Durch das Gespräch mit einem alten Freund, der von Alpträumen geplagt wird, wird der Regisseur Ari Folman an seinen Einsatz im ersten Libanon-Krieg erinnert. Folmans Erinnerung an den Krieg ist jedoch, wie er verwundert feststellt, mehr als löchrig, weswegen er viele seiner alten Kameraden aufsucht, um zu erfahren, was er damals im Krieg getan hat.
Nachdem Bashir Gemayel mit israelischer Hilfe zum Präsidenten des Libanons gewählt worden war und nach ein paar Wochen durch einen Bombenanschlag ums Leben kam, spitzte sich die politisch wie militärisch heikle Lage im Libanon noch weiter zu. So löste das Ereignis unter Anderem das Massaker von Sabra und Schatila aus, bei dem Hunderte Zivilisten, größtenteils aus einem palästinensischen Flüchtlingslager in Beirut von christlich libanesischen Milizen getötet wurden. Die israelische Armee, die schon lang im Libanon einmarschiert war, befand sich in nächster Nähe, schritt jedoch nicht ein. Eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte Israels, das bis heute kaum verarbeitet wurde.
Und auch Ari Folman, seines Zeichens Regisseur und Drehbuchautor, scheint noch nicht so recht mit dem abgeschlossen zu haben, was er als israelischer Soldat im Libanon erlebte. Nicht umsonst trägt der Film enorm viele autobiografische Züge, so hat Folman die Hauptfigur beispielsweise kurzerhand nach sich benannt und die Gespräche, die im Film geführt werden, sind von Interviews mit Zeitzeugen und eigenen Erlebnissen im Krieg inspiriert.
Da "Waltz with Bahir" also auf Interviews mit Beteiligten, Eindrücken des Machers und natürlich auf historischen Tatsachen basiert, hätte man als Zuschauer ein semi-dokumentarisches Drama erwarten können, das auf knallharten Realismus setzt. Aber in diesem Punkt ist "Waltz with Bashir", der im Grunde schon einen experimentalen Charakter hat, enorm weit jenseits dessen, was man so aus dem Genre kennt, entfernt.
Denn die Geschichte, die Folman erzählt, ist in einen Animationsfilm eingebettet. Die Animationen, die nicht vordergründig auf technisch ausgefeilte Effekte oder spektakuläre Eindrücke setzten, lassen das Geschehen enorm distanziert wirken, entpuppen sich dann jedoch nach und nach als echter Glücksgriff. Denn je mehr verstörende Details des Libanon-Krieges enthüllt werden, je näher Ari seiner Erinnerung kommt, desto mitreißender ist die Geschichte; einige Bilder brennen sich sogar förmlich in das Gehirn des Zuschauers.
Die psychologischen Gründe für die Verdrängung der Ereignisse, die für Ari qualvolle, aber doch unumgängliche Aufarbeitung seiner Vergangenheit sind dabei durchaus vielschichtig geschildert, wobei durch die distanzierte Machart eine Identifikation mit der Hauptfigur glücklicherweise vermieden wird, denn bei dieser politisch brisanten Aufarbeitung der Ereignisse bedarf es eines objektiven Zuschauers, der sich selbst ein Urteil bildet, denn "Waltz with Bashir" hält keines bereit, was nicht heißt, dass der Stoff politisch und historisch nicht hochbrisant wäre.
Dass der Film enorm distanziert daherkommt, heißt jedoch nicht, dass er nicht spannend wäre. Denn die Frage, welches schockierende Erlebnis Aris Verdrängungsprozess herbeigeführt haben könnte, bleibt bis zum Ende offen und fesselt so durchaus an das Geschehen, das reichlich Stoff zum Nachdenken bereithält. Der aufpeitschende Score beschleunigt das Tempo dabei durchaus immer weiter und gestaltet "Waltz with Bashir" so durchgehend spannend, bis hin zum Ende, das man so schnell nicht vergessen wird. Denn bei allen verwendeten Mitteln, "Waltz with Bashir" möglichst distanziert und befremdlich wirken zu lassen, wird spätestens hier schließlich der Punkt erreicht, an dem der dokumentarische Charakter wieder voll zur Geltung kommt. Die Animationen weichen kurz vorm Abspann einigen knallharten Originalaufnahmen, der Zuschauer wird von der Wirklichkeit eingeholt und so verfehlt "Waltz with Bashir" seine verstörenden Wirkung nicht einmal im Ansatz. Animations- und Dokumentarfilm werden hier perfekt vereint.
Viele Gründe zum Mäkeln gibt es bei diesem kleinen Meisterwerk nicht, aber kleinere Fehler werden dann doch gemacht. Zum einen wirkt der Film phasenweise ein klein wenig überstilisiert, zum anderen lässt die Synchronisation ein wenig zu wünschen übrig. Die Stimmen wirken allesamt sehr sachlich und unaufgeregt, so schleicht sich stellenweise immer mal wieder ein Hauch von Monotonie ein, da keiner der Synchronsprecher Akzente setzt, aber alles, was falsch gemacht wird, ist im marginalen Bereich.
Fazit:
"Waltz with Bashir" ist ein kleines Meisterwerk, das trotz seiner distanzierten Machart fesselt, verstört und einen Einblick in ein Kapitel der Geschichte gibt, das bisher kaum verarbeitet wurde. Dokumentar- und Animationsfilm werden von Ari Folman perfekt vereint, der hier eigene Erlebnisse verarbeitet, seinen Film politisch sehr brisant aufbaut und auch ansonsten jede Konsequenz und Experimentierfreudigkeit aufzeigt, die man sich von einem Filmemacher so erwarten kann. Empfehlenswert!
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