"Nordirland, 1981. 2187 Menschen haben ihr Leben in der 'Auseinandersetzung' verloren. Die britische Regierung hat allen paramilitärischen Gefangenen ihren Status als politische Gefangene entzogen. Irische Republikaner im Maze-Gefängnis befinden sich im Deckenstreick und im Waschstreik."
Mit diesen Titeleinblendungen beginnt Steve McQueens Drama "Hunger". Was nun folgt, sind die nüchternen Bilder des Tagesbeginns eines Gefängniswärters. Er wäscht sich, zieht sich an, frühstückt, geht aus dem Haus, kontrolliert, ob an seinem Auto eine Bombe angebracht ist, steigt ein und fährt zur Arbeit. Die typische Routine eines Mannes, der mit Vergeltungsmaßnahmen der IRA rechnen muss. Doch warum?
Im Maze-Gefängnis herrscht ein erbitterter Machtkampf. Inhaftierte Mitglieder der IRA wurde der Status als politische Gefangene entzogen. Sie weigern sich als "normale" Gefangene behandelt zu werden. Sie laufen nackt herum, da sie die reguläre Gefängniskleidung nicht akzeptieren. Die Zellenwände sind beschmiert mit Kot. Urin wird von allen Insassen gleichzeitig durch einen Schlitz in der Tür in den Gang gekippt. Das Zellenmobiliar ist ganz und gar demoliert. Das vollkommen überforderte Gefängnispersonal reagiert mit dem Mittel der Gewalt auf den "Wasch- und Deckenstreik".
Was der Regisseur hier in den ersten Minuten auffährt, ist kein Erzählkino in seiner klassischen Form. Vorallem Schock- und Ekelmomente sind es, die dem Zuschauer zu Beginn einen Eindruck über die Situation verschaffen. So sind die verunreinigten Zellen, mit Kot, Maden und Essenresten auf Boden und Matratze genauso einprägend, wie die rohe Gewalt der Wärter, die die nackten Körper der verwahrlosten Streikenden zusammenschlagen.
Unter den Streikenden ist der IRA-Anführer Bobby Sands (Michael Fassbinder, "Inglourious Basterds"). Er sieht, dass die Mittel, mit denen der Kampf geführt wird, keine Wirkung erzielen und entscheidet sich für den extremsten aller Schritte: den Hungerstreik...
Ein Gefängnisdrama mit Steve McQueen? Das kennen wir doch. Aber im Gegensatz zum Klassiker "Papillon", ist es in "Hunger" keine willkürliche Gewalt von Außen, die die Geschichte antreibt. Die Gewalt, die Bobby Sands einsetzt, richtet sich gegen sich selbst. So ist es dann auch kein Wunder, dass sich das letzte Drittel des Films hauptsächlich dem körperlichem Verfall des Protagonisten widmet.
Michael Fassbinder ist Bobby Sands. Ähnlich wie Christian Bale in "Der Maschinist", hat er sich bis auf die Knochen abgehungert. Dies kommt vorallem in den letzten 20 Minuten zum Tragen, in denen Fassbinder, nun fast vollkommen ohne Text, nur noch durch seine Körperlichkeit agiert. Ein junger Mann, dessen Körper mit jedem Tag immer mehr zu Versagen beginnt. Zuerst sind es offene Wunden an der Haut, später verabschiedet sich seine Mobilität immer mehr und am Schluss steht der Tod.
Ein Highlight des dokumentarisch angelegten Films, ist eine fast 16 minütige Dialogszene mit Michael Fassbinder, die vollkommen ohne Schnitt auskommt. Positiv punktet der Film, da dieses politisch brisante Thema so neutral wie möglich behandelt wird. Die Auseinandersetzung zwischen der britischen Regierung und der IRA ist den meisten Zuschauer sowieso bekannt. Vielmehr wird auf kleine Einzelschicksale eingegangen. Niederlagen aufgrund der Herkunft in der Jugend, die Bobby Sands charakterisieren und somit plausibel darlegen, weshalb er bereit ist, an sich selbst ein Exempel zu statuieren.
"Hunger" ist ein kühler und roher Film. Aber gerade diese Kühle ist auch eines seiner Schwächen. McQueen liefert hier eine Art "Abfilmung der Realität", doch um den Zuschauer richtig zu packen, braucht es manchmal einfach mehr, als pure Fakten. Der Tod Bobby Sands' nach 66 Tagen Hungerstreik ist genauso emotionslos und pragmatisch inszeniert, wie die anfangs beschriebene Eröffnungsszene.
Letztlich bleibt ein überdurchschnittliches Gefängnisdrama, in dem der Deutsche Michael Fassbinder dem Film seinen Stempel aufdrückt. Sein Spiel und sein körperlicher Einsatz sind es, die den Film von der großen Masse abheben. Trotzdem wäre gerade bei der Inszenierung mehr möglich gewesen.
7 Punkte