Review

"Gestern mittag wurde .... Anna Assaoui gemartert. Ich bitte Sie, ihr den Respekt zu zollen, den sie verdient..."

Dieser Satz, ziemlich am Schluß des Films, scheint mir der einzigste Hinweis darauf zu sein, daß Martyrs möglicherweise einen winzigen Funken Sozialkritik enthalten könnte. Allerdings, dieses Mini-Feigenblatt kann nicht verdecken daß hier ein weiterer torture-porn vorliegt, der bestenfalls ein paar zusätzliche abstruse Plottwists einführt, um sich wenigstens in irgendetwas von Inside und Konsorten zu unterscheiden. Denn daß es auch in Martyrs ausschließlich um explizites Foltern geht sollte jedem Zuseher von Anfang an klar sein.

Der Film besteht eigentlich aus 2 Teilen, die sich von Kameraführung und Erzählstil her grundlegend unterscheiden.
Zu Beginn erfolgt ein recht unmittelbarer Einstieg mit einem Kind (Julie), das mit irrem Blick schreiend durch die Strassen läuft. Später bei der Polizei und im Spital kann die Kleine, die in eine Art Mutismus verfallen ist, nicht beschreiben was ihr widerfahren ist; nur einer gleichaltrigen Freundin vertraut sie sich an. 15 Jahre später erkennt sie ihre Peiniger auf einem Zeitungsbild wieder, und schon nimmt die übliche Rape-and-Revenge-Geschichte ihren Lauf: eine 4-köpfige Familie wird kommentarlos mit einer großkalibrigen Waffe terminiert, PENG-PENG reißt es große Löcher in alle Anwesenden, schnell geschnitten, aber immer gut erkennbar, saubere SFX. Die per Handy herbeigerufene Freundin Anna (Morjana Alaoui) hat beim Spurenbeseitigen schon Gewissensbisse und muß feststellen, daß Julie (Mylène Jampanoï) psychische Schäden hat, die noch für einige Dramatik sorgen. Der hierbei verwendete Plottwist ist nicht ganz neu und kommt daher auch nicht ganz unerwartet, mündet in Julies Selbstmord und wäre nach ca. 45 Minuten Laufzeit auch ein vertretbares Filmende. Leider ist dem nicht so, denn nun beginnt der 2. Teil des Films, auf den man besser verzichtet hätte.

Dieser 2. Teil beginnt mit einem so katastrophalen Logikloch, daß es einem glatt die Schuhe auszieht: Anna, ab sofort alleinige Hauptdarstellerin, befindet sich allein bzw. mit mehreren Leichen in einem fremden Haus, aber statt sich irgendwie um Hilfe zu bemühen, erkundet sie mit geradezu kindlicher Neugier den Keller des Hauses! Ab diesem Zeitpunkt wird klar, hier gehts nur noch um die graphische Darstellung von Gewalt, das kleine bißchen Spannung aus der 1. Filmhälfte sinkt auf den absoluten Nullpunkt und man kann Wetten abschließen darauf, wieviel Filmminuten bis zum ersten blutigen Schockeffekt vergehen. Der kommt schon recht bald, erschrecken kann er aber nicht, da Anna hier wieder entgegen jeglicher Logik ein gefangenes Mädchen befreit und, statt wenigstens jetzt die Polizei zu rufen, die SFX-technisch schön grauslich Entstellte zu Supermarktklängen in die Badewanne setzt. Schließlich kommen dann ein paar Leute in schwarzen Anzügen und Anna wird selbst Gefangene. Eine total unglaubwürdige Geschichte bekommt sie erzählt bevor sie selbst gefoltert wird, und des Regisseurs Intention des ganzen Szenarios wird immer deutlicher: Ein junges Mädchen verdreschen, torture-porn-üblich mit lauten Klatschgeräuschen, immer wieder Ohrfeigen, ins Gesicht, immer ins Gesicht. Jegliche Logik, auch die an den Haaren herbeigezogene Begründung im Film selbst, ist längst abhanden gekommen wie die Kopfhaare von Anna, und am Ende gibts eine unglaublich dämliche Auflösung, die den Film nicht wirklich abschließt, in sich falsch begründet und zudem nicht zu Ende geführt ist und nichts anderes als eine Verarschung des Zusehers darstellt. Eine Verarschung, keine Veralberung. Letzteres wäre noch in Ordnung, aber hier wird das Publikum low-level verarscht. Marsmännchen sind glaubwürdiger als das was Regisseur Laugier hier als Begründung auftischt.

Zu den Darstellern: Mylène Jampanoï als Anna ist genauso wie Julie (Morjana Alaoui) keine schlechte Wahl: Beide sind hübsche junge Mädels aus der Nachbarschaft, "mit Migrationshintergrund", wie es so schön heißt. Ihre darstellerische Leistung ist bestenfalls durchschnittlich, was natürlich am Drehbuch liegt, das ihnen außer wenigen eher belanglosen Sätzen nur Schmerzgrimassen zubilligt. Da sich die torture-porn-Klientel aus geschätzen 99% Männern rekrutiert, wecken Anne und Julie, die wie etwa 16- bis 17jährige wirken (obwohl sie laut Filmstory Anfang 20 sein müssten), wohlkalkulierte Schutzinstinkte. Dennoch gelingt es mangels fehlender Background-Infos zu den Beiden nicht, größere Sympathiewerte oder gar ein Mitfiebern zu erreichen. Alle anderen Beteiligten (inklusiv der abgedrehten Turban-tante) haben mehr oder weniger nur die Rolle von Statisten.

Zur Darstellung der Gewalt: Im 1. Teil noch reichlich blutig mit schnellen Schnitten dem Schema F folgend, wirds im 2. Teil durch Isolation und völligen Kommunikationsmangel eher psychologisch. Das Set (ein sauberer, fast schon steriler und vor allem geräumiger Keller) läßt keinerlei Vergleiche mit Saw oder Hostel (und schon überhaupt nicht mit dem Fall Fritzl in Amstetten) zu; und wo Inside beispielsweise die hochglanzpolierten Klingen einer Schere in Großaufnahme zeigt, bevor sie mit voller Wucht in den Bauch sausen, hält sich Martyrs eher dezent zurück: Aus der Hinterkopf-Perspektive kriegt Anne ihre Ohrfeigen, oder aber man sieht den Rücken ihres Peinigers, wenn er zu den Schlägen ausholt. Dies verfehlt zwar seine Wirkung nicht, wirkt aber weit weniger plakativ als in anderen torture-porns. Dafür sieht man die Folgen der Schläge umso deutlicher, Anna Gesicht schwillt immer mehr zu. Hier sind die überzeugenden SFX nochmals zu erwähnen, die zu den wenigen Pluspunkten des Films gerechnet werden können. (Indes, die Häutung am Ende ist schlicht lächerlich geraten).

Es mag reiner Selbstzweck von Regisseur Laugier sein, das Thema Sexualität völlig auszusparen, dennoch wecken Bilder eines spärlich beleuchteten Kellers, in dem ein glatzköpfiger Kleiderschrank ein wimmerndes Mädchen, das nur mit Slip und Unterhemd bekleidet sich vor Schmerzen am Boden krümmt, ganz andere Erwartungen... oder Befürchtungen. Dankenswerterweise bleibt dem Zuseher diese Art von Folter erspart. Und dem Film ein mögliches Totalverbot auch im liberaleren Frankreich.

Eine Frechheit ist die namensgebende Assoziation mit den Begriffen "Märtyrer" oder "Martyrium": Ein ebenso billiger wie durchschaubarer Trick, diesem torture-without-porn einen quasi-literarischen Anstrich zu verleihen. Martyrs ist eine Vorstufe zu Snuff, inkonsequent in der Gewaltdarstellung, unlogisch in der Handlungsweise der Darsteller, nicht ernst zu nehmen durch seinen lächerlichen Begründungsklamauk. Keine Empfehlung.

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