Die Fledermaus der Postmoderne
oder:
Wie der Ritter dunkel wurde
Es schien ein großartiger Film geschaffen zu sein, wie anders konnte man das erfolgreichste US-Startwochenende eines Kinofilms überhaupt und die zeitweiligen 9,4 Punkte auf der Bewertungsskala der IMDb sonst erklären? Ganz einfach: mit Heath Ledger. The Dark Knight sorgte schon lange Zeit vor Kinostart mit einem beeindruckenden Trailer für Furore und eben mit der Personalie des im Januar 2008 verstorbenen Frauenschwarms, der als „Joker" einen diabolisch-charismatischen Feind Batmans versprach. Auch die Besetzung der Rolle von „Rachel Dawes", der Jugendfreundin von Bruce Wayne, sorgte für Aufsehen. Katie Holmes stand für die Rolle (offiziell) aus Termingründen nicht mehr zur Verfügung, stattdessen wurde Maggie Gyllenhaal engagiert.
Welche Erkenntnis steht nach Sichtung des Films? Während Heath Ledger eine der besten (und widerlichsten) Leistungen seiner Karriere abliefert und zu Recht als ein Oscar-Anwärter 2009 gehandelt wird, wirkt Gyllenhaal so, als hätte man Kirsten Dunst nicht bekommen und sie reicht mit ihrer stets gequält wirkenden Mine nicht an Frau Holmes heran. Auch B-Filmstar Eric Roberts, der nun den Nachfolger von Mafiaboss Falcony gibt und somit in gewisser Weise in die Fußstapfen von Schauspieler-Schwergewicht Tom Wilkinson (Michael Clayton) tritt, nervt mit seinem selbstgefällig-schmierigen Spiel eher, als dass er überzeugt. Doch diese Kleinigkeiten tun dem Unterhaltungsfaktor des 148 Minuten-Filmmonsters The Dark Knight trotz zweimaligen Überlängenzuschlags im Kino keinen Abbruch.
Ohne große Umschweife und noch mit dem brummenden „Ich kümmere mich darum!" von Batman (Christian Bale) am Ende von Batman Begins in den Ohren, wird man sofort Zeuge eines Banküberfalls des Jokers, der sämtliches Geld der Mafia Gothams stiehlt und mit dieser später einen Plan aushandeln will, wie man die Stadt wieder mit Verbrechen, Chaos und Gewalt überschwemmen könne. Dr. Crane alias Scarecrow (Cillian Murphy) aus dem ersten Teil taucht in einer eher belanglosen Szene um einen verbrecherischen Handel noch einmal auf, wird aber durch seinen lächerlich kurzen Auftritt eines eigentlich etablierten, großen Gegners Batmans in The Dark Knight ebenso verheizt wie im Vorgänger. Mit Harvey Dent (Aaron Eckhart) ist mittlerweile neben Bruce Waynes Jugendfreundin und gleichzeitig seiner Geliebten Rachel Dawes (Maggie Gyllenhaal) ein weiterer idealistischer Staatsanwalt in Gotham, der sich traut gegen alle Morddrohungen Mafiaschergen und Verbrecher anzuklagen. Allerdings gelingt es dem Joker zusehends, in Gotham wieder Chaos zu verbreiten, eine der wenigen nicht-korrupten Richter und ein Polizei-Commissioner werden durch ein Attentat ermordet. Schließlich kommt es gar soweit, dass sich Batman durch eine Finte des Jokers zwischen der Rettung von Harvey Dent und Rachel Dawes, die beide entführt wurden, entscheiden muss...
The Dark Knight spart dabei nicht mit Seitenhieben auf die amerikanische Politik zur Terror-Bekämpfung. Batman verhört den Joker unter Gewaltanwendung, um aus ihm Informationen heraus zu bekommen und setzt gegen Ende mit einem die ganze Stadt umspannenden Telefon-Abhörsystem eine Technik ein, die den Begriff „Lauschangriff" in neue Dimensionen der „Beschränkung wesentlicher Grundrechte" vordringen lässt. Auch Alfred gibt an einer Stelle - völlig unnütz, weil weit hergeholt - zu verstehen, dass er in Birma eines Tages Zeuge von abtrünnigem Idealismus geworden ist, weil manche Menschen eine Stadt einfach nur brennen sehen wollen. Die Frage an dieser Stelle ist, an welchem Punkt eine Comicverfilmung, welche im Sinne der Vorlage entsteht, hier Halt machen und sich auf die vorgegebenen Motive beschränken sollte. Ebensolches trifft auch auf den Einsatz von Gimmicks zu, wobei besonders der extrem effekthascherische Einsatz des Bat-Sonars mit all seinen visuellen Verfremdungseffekten negativ hervorsticht. Batman war bisher ein Superheld ohne Superkräfte in einer mit Kriminalität verseuchten, aber authentisch und real anmutenden Metropolis - oder warum sonst drehte man zum Teil in einem kaum verfremdeten Chicago und London, welche nicht mehr der düsteren Hölle gleichen, wie wir sie am Ende von Batman Begins zu sehen bekamen? Vielleicht weil es doch noch Hoffnung gibt?
Das Prinzip Hoffnung verkörpert dabei Harvey Dent, genannt „der weiße Ritter". Wie sich unschwer erkennen lässt, wird er gleichsam als positiver wie - im weiteren Verlauf - als negativer Gegenpol zu Batman aufgebaut. Der aus ihm erwachsende Bösewicht „Two Face", der sich für den Tod einer ihm nahestehenden Person rächen will, kehrt die Prinzipien Harvey Dents ins Gegenteil. Dieser wollte Gefängnisstrafen für Verbrecher und glaubte an die Gerechtigkeit der Justiz, während „Two Face" ebenso wie Batman Selbstjustiz übt; "Entweder man stirbt als Held oder lebt solange, bis man selbst zum Bösen wird". Wenn man eine funktionierende Alternative der Selbstjustiz außerhalb des etablierten Rechtssystems zulässt, die Menschen auf eigene Faust rettet und tötet (Batman), muss man auch die Existenz des Gegenpols in Kauf nehmen, der Menschen nur noch tötet - seien sie schuldig oder nicht (Two Face). Dabei sind Schuld und Unschuld, moralisch richtiges und falsches Handeln diese Gegensatzpaare und Wertmaßstäbe, welche der Postmoderne zum Opfer gefallen sind. So kann ein Münzwurf über Tod und Leben eines Menschen entscheiden; beides ist weder „richtig" noch „falsch", es existiert einzig eine Anzahl an Meinungen, die diese Kategorien durchlässig macht. Es ist eine der denkwürdigsten Szenen des Films als am Ende Batman die Schuld für den Mord an fünf Polizisten gegeben wird - und das nur aus dem Grund, weil Batman ohnehin negativ beäugt wird und das Image des eigentlichen Mörders aber gleichsam des Helden Harvey Dents, des leuchtenden Sterns am Himmel der Verbrechensbekämpfung, rein bleiben soll und die Menschen ihren verlorenen Glauben an eine bessere Welt wiederfinden könn(t)en. Das Mittel Wahrheit wird für einen fragwürdigen "guten Zweck" um die Belohnung des Vertrauens der Menschen in Harvey Dent geopfert, dessen Funktionieren nicht absehbar ist. Dies begründet die Illusion einer Stadt, die beginnt, über das Verbrechen zu triumphieren. Und diese Idealvorstellung in den Köpfen muss aufrecht erhalten werden, weil der Glaube ans Gute im Menschen geblieben ist.
Dass dazu Anlass zur Hoffnung besteht, zeigt das vorher gegangene „soziale Experiment" des Jokers, bei welchem mehrere Menschen auf zwei Schiffen verantwortungsethisch über das Schicksal anderer Menschen entscheiden und sich letztendlich für die moralisch stärkste Option der Lösung entscheiden: für Verweigerung. Der „Joker", welcher von Heath Ledger charismatischer und um ein Vielfaches psychotischer dargestellt wird als es seinerzeit Jack Nicholson vermochte, hat die Anarchie zum Ziel, er glaubt wiederum noch nicht einmal an den Ehrenkodex unterhalb der Mafia-Verbrecher. Seine Vergangenheit (Misshandlung im Kindesalter) bestimmt das Jetzt Gothams, welches eben aufgrund seiner Überschwemmung mit Kriminalität im Status Quo verharrt und keine gesellschaftliche Neuerung - der in The Dark Knight synonym mit „Säuberung vom Verbrechen" bezeichenbar ist - durchgeführt werden kann, weil diese behindert wird.
Die Medien und deren Inszenierungen werden zur einzigen Wahrheit, die das Handeln der Menschen und ihre Auffassung von der Realität bestimmt. Die auftauchenden Nachahmer Batmans im Fledermauskostüm wollen - aufgrund ihres über die Medien vermittelten Wissens über Batman - das Gesetz auch selbst in die Hand nehmen, der Joker bedient sich des Fernsehens um seine Bestrafung selbiger Trittbrettfahrer live zu zeigen; Batman wird bei einer Pressekonferenz zur Reinwaschung des Images Harvey Dents zum Gesetzlosen erklärt und die Jagd auf ihn eröffnet - verkehrte Welt. Die Macht, die vom Volke ausgehen sollte, haben die Medien, welche ihrerseits die Realität konstruieren, wobei ihr offensichtliches Darstellen der Nicht-Wahrheit fragwürdig ist.
Im Angesicht der vielen Actionsequenzen - allen voran die Sprengung eines ganzen Krankenhauses und die Verfolgungsjagd beim Überführungstransport von Harvey Dent, bei der sowohl der Joker als auch Batman anwesend sind und sich ein unerbittliches Duell auf den Straßen Gothams liefern - lassen erkennen, wo das Budget von 185 Mio. Dollar hingeflossen ist. Neben einigen allenfalls durchschnittlichen schauspielerischen Leistungen (besonders Eric Roberts ist hierbei zu nennen) und einigen Überkonstruiertheiten im Plot (Woher weiß Bruce Wayne bei seiner Spendengala für Harvey Dent, dass dieser getötet werden soll bzw. warum wird nur er gerettet und nicht die anderen Beiden auf der Abschussliste?) fällt einzig ein unpassend wirkender Einsatz von Gimmicks (Bat-Sonar) negativ auf. Die Lauflänge von knapp 2,5 Stunden ist hingegen bei dem dichten und actionreichen Plot kein Problem; es kommt bei diesem alles in allem großartigen Comicspektakel keine Langeweile auf. Etwas schwächer als der starke Vorgänger Batman Begins, aber immer noch ein beeindruckendes Blockbuster-Spektakel mit nachdenkenswertem Subtext (8/10).