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Die Geschichte des Nahen Ostens ist eine Geschichte von Leid, Krieg, Gewalt und Ungerechtigkeit. Zu den dunkelsten Aspekten dürfte der Libanonkrieg Anfang der 80er gehören: Im Zuge der israelischen Offensive starben Tausende, es wurden Massaker an der palästinensischen Bevölkerung verübt. Die israelisch-französisch-deutsche Co-Produktion „Waltz with Bashir", 2009 als bester Animationsfilm für den Oscar nominiert, geht dieser düsteren Geschichte auf immer wieder überraschende Weise auf den Grund.

Überraschend ist zum einen die formale Aufbereitung. In visuell starken, nur leicht verfremdeten Zeichentrickbildern erzählt der Film die Geschichte seines eigenen Filmemachers, der auf der Suche nach seinem verlorenen Gedächtnis alte Weggefährten und Freunde aus Kriegszeiten aufsucht und sich von ihnen Aufschluss über die damaligen Ereignisse erhofft. Das wird mit gedrosseltem, bedächtigem Tempo und voller freudscher Traumsymbolik inszeniert, sodass der psychologische Ansatz von der ersten Szene an klar wird. Und auch die zentrale Frage des Films: Was macht der Krieg mit denjenigen, die ihn bestritten haben?

Neben der technischen Stärke - die Animationen wirken flüssig, bildgewaltig und immer wieder voller dunkler Poesie, die Figuren werden mit jeder Szene glaubwürdiger, sodass man bald beinahe vergisst, es „nur" mit Zeichentrickfiguren zu tun zu haben - überzeugt „Waltz with Bashir" dabei vor allem durch seine erzählerische Raffinesse. Mehrmals wechselt der Film die Grundtonart der Erzählung: Anfangs wirkt alles ein wenig träumerisch-melancholisch - die Dialoge bleiben ruhig, aber von einer unbestimmten Traurigkeit durchzogen, Kamera und Schnitt erzeugen eine ruhige Atmosphäre. Mit Eintreten der ersten umfangreichen Kriegserinnerungen nimmt der Film sowohl formal an Tempo als auch erzählerisch an Härte auf - die blutig-grausigen Bilder werden mit zynisch-abgeklärten Kommentaren unterminiert, sodass eine nichts beschönigende, aber doch unterkühlte Distanziertheit entsteht. Das hält sich bis kurz vor Schluss, bis zum grässlichen Tiefpunkt der Erinnerungen: dem Massaker von Sabra. Nicht nur wird hier die Unmenschlichkeit der Ereignisse mit unverminderter Brutalität gezeigt, ganz am Ende überrascht der Film den Zuschauer mit einem unvermittelten Wechsel von der Animation zu Original-Dokumentaraufnahmen der Massaker: Leichenberge, Blut, weinende Frauen. Von der sicheren Distanz ist nichts mehr übrig, mit voller Wucht katapultiert der Film den Zuschauer ins Grauen jener Tage. Dann, ebenso unvermittelt, der Abspann, untermalt mit leiser, unendlich trauriger Musik. Ein filmischer Faustschlag in den Magen, der noch sehr lange nachhallt.

Dass dieses ebenso kluge wie emotional aufwühlende, mitunter harte und psychologisch komplexe Politkino nichts für Kinder ist, sollte selbstverständlich sein, Zeichentrick hin oder her. Hier wird eines der düstersten Kapitel der israelischen Geschichte mit lobenswerter Selbstkritik rekapituliert. Allerdings wird weitestgehend auf die Vermittlung von Hintergründen verzichtet, als Zuschauer sollte man also ein gewisses Maß an historischem Vorwissen mitbringen. Abgesehen davon ist „Waltz with Bashir" ein mitreißendes Kriegs-Drama, das das Grauen des Krieges und der nicht enden wollenden Gewalt überzeugend und intensiv schildert, mit formaler und erzählerischer Größe beeindruckt und vor allem den Mut hat, den Zuschauer völlig deprimiert zu entlassen. Ein düsteres, wuchtiges, beeindruckendes Werk!

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