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Im Juni 2000 wurden im englischen Dover in einem Frachtcontainer 58 Chinesen – illegale Einwanderer zusammen eingepfercht – tot aufgefunden. Sie waren hinter einer Tarnladung Tomaten gut im LKW versteckt und sind aufgrund mangelnder Luftzufuhr – ein Versäumnis des verängstigten Fahrers – qualvoll erstickt. Die Hoffnung auf ein besseres Leben trieb sie zur Flucht aus dem repressiven Regime in Fernost in den demokratisch-liberalen Westen – eine kostspielige und gefährliche Angelegenheit für die Emigranten und leider kein Einzelfall.  

Das moralische Dilemma indes ergibt sich bei dieser Angelegenheit nicht für zahlungstüchtige Asiaten, sondern für deren Beförderer, die gegen das Einwanderungsgesetz verstoßen und nur in einem zweifelhaften Sinne eine „gute Tat“ vollführen. Geld für Transport eines lebenden Produktionsmittels, der einzelne Mensch wird im Marxschen Sinne zur Ware, sein Überleben der erste Schritt zur Gewinnmaximierung, dem Ziel eines jeden Kapitalisten in der Lohnarbeitergesellschaft. Wobei die Gier den Menschen zum Verrat moralischer Grundwerte und somit zu seinem unvermeidlichen Niedergang führt. True North handelt genau davon. 

Aufgrund von Geldnot lässt sich Fischer Sean auf ein zwielichtiges Geschäft ein: Gegen Bares soll er 20 Chinesen, allesamt illegale Einwanderer, mit seinem Schiff von Belgien nach Schottland schaffen. Einzig sein Kollege, der laute Lebemann Riley, erfährt davon, vor seinem Vater, dem Kapitän des Boots, und dem kindlichen Schiffskoch hält er es geheim. Als bald Unwetter und erschwerte Bedingungen für den Fischfang auftreten, kann Sean sein Geheimnis nicht mehr verbergen – mit tödlichen Konsequenzen. 

Der Filmtitel bezeichnet die Unterscheidung in der Schifffahrt zwischen geografischen Nordpol und dem vom Kompass angezeigten magnetischen Nordpol, spielt aber gleichsam auch auf einen moralischen „Kompass“ an: Was ist der „richtige“ Weg, welchen sollte man gehen und welchen nicht? True North liefert darauf eine unbequeme, aber durchaus plausible und stringente Antwort.   

Regisseur Steve Hudson, ehemals Schauspieler in der ARD-Soap Verbotene Liebe (!), inszenierte seinen Film als düsteren Kommentar zu moralischen Prinzipien und wie selbige durch finanzielle Verlockungen verraten werden, obwohl der Weg in die Verdammnis schon von vornherein absehbar ist. Die spröden, aber gerade durch ihren Realismus beklemmenden und wuchtigen Bilder unterstützen den bedrückenden Eindruck, welche die schwermütige Filmmusik schon für sich hinterlässt. Wir sehen nicht nur das raue Leben an Bord eines Fischkutters, sondern wir erleben es regelrecht mit. 

Obwohl die Symbolhaftigkeit des Szenarios, das durchaus als die „Hohe See“-Version von Sodom und Gomorrha begriffen werden kann, zuweilen etwas dick aufgetragen wird, verfehlt True North zu keinem Zeitpunkt seinen Anspruch, zu den Geschehnissen einen stetig mitschwingenden Kommentar abzugeben. Es ist den intensiven Darstellerleistungen von Martin Compston (als Sean), Peter Mullan (als Riley) und Gary Lewis (als Skipper) zu verdanken, dass ihren allesamt symbolischen Charakteren Leben eingehaucht wird, auch wenn sie nicht immer rational zu handeln scheinen. Alle drei stehen in ihrem Handeln für eine eigene moralische Kategorie, handeln aus ganz eigenen Motivationen heraus, die von falschem Altruismus und Glaube an das vermeintlich Gute (Sean gegenüber seinen Vater und den Emigranten) über materialistische Bestrebungen (Riley) bis hin zu purer Angst und Resignation (Skipper) reichen. Wobei in letzter Konsequenz immer eine Eskalationslogik zum Tragen kommt, die ob ihrer nur ansatzweise gezeigten, aber dennoch stetig im Kopf des Zuschauers präsenten, zunehmenden Drastik der Geschehnisse mehrmals bitter schlucken lässt.  

Das Plädoyer des Films, dass stets die Unschuld – im geistigen wie im körperlichen Sinne – obsiegt (wenn auch in einem moralisch fragwürdigem Maße) und sich Schuld immer weiter potenziert, erscheint aufgrund des düsteren Szenarios nur allzu logisch: Steine werfen sollte nur der, der selbst nicht erschlagen werden will. Wobei Schuld und Unschuld, Recht und Unrecht (will man in solch wertenden Kategorien denken) sehr eng beieinander liegen und untereinander verwischen. Dazu gesellt sich eine kompromisslose Vorstellung von Prinzipien, deren Durchsetzung dogmatisch anzuwenden ist. Inwieweit dies als reaktionärer, ideologisch gefährlicher Kommentar propagiert werden kann, ist jedoch fraglich. 

So bleibt True North am Ende ein zutiefst in der Realität verwurzeltes Psychodrama, welches von den intensiven Darstellerleistungen und seiner durchaus bedrückenden, schwermütigen Atmosphäre lebt, die teilweise durch ihre bleierne, bedeutungsschwangere Schwere kaum zu ertragen ist, aber gerade durch diese Ungemütlichkeit aufzurütteln vermag. Auch wenn nicht jede Drehbuchwendung 100%ig plausibel scheint, ein sehenswerter Film über ein brisantes Thema (7/10).                  

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