Drei Jahre nachdem Kathryn Bigelow ihren knapp 20 Minuten langen Kurzfilm „The Set-Up“ als Teil ihrer Abschlussarbeit an der Columbia-Universität veröffentlicht hatte, drehte sie zusammen mit Co-Regisseur Monty Montgomery ihren ersten Spielfilm „The Loveless“.
Dieser Bikerfilm ist mit Blick auf Bigelows Bio- und Filmographie gleichzeitig rück- und vorrausschauend. Einerseits erkennt man in diesem handlungsarmen Indie ihre Ursprünge als Kunststudentin und spätere verarmte Künstlerin, die gemeinsam mit Maler Julian Schnabel im Loft von Performance-Künstler Vito Acconci unterkam. Andrerseits sieht man schon in „The Loveless“ jene Art, mit der Bigelow in ihren späteren, deutlich mainstreamigeren Arbeiten Genrekonventionen und Männlichkeitskonstruktionen unter die Lupe nehmen und teilweise gegen den Strich bürsten sollte. Auch in „The Loveless“ ist ein klassisches Männergenre der Ausgangspunkt, nämlich der Bikerfilm, wobei das Fifties-Hollywooddrama „The Wild One“ und Kenneth Angers Experimentalfilm „Scorpio Rising“ am deutlichsten für „The Loveless“ Pate standen.
Mit Blick auf seine Einflüsse ist „The Loveless“ ein bewusst zeitloser Film, dem man problemlos in den 1950ern, aber genauso gut im ländlichen Amerika seiner Gegenwart verorten kann, in dem die Leute vielleicht noch ältere Karren und Motorräder fahren. Dreh- und Angelpunkt ist der Biker Vance (Willem Dafoe), der sich mit seiner Gang in einem kleinen ländlichen Örtchen halb trifft, halb dort strandet. Die Biker wollen zum Rennen nach Daytona, müssen aber erst einmal ein Motorrad in der örtlichen Werkstatt fit machen. Von den Einwohnern des Kaffs werden sie mit einer Mischung aus Neugier, Abscheu und Sehnsucht betrachtet.
„The Loveless“ ist kein klassischer Handlungsfilm. Szenen sind gestreckt, Langweile ein zentrales Thema. Die Biker vertreiben sich die Zeit, indem sie trinken, Wurfspielchen mit Messern veranstalten oder ihren Trieben, egal ob destruktiver oder libidinöser Art, nachgehen. Die Dörfler sehen ihnen zu, reagieren gelegentlich darauf, aber auch wenn es am Ende zu einer Entladung kommt, so arbeitet der Film nie dramaturgisch darauf hin. Eine Figur wie die freundliche Diner-Bedienung, die am Anfang wichtig erscheint, ist später irrelevant für den Film, andere Charaktere hingegen werden nach und nach zentral, etwa der rüpelige Tarver (J. Don Ferguson), der sich für den Chef des Ortes hält und die Motorradgang lieber gestern als heute los wäre, oder seine Tochter Telena (Marin Kanter), die im Gegensatz dazu fasziniert von den Motorradmachos ist und mit Vance anbandelt.
So ist „The Loveless“ dann eine Übung in Stil, die ganz im Lack-und-Leder-Chic ihrer Rockabilly-Protagonisten schwelgt. Typen, die ihren Status als Außenseiter feiern, die sich ihre Männlichkeit aber ständig dermaßen durch aggressives Verhalten beweisen, dass man schon wieder an die homosexuellen Unter- („The Wild One“) bzw. Obertöne der Vorbilder („Scorpio Rising“) denken muss. Gleichzeitig ist es ein Film, in dem die Frauen nicht zurückstecken müssen: Sportster Debbie (Tina L’Hotsky) ist vollwertiges Mitglied der Biker-Gang, während Telena oft wie die wahre Treiberin der wenigen Handlung des Films ist.
Für viele der Darsteller blieb „The Loveless“ eine von wenigen oder gar die einzige Filmrolle ihrer Karriere. Hauptdarsteller Willem Dafoe dagegen, für den dies die erste Filmrolle nach seiner Arbeit als Statist in „Heaven’s Gate“ war, startete dagegen voll durch. Nicht nur sein Part in „Straßen in Flammen“, sondern Walters Hill kompletter Film dürfte ganz klar von „The Loveless“ beeinflusst sein. Denn Vance‘ Zitat „We’re going nowhere fast“ ist schließlich Grundlage für den Titelsong für Hills Rockphantasie, die ebenfalls im Fifties-Style gehalten ist. Ist Dafoe in Hills Film der Schurke, so ist er hier eher ein Antiheld, der seine Bande zwar im Zaum hält und noch einen gewissen Ehrenkodex hat, aber nie komplett sympathisch gezeichnet wird. Schon sein erster Auftritt macht das klar, wenn er einer Frau bei einer Autopanne hilft, danach aber recht übergriffig wird. Weiteren nachhaltigen Eindruck hinterlässt J. Don Ferguson als herrischer Patriarch, der auf die Biker hinabschaut, aber eigentlich kaum weniger asozial ist.
So ist „The Loveless“ durchaus interessant als ein Film, der die Könige der Highways und Landstraßen zum Warten verdonnert, den Motorradcowboys gewissermaßen die Bewegung nimmt und sich ihr Verhalten unter dem Brennglas anschaut. Das hat eine arthousigeren Touch als Bigelows spätere Arbeiten, die aber – trotz ihres Mainstreamstatus – oft noch radikaler mit Genrekonventionen und Männlichkeitsbildern spielten. „The Loveless“ zeigt aber immerhin schon an wohin die Reise gehen würde.