Review

"Burn after Reading" ist ein Film, über den es sich prächtig philosophieren lässt. Beginnen könnte man schon mit der fehlenden Übersetzung des Filmtitels ins Deutsche. "Bitte nach dem Lesen verbrennen" verdeutlicht den hintergründigen Humor der Coen Brothers, da dieser Satz im Film gar nicht fällt, sondern eher als Off-Kommentar wirkt, dem man dem gesamten Film nachrufen möchte. Der Verzicht auf diese einfache inhaltliche Umsetzung - obwohl jedem englischsprachigen Zuseher der Titel ohne Umschweife serviert wird - hat mit dem deutschen Missverständnis von Coolness zu tun, dass sich oft schon im Gebrauch von Anglizismen zu erfüllen glaubt.

Cool sind die Coen-Brüder tatsächlich, aber nicht in der vordergründigen Art, die gerne damit verwechselt wird. Cool ist es zum Beispiel, dass Joel Coen seine eigene Frau Frances McDormand beim Schönheitschirurgen vortreten lässt, und die 51jährige ihre körperlichen "Schwachstellen" dabei vorzeigt und entsprechend kommentiert. Cool ist auch die Form, mit der hier menschliche Dummheit serviert wird, die alleine für das Zustandekommen der geschilderten Ereignisse zuständig ist. Allerdings kommt den Coen-Brüdern und ihren Mimen George Clooney und Brad Pitt ihr eigener Ruf in die Quere, da die Handlung wahlweise von skurril, satirisch bis (selbst)parodistisch eingeordnet wird, aber nie so ,wie sie benannt werden sollte - als normal.

Gut, die Handlungsstränge um das CIA, dessen Unfähigkeit zur Erkennung einfachster Zusammenhänge körperlich schmerzhaft wirkt, sind höchstwahrscheinlich etwas übertrieben, aber nehmen im Coenschen Universum eher eine Nebenrolle ein. Tatsächlich wirkt Osbourne Cox' (John Malkovich) Reaktion auf seine Entlassung aus dem Geheimdienst alles andere als dumm, denn er durchschaut sofort das Manöver seiner Vorgesetzten. Seine "Dummheit" liegt weniger in fehlenden intellektuellen Fähigkeiten, sondern in seiner Selbstüberschätzung, die ihn dazu antreibt, über sein unwichtiges Geheimdienstleben Memoiren schreiben zu wollen.

Ähnliches lässt sich über seine Ehefrau Catie Cox (Tilda Swinton) sagen, die als Kinderärztin eine eigene Praxis hat. Auch hier wäre der vordergründige Vorwurf der "Dumpfheit" viel zu ablenkend, denn Tilda Swinton gelingt es sehr gut, ihre fehlende moralische Instanz zu verdeutlichen. In sämtlichen Aktionen, in denen sie hier gezeigt wird - sei es beim abendlichen Dinner, sei es beim Sex mit ihrem Liebhaber Harry Pfarrer (George Clooney) oder bei ihrer Arbeit - ist keine Emotion zu spüren. Im Gegenteil drückt Tilda Swinton mit ihrem fast unbeweglichen Gesicht die zwanghafte Intention aus, alles zum eigenen Vorteil gestalten zu müssen, ohne das dabei erkennbar wird, dass ihr das irgendwelche Freude bereiten würde. Die Coens porträtieren mit dem Ehepaar Cox eine gehobene Mittelschicht, deren Tuen sich nicht mehr durch echte Bedürfnisse, sondern nur noch durch äußere Zwänge definiert. Wer das als "Dumm" bezeichnet, lenkt von einem Verhaltensmuster ab, das nicht nur die amerikanische Gesellschaft längst erfasst hat.

Näher scheint man Clooneys Rolle als ehemaligem Personenschützer Harry Pfarrer mit dieser Bezeichnung zu kommen, denn dessen notorischer Zwang zu Körperertüchtigung und wechselnden Sexualpartnerinnen, samt selbst kreiertem "Sexstuhl", wirkt in seiner alltäglichen Beschäftigung noch hohler. Auch ihm wird eine "gleichwertige" weibliche Rolle zur Seite gestellt. In diesem Fall aber nicht seine Ehefrau, die als Kinderbuchautorin auch nicht ohne rollentypische Seltsamkeiten bleibt, sondern die Fitness-Studio Mitarbeiterin Linda Litzke (Frances McDormand). Deren Intentionen werden ausschließlich von dem Wunsch, diverse Schönheitsoperationen an ihrem Körper durchführen lassen zu wollen, voran getrieben.

Nicht ohne Grund treffen Pfarrer und Litzke in ihrem egoistischem Antrieb aufeinander, da sie Beide ständig im Internet nach neuen Partnern suchen, mit denen sie geradezu automatisch ins Bett gehen. Wer ein wenig zeitgenössische Statistiken verfolgt, erkennt schnell, dass die Coens hier nicht weniger als beim Ehepaar Cox ein realistisches Gesellschafts-Phänomen schildern. Auch bei diesen Protagonisten liegt die Dummheit nicht in mangelnden Fähigkeiten. Im Gegenteil lässt Linda Litzke eine erstaunliche Energie in der Umsetzung ihres Ziels erkennen, Geld für die Operationen aufzutreiben, so wie auch Pfarrer viel Geschick aufweist, seine unterschiedlichen Liebschaften unter einen Hut zu bringen. Auch ihnen kommt vor allem das Fehlen jeglicher realistischer Selbsteinschätzung und echter Emotionen in die Quere.

Spätestens an der Gestaltung der zwei übrig gebliebenen Personen des hervorragend spielenden Ensembles ist die Coensche Intention zu erkennen, die mit "Burn after Reading" unserer Gegenwart viel näher ist, als es ihr letzter Film "No Country für old Men" war. Dessen politische Tragweite steht über allen (Kritiker)Dingen, während "Burn after Reading" eher als - natürlich sehr gut gemachte - "Spielerei" angesehen wird. Dabei wurde schon lange nicht mehr so böse und im Kern deutlich auf Verhaltensmuster hingedeutet, die kaum ein Zuschauer komplett von sich weisen kann.

Die allgemein verbreitete Ansicht, dass Brad Pitt als Fitness-Trainer Chad Feldheimer selten so blöd war, lässt die künstliche Überlegenheit des Zuschauers erkennen, der sich über eine Figur erhebt, die mit gefärbtem Blondhaar, ständig zuckenden Bewegungen zur Musik des MP3 Players und einer kruden Fantasie, jedes Vorurteil zu bestätigen scheint. Dabei handelt es sich um die sympathischste Figur des Films, die wirklich Freude zu empfinden in der Lage ist und deren Intention von einer kindlichen Abenteuerlust geprägt ist. Nur der Leiter des Fitnessstudios, Ted Treffon (Richard Jenkins), der heimlich in Linda verliebt ist, wirkt ähnlich sympathisch und es verdeutlicht die perfide Methode der Coens, dass sie genau diese beiden Figuren fast achtlos entsorgen.

Wenn man "Burn after Reading" etwas vorwerfen kann, dann nur, dass dessen Stil zu sehr dazu beiträgt, dass sich die meisten Zuschauer über die allgemeine menschliche "Dummheit" amüsieren können, ohne auf die Idee zu kommen, dass sie selbst irgendetwas damit zu tun haben könnten. Im Grunde kann man den keineswegs nur amerikanischen Realitätsbezug nicht übersehen, aber die Coens sind einfach zu cool, um Gesellschaftskritik ohne Verschlüsselungen daher kommen zu lassen. Das haben leider schon die "Erfinder" des deutschen Filmtitels nicht begriffen (8,5/10).

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