Die Geschichte des irischen Freiheitskampfes und der IRA ist eine Geschichte voller Gewalt, Selbstaufopferung und unvereinbarer Konflikte. Videoinstallateur und Filmregisseur Steve McQueen widmet sich in seinem Debütspielfilm „Hunger“ einem speziellen Aspekt, nämlich einem Hungerstreik gefangener IRA-Kämpfer, ausgerufen von Bobby Sands, der diesem auch als Erster zum Opfer fiel. Mit Michael Fassbender am Anfang seiner Karriere in der Hauptrolle und einer ungeheuer strengen formalen Umsetzung gelingt ihm ein faszinierendes Werk über politische Radikalität bis zum Fanatismus, die endlose Spirale von Gewalt und Gegengewalt und psychische Machtproben.
„Hunger“ ist ein Film, dessen inszenatorische Strenge durchgehend an die besten Werke etwa eines Ingmar Bergman oder Andrej Tarkowskij erinnert. Jede Kameraposition, jeder Winkel, jeder Bildausschnitt sind genaustens durchdacht und umgesetzt: Es gibt nur wenige verschiedene Arten des Kameraeinsatzes, die jeweils einen genauen Zweck verfolgen – Plansequenzen für bedeutende Handlungen wie etwa die brutale Misshandlung der Gefangenen durch die britische Polizei oder ein zentrales Gespräch zwischen Sands und einem befreundeten Priester; viele statische Bilder, die immer wieder symmetrische Settings schaffen und damit den äußeren Stillstand der kaum erträglichen Haftbedingungen visualisieren; später eine hin und her wandernde Draufsicht auf den delirierenden, verhungernden Sands. Form und Inhalt gehen hier eine eng aneinander gebundene Symbiose ein, wie man sie in dieser Konsequenz selbst im Arthouse-Kino selten erlebt.
Dazu passt der ähnlich radikale inhaltliche Ansatz: McQueen schafft das erstaunliche Kunststück, einen Film über IRA-Gefangene zu drehen, ohne die komplexen politischen Hintergründe aufzuschlüsseln oder gar selbst Partei zu nehmen. Sein Film ist durchsetzt von einem tiefen Humanismus, der alle Beteiligten einschließt: den brutalen Oberaufseher, der morgens vor der Fahrt zur Arbeit kontrolliert, ob unter seinem Auto keine Bombe versteckt ist, wobei ihm seine Ehefrau besorgt zusieht; einem jungen Polizisten der Spezialeinheit, der an der Brutalität der eigenen Kollegen verzweifelt; aber natürlich auch die Gefangenen, die mit unvorstellbaren Mitteln, die ihre eigene Menschlichkeit zu zerbrechen drohen, passiven Widerstand gegen die Gefängnisleitung und damit die britische Regierung zelebrieren. In einer Szene, so beeindruckend wie alle anderen dieses Films, wird die gnadenlose Brutalität der IRA-Attentate überdeutlich; die sadistischen Methoden der Gefängniswärter, um den Willen der Gefangenen zu brechen, werden ausführlich, ungeschönt und ungeheuer intensiv dargestellt, und nichts davon wird als mehr oder weniger berechtigt konnotiert; und selbst die radikale Selbstaufopferung Sands' am Ende wird dann konsequent auf ihre individuell persönlichen Folgen komprimiert – seinen rapiden körperlichen Verfall, die verzweifelten Eltern, die Abschied nehmenden Freunde. Sich auf ein so heißes Eisen wie den IRA-Terrorismus einzulassen und dabei ein so allumfassend menschliches, nichts und niemanden verurteilendes oder verklärendes Werk zu erschaffen – das ist eine echte Meisterleistung.
Die formal durchkomponierte Inszenierung, die über weite Strecken ohne nennenswerte Dialoge auskommt, bis es im Zentrum des Films einen beinahe 20-minütigen Dialog zwischen Sands und dem Priester gibt, der in aller Eile und doch komplex und vielschichtig ein psychologisches Porträt dieses radikalen Kämpfers zeichnet, wird unterstützt durch einen unglaublich intensiv, naturalistisch und mitreißend aufspielenden Cast. Sämtliche Darstellende, von den kleinsten Nebenrollen bis zu den zentralen Charakteren, verkörpern ihre Figuren überzeugend und fesselnd, leisten detailreiche Arbeit bis in Mimik, Gestik und Tränen hinein. Erst am Ende gelingt es Fassbender, sich mit einer unfassbaren Performance in den Mittelpunkt zu spielen, wenn er das Verhungern in aller vorstellbaren Drastik und Grausamkeit durchexerziert (unter ärztlicher Anleitung hatte er über 20 Kilo abgenommen und bietet in dieser Schlussphase ein grausiges Bild des körperlichen Verfalls, das noch Christian Bales krasse Leistung aus „The Machinist“ in den Schatten stellt). Mit dieser ungeheuer intensiven Darstellung hat sich Fassbender vollkommen berechtigt in den internationalen Darsteller-Olymp katapultiert.
„Hunger“ ist ein durchgehend fesselndes Meisterwerk, das mit formaler Intensität, die ihresgleichen sucht, inhaltlicher Intelligenz, darstellerischer Genauigkeit und durchdachter Erzählweise ein schwieriges und komplexes Thema auf eine Art und Weise angeht, die jederzeit den universellen Humanismus über einzelne politische Ziele und Ansichten stellt. Auch wer sich mit der Geschichte der IRA nicht auskennt, sollte sich dieses immersive Stück Film nicht entgehen lassen.