Comicverfilmungen leben in der Regel von ihrer Künstlichkeit.
Es geht nicht um die Abbildung der Realität, sondern um ihre monumentale Überhöhung: Superhelden retten ganze Planeten, Superschurken stürzen mit ihren Fähigkeiten eben diese ins Chaos. Zerstörung, Katastrophen und extreme Spezialeffekte sind die Folge.
Der Kinobesucher hat gelernt, mit diesen Begebenheiten zu leben. Filme nach Comics machen inzwischen einen dermaßen großen Teil des weltweiten Einspiels aus, daß ein schnödes Herabsehen auf die „Kinderfilme“ nurmehr als pure, verweigernde Arroganz ausgelegt werden können. Comicverfilmungen haben die Möglichkeiten des modernen Blockbusters neu ausgelotet und sie sind, zumindest zur Zeit, der Dreh- und Angelpunkt, wenn man mit seinem Film richtig Kasse machen will.
Aber wenn die Herde den Pionieren folgt, dann leidet natürlich auch der Boden, die Weide. Die Pfade werden ausgetretener und bald schon regiert Form über Inhalt, wenigstens zu einem gewissen Teil, wenn man nicht einsehen will, daß der moderne Comicfan mehr sehen will, als das bekannte Krachbumm. Gebrochene oder nachdenkliche Helden und die Gegenüberstellung von Superheld und Menschlichkeit sind die Zutaten aus denen man die ganz großen Gerichte köchelt. Reine Spaßshows haben einen Achtungserfolg und sterben früh an der Kasse, den Sperrigen macht das Beine.
Doch die Erosion schreitet in allen Bereichen fort und zuletzt litten selbst die Prestigeprodukte an moralisch-philosophischer Überfrachtung: „Spider-Man 3“ versuchte den Spagat und erstickte an seiner eigenen Mächtigkeit in der Kritik, das „Superman“-Remake versäumte es, einer weltweiten Franchise überhaupt neue Impulse mitzugeben und war gerade im Sektor „spektakulär“ das genaue Gegenteil.
Um so überraschender, daß ausgerechnet Christopher Nolans „Batman“-Fortsetzung „The Dark Knight“ an den Kinokassen eingeschlagen hat wie der Armageddon-Asteroid.
Denn wenn es eine weniger spektakuläre Über 120-Mio.-Produktion gegeben hat, dann muß sie mir bitte noch genannt werden.
„The Dark Knight“ ist so etwas wie die Apotheose des Brainstorm-Comictums, ein düsterer, nachdenklicher Held, der aber keine Superkräfte besitzt, ein Rächer aus dem Schatten, der mit seinem selbstauferlegtem Ehrenkodex an die ganz persönlichen Grenzen stößt, weil ihm das Schicksal einen Gegner auferlegt hat, der nun mal die totale Nemesis, die individuelle Antimaterie ist: der Joker.
Der Joker ist ein Gegner ohne Ziele, außer dem, genau diesen Gegenpart zu spielen: das Chaos diametral entgegen gesetzt zur angestrebten Ordnung, eine menschgewordene Entropie ohne persönliche Ziele, ohne definierten Charakter, die personifizierte Lust an der Zerstörung und dem Austesten der Möglichkeiten, die der Abgrund, in den man blicken kann, bereit hält.
An diesem Anti-Wesen zerschellt jede Hoffnung und jeder Appell an die Vernunft, die ultimative Nagelprobe.
Wer jetzt aber eine monströse Schlacht erwartet, wird von Nolan enttäuscht: stattdessen präsentiert man dem Zuschauer ein fein ziseliertes und geschickt aufgebautes Konstrukt, daß sich eben nicht auf die zwei Hauptfiguren konzentriert, sondern stattdessen die Stadt Gotham als Ganzes und eine ganze Reihe von Nebencharakteren mit einbezieht. Gut und Böse sind dabei zwei Positionen, die ein Ziel haben, von dem sie wissen, daß sie es ganz nie erreichen werden – während die Ordnung nur nach Stabilität strebt und das Chaos dagegen arbeitet.
Christian Bale, der dunkle Ritter, arbeitet wieder mit grollender Verbitterung an seinem Ziel, die Stadt vom Verbrechen soweit zu befreien, daß sie für sich selbst sorgen kann und sieht in dem Staatsanwalt Harvey Dent die menschliche Lichtgestalt zu dem Fleißarbeiter und Polizisten Gordon.
Doch dieses Trio ist abhängig von einer ganzen Menge Faktoren, seinem Ruf, der Familie, den persönlichen Beziehungen und selbstverständlich den Gefühlen zu einer Frau, während die verschiedenen Seiten versuchen, sich ständig auszutricksen.
Nolan gibt mit „The Dark Knight“ dem Comicfilm nicht die Nachdenklichkeit zurück, er wandelt sie um – die Philosophie ist hier stärker denn je die Matrix jeden Handelns. Und so füllt man die Charaktere, alle miteinander höchst menschlich, mit der Seele, die dem Superheldentum so häufig abgeht, weil man die Helden als Projektions- und nur auf ihrer menschlichen Seite als Identifikationsfigur benutzen kann.
Da bleibt kein Platz für das große Bombastbrimborium, Nolan hat einen fast leisen, intensiven, dicht strukturierten Thriller geschaffen, der wie ein Uhrwerk nach einem komplexen Schema ab- und folgerichtig auf einen Point-of-no-Return zuläuft. Und schafft es zusätzlich noch, eine weitere Figur aus dem Batman-Universum, nämlich Two-Face in die Handlung zu integrieren, ohne sie als Superschurken-Gegensatz zu etablieren, sondern bloß als menschlich-tragische Gestalt.
Darüber gestreut sind natürlich ein paar verbale erinnerungswürdige Momente und einige Actionsequenzen, aber im Ganzen in „Dark Knight“ geradezu enttäuschend unspektakulär in Sachen Bilder, aber phantastisch in Sachen Figuren.
Warum nun gerade diese Mischung die Leute in Scharen gelockt hat, dürfte wohl nicht zuletzt dem Tod des Joker-Darstellers Heath Ledger geschuldet sein, dessen Todesmythos vor dem seiner (vor-)letzten Rolle verblasste.
Tatsächlich ist Ledger die ultimative Besetzung für diesen realistischen Anspruch von Comicfilm, eine völlig in sich verlorene, dennoch amoklaufende Figur bar jeder Kontrolle, nicht mal durch sich selbst, der Gut wie Böse in seinem Plan einfach vernichtet, weil er es kann. Die Maske ein Chiffre, ein Background ist nicht vonnöten.
Der Gefahr des Overactings, das bei dieser Figur nahe läge (siehe auch: Jack Nicholson), entgehen alle Beteiligten aufgrund der strukturiert gestaffelten Auftritte, die nie zu lang und nie zu kurz ausfallen und den nötigen Platz für die Wayne/Batman-Figur lassen, die bei Burton deutlich zu kurz kam (was auch am relativ blassen Darsteller lag, wenn man das Charisma der Figur bedenkt).
Ansonsten sind die darstellerischen Leistungen adäquat, Eckhart gibt eine prima schicksalhafte Lichtgestalt, Oldman, Freeman und Caine agieren gewohnt souverän und Gyllenhaal kann sich gegenüber Holmes auf die Fahnen schreiben, wenn schon nicht sonderlich aufgefallen zu sein, dann es wenigstens nicht unangenehm gemacht zu haben. Ein netter Gag übrigens der Cameo-Auftritt von William Fichtner als Pumpgun tragender Bankangestellter am Anfang, etwas für Fans.
Ansonsten verzichtet man pflichtschuldigst auf alle postmodernen Albernheiten oder sonstige dämlichen Jokes, sondern beschränkt sich auf ein paar Alfred-„Wisecracks“, die nie zum Brüller erhoben werden – dazu nimmt sich der Film auch zurecht zu ernst.
Will man „Dark Knight“ überhaupt an den Karren fahren, dann muß man seine Stärken, eben diesen individuellen unmodernen Touch gegen ihn auslegen – gleichzeitig bewundern und beklagen, daß vor den geschliffenen Dialogen und geschickten Handlungsverwicklungen der „Sense of Wonder“ manchmal ein bißchen zu kurz kommt, vor lauter Grimmigkeit.
Als Basis für weitere Filme eignet sich diese Fortsetzung allerdings meisterhaft, wobei jetzt schon angemerkt werden sollte, daß eben diese Raffinesse mit anderen Darstellern und einem anderen Regisseur unweigerlich flöten gehen würde, wie es die „X-Men“-Franchise vorgemacht hat. (9/10)