Frankreich, 1971: Panisch und nur mit völlig verdreckter Unterwäsche am Körper rennt die zehnjährige Lucie (Jessie Pham) über ein altes Fabrikgelände. Vor einem Jahr wurde sie von Unbekannten entführt, in einen kargen, dunklen Raum gesperrt und immer wieder scheinbar grundlos misshandelt, gefoltert und gedemütigt. Als das Mädchen nach ihrer Flucht schließlich am Straßenrand aufgefunden wird, ist es gebrochen und nur noch ein Schatten seiner selbst, das Erlebte hat sich ihr zu tief eingebrannt, als dass sie es verarbeiten könnte. Auch die Polizei kann sich keinen Reim auf die schreckliche Tat machen, da die Zehnjährige keinerlei Zeichen von sexuellem Missbrauch aufweist. Die verstörte Lucie kann keine Hinweise zu den Tätern liefern und wird somit in ein Heim gebracht, wo ihr fortan psychologische Betreuung zuteil wird und wo sie sich über die folgenden Jahre langsam mit der gleichaltrigen Anna (Erika Scott) anfreundet.
15 Jahre später klingelt es eines Sonntagmorgens an der Tür eines beschaulichen Einfamilienhauses. Der Familienvater öffnet die Tür und blickt direkt in den Lauf einer doppelläufigen Schrotflinte, die nicht nur ihm, sondern auch dem Leben seiner Frau und seiner beiden Kinder daraufhin ein blutiges Ende bereitet. Die Täterin ist keine andere als die mittlerweile zur jungen Frau herangereifte Lucie (Mylène Jampanoï), die in dem unscheinbaren Ehepaar die Bestien aus dem Folterverlies zu erkennen glaubte. Nach der Tat meldet sie sich bei ihrer langjährigen Freundin Anna (Morjana Alaoui), die ihr Entsetzen über dieses Blutbad jedoch verborgen hält und Lucie dabei hilft, die Leichen zu entsorgen. Als dann aber plötzlich eine entstellte Kreatur im Haus auftaucht, beginnt die entsetzliche und unmenschliche Marter von Neuem...
Es gibt immer wieder Filme, die bereits vor ihrem eigentlichen Erscheinen für heftige Furore sorgen, gerade innerhalb der Horror-Fanszene ist dieses Phänomen in regelmäßigen Abständen und bei den unterschiedlichsten filmischen Vertetern zu betrachten. In letzter Zeit hat sich der Fokus der euphorischen Erwartungshaltung aller Genre-Insider aber hauptsächlich auf Produktionen aus französischen Landen konzentriert. Seit Alexandre Aja's gnadenlos kompromisslosem Schocker "High Tension" gelten die Franzosen als die vertrauenswürdigsten Exporteure grenzüberschreitender Genre-Ware und so wundert es nicht, dass Aja's Landsleute schnell auf diesen Zug aufsprangen und in den folgenden Jahren mit Werken wie der kannibalistischen Nazi-Schlachtplatte "Frontier(s)" und dem blutdurchtränkten, filmischen Tabubruch "Inside" erneuten Tumult in Horror-Kreisen auslösten. Nun stehen diese Titel aber bereits seit geraumer Zeit im Schatten eines anderen französischen Filmes, dessen berüchtiger Ruf ihm zwischenzeitlich meilenweit vorauseilte. Das betreffende Werk eines gewissen Pascal Laugier hört auf den klangvollen Titel "Martyrs" und wurde bereits vor den ersten Aufführungen als das grenzüberschreitendste, kontroverseste und abartigste Stück Folter-Zelluloid gehandelt, das seit Beginn der Folterfilmwelle das Licht der Welt erblickte. Ankündigungen zufolge sollte es sich bei "Martyrs" gar um eines der verstörendsten Werke aller Zeiten handeln und die ersten Rezensionen nach der Aufführung des Films auf dem Fantasy Filmfest straften diese Gerüchte keinesfalls Lügen. Inwischen hat "Martyrs" in seiner ungeschnittenen Form den Weg in den deutschen Verleih gefunden, nun kann sich also jeder Interessierte mit einem starken Nervengerüst sein eigenes Bild von einem der kontroversesten Filme der letzten Jahre machen.
Filme, die eine schockierende Wirkung nicht nur großspurig ankündigen, sondern letztendlich auch einhalten, sind inzwischen zu einer Seltenheit geworden. Werke wie die vielzitierten Folter-Vorreiter "Hostel" und "Saw" machten die sogenannten Torture-Porns salonfähig und führten das breite Publikum an eine bis dato unbekannte Auslotung der gängigen Gewaltkonventionen heran. Seitdem sind nun aber schon wieder ein paar Jahre vergangen, Gore-Exploitation der härteren Gangart ist selbst im Mainstream-Horrorkino längst Gang und Gäbe. Dies dürfte den Anlass für einen jungen, französischen Regisseur namens Pascal Laugier gegeben haben, diesem Trend ein derart schonungloses und schockierendes Werk entgegenzustellen, dass der Torture-Porn sich daraufhin nur selbst überleben kann. Mit "Martyrs" wurde nun zweifelsohne alles gesagt, wurden alle möglichen Mittel erprobt, um das Publikum nicht zu unterhalten, sondern es an einem wunden Punkt zu treffen, wie es die ursprüngliche Intention dieser spezifischen Filmart seit jeher war. Jede weitere, versuchte Steigerung dessen, was Laugier in "Martyrs" an Folter, Leid und purem Wahnsinn auffährt, würde unweigerlich in einer ermüdenden und unglaubwürdigen Karrikatur enden, denn viel weiter als bis zu einem gewissen Punkt kann ein Regisseur einfach nicht gehen, ohne seinem Werk schon wieder karikatureske Züge angedeihen zu lassen.
Ob die vielzählig angewandten Superlative, die bereits genutzt wurden, um "Martyrs" einigermaßen treffend in Worte zu fassen, letztendlich zutreffen oder nicht, ist wie bei jedem anderen Film auch eine sehr subjektive Frage. Zweifellos aber dürfte die Wirkung dieses filmgewordenen Albtraums bei einem Großteil des Publikums die selbe sein und Reaktionen hervorrufen, die von Ekel und Abscheu, bis hin zu Unglauben und Angst reichen. Das Ziel von "Martyrs" ist es, zu schockieren und zur Erreichung dieses Ziels verließ sich Pascal Laugier auf das einzige, was selbst einem hartgesottenen Filmfan noch einiges abverlangt. Statt sich, wie so viele andere, ähnliche Produktionen dieser Tage in ausufernden Blutbädern zu verlieren, deren übersteigerte Brutalität schlußendlich lediglich an Glaubwürdigkeit einbüßen lässt, bringt "Martyrs" die Gewalt zu ihrem Kern zurück und präsentiert sie als etwas, das keiner abgetrennten Gliedmaße bedarf, um den Zuschauer aufs Äußerste zu schockieren. Absolut willkürlich werden im Verlauf der Handlung Menschen, überwiegend Frauen und Kinder, entführt und anschließend mitunter jahrelang unter unmenschlicher Folter in sterilen Kellerräumen oder dunklen und verdreckten Zimmern gefangen gehalten. Szenen, in denen die weinenden und verzweifelten Opfer minutenlang geschlagen und erniedrigt werden sind in "Martyrs" keine Seltenheit und zehren nach einer Weile deutlich an den Nerven eines zartbesaiteten Publikums.
Der Film bewegt sich weg von all zu graphischen Ausuferungen und stellt die Gewalt als etwas dar, dessen permanente Anwendung und Ausübung einen Menschen in seiner Würde und seinem Selbstverständnis vollkommen bricht und selbst von Erwachsenen nach einer kurzen Zeit nicht mehr zurücklässt als ein Häufchen willenlosen Elends. Um dies dem Zuschauer in aller Effizienz und Brachialität darbieten zu können, führt "Martyrs" mit Lucie und Anna zwei durchaus charismatische Hauptfiguren ein. Lucie ist aufgrund der an ihr ausgeübten Grausamkeiten im Alter von zehn Jahren selbst als erwachsene Frau noch dem Wahnsinn verfallen und sieht in ihrer Fantasie die Erscheinung einer entstellten und grässlich misshandelten Frau, die sie regelmäßig zu blutrünstigen Akten der Selbstverletzung treibt. Anna hingegen ist der vernünftige Anker in der freundschaftlichen Beziehung der beiden Frauen, die Lucie in deren Wahnsinn eine ständige Stütze zu bieten versucht und sich zu ihr, wie in manchen Szenen deutlich wird, nicht nur auf platonischer Basis hingezogen fühlt. Das Publikum folgt bereitwillig dem leidensweg dieser beiden Frauen, der sie letztendlich in einen Albtraum treibt, aus dem es kein Erwachen mehr gibt.
"Martyrs" wurde in seinem Heimatland zuerst nur Erwachsenen zugänglich gemacht und hatte somit einen Status inne, der in Frankreich ansonsten nur pornographischen Filmen vorenthalten ist. Erst durch den Einsatz der französischen Kultusministerin Christine Albanel erhielt Pascal Laugier's Werk letztlich eine niedrigere Freigabe, was ohne Frage auch für sich selbst spricht. Obwohl dieses Werk von vielen als nichts anderes als kranke und wiederwärtige Folter-Exploitation aufgefasst werden wird, ist er im Grunde doch sehr viel mehr als das. "Martyrs" ist ein unberechenbares und unvorhersehbares Psychogramm über die Folgen von Gewalt, Leiden und Missbrauch und kommt einer Reise ins tiefste Innere menschlicher Perversionen und Abgründe gleich. Eine absolute Grenzerfahrung, die von Laugier in eine überaus gekonnte Inszenierung und in absolut passende Settings gekleidet wurde. Sein im Grunde niedriges Budget ist "Martyrs" zu keinem Zeitpunkt anzusehen, schlußendlich bleiben Aspekte wie die übersichtliche Kameraführung, der perfide Score und die grandiosen Kulissen absolut positiv in Erinnerung.
Es muss vermutlich nicht angeführt werden, dass "Martyrs" denkbar schlechte Kost für Gore-Junkies oder für einen Horror-Abend in geselliger Runde darstellt. Laugier's Werk ist ein Ungeheuer von einem Film, das einen mit voller Kraft in der Magengrube trifft und selbst gestandene Allesseher wie benommen zurücklassen wird. Neben einem allgegenwärtigen, nur schwer zu verdauenden und fast schon körperlich spürbaren Schmerz wartet dieses Werk zudem mit Bildern auf, die sich dem Publikum regelrecht ins Gehirn brennen und dort für lange Zeit verweilen werden. Etwas Schrecklicheres als eine Frau, deren geschundener Körper eine einzigen Fläche aus Schnitten und Verstümmelungen gleicht und die, unterernährt und mittlerweile völlig wahnsinnig, nur noch wenig Ähnlichkeit mit dem Menschen aufweist, der sie einmal gewesen sein muss, hat man in ähnlichen Filmen noch nie gesehen. Dagegen wirkt eine Szene, in der ein Schädel mit einem Hammer regelrecht zu Brei geschlagen wird beinahe schon harmlos, die durchaus vorhandenen und blutigen Gore-Spitzen stellen im Falle von "Martyrs" lediglich einen sehr geringen Teil der dargebotenen und nur schwer in Worte zu fassenden Gewalt dar.
Morjana Alaoui und Mylène Jampanoï wissen in den Hauptrollen absolut zu gefallen. Jampanoï mimt die gebrochene Frau, die unaufhörlich von den schrecklichen Erlebnissen aus Kindertagen verfolgt wird. Auf ihrer Flucht aus dem Fabrikgebäude sah sie in einem Raum eine durch permanente Stromstöße völlig entstellte und um Hilfe flehende Frau, der sie jedoch zur Rettung ihres eigenen Lebens nicht helfen konnte. Seitdem wird Lucie im Geiste von eben jener geschundenen Toten verfolgt, die sie immer wieder zu selbstverletzenden Taten treibt. Mylène Jampanoï schafft es, den zerrütteten Wahnsinn ihres Charakters absolut glaubhaft zu vermitteln, während man Morjana Alaoui sofort die Rolle der aufopfernden und gutherzigen Freundin abkauft, die durch Lucie letztendlich selbst in eine Welt aus Folter und Leid gezogen wird, aus der es für sie kein Entkommen mehr zu geben scheint.
"Martyrs" ist eine Grenzerfahrung in jeder Hinsicht. Ein Film wie ein Hammerschlag, der nicht nur zartbesaitete Zuschauer über alle Maßen verstören und aufrütteln wird. Pascal Laugier schuf hier einen Film, der ungläubiges Entsetzen entstehen lässt und somit nur schwerlich mit anderen, bekannten Torture-Machwerken verglichen werden kann, deren einziges Ziel die Inszenierung immer drastischerer Gore-Schlachten darstellt. "Martyrs" setzt den Fokus hingegen nicht auf Blut und Eingeweide, sondern kommt mit einer abgründigen, psychologischen Härte daher, die in ihrer garstigen und pessimistischen Gnadenlosigkeit sicherlich ihresgleichen sucht. Natürlich muss letztendlich jeder für sich selbst entscheiden, ob er sich so etwas zumuten will oder kann, doch für volljährige Interessierte mit starken Nerven stellt "Martyrs" ohne Frage eine einzigartige Erfahrung dar, die so schnell nicht wieder vergessen werden wird.