passion de Jeanne d'Arc" von Carl Theodor Dreyer im neuzeitlichen Gewand (abzüglich etwaiger religiöser Motive). "Martyrs" ist mitnichten ein schlechter Film, er ist sehr gut inszeniert und spannend, ein sehr guter Vertreter seiner Zunft, der Unbehagen verbreitet und durchaus in der Lage ist, nachzuwirken. Mehr schafft er jedoch nicht und so bleibt abschließend zu sagen, dass man nicht alles zu etwas hochjubeln muss, was es letztendlich gar nicht ist.
6/10