- Vorsicht, Spoiler enthalten -
Was haben Frank Miller und Christopher Nolan gemeinsam? Zumindest eine Parallele lässt sich leicht erahnen: Beiden sagt man nach, das Batman-Franchise aus der drohenden Versenkung erhoben und dem Superhelden ein neues Gesicht verliehen zu haben. Während Frank Miller tatsächlich eine ganze Genre-Revolution auslöste als er 1986 sein Meisterwerk "The Dark Knight Returns" veröffentlichte und entscheidend dazu beitrug, Comic-Romane (Graphic Novels) als erwachsene, eigenständige Kunstform zu etablieren, wird Nolans erster Batman-Film oftmals überschätzt. Übersehen wird leicht, das "Batman Begins" nach einem sehr starken Anfang deutlich die Puste ausgeht, die Action nicht stimmig inszeniert ist und der Film mit zwei starken Gegnern und einer ausführlichen Vorgeschichte letztlich zu überladen ist, um als Gesamtwerk zu überzeugen. Weiterhin war Christian Bale nicht in der Lage, seine Rolle mit derselben Ambivalenz auszufüllen, wie es Michael Keaton noch spielerisch gelang. Doch seit Tim Burton für die Reihe zuständig war sind viele Jahre ins Land gezogen und vor allem haben es die beiden Nachfolger von Joel Schumacher sehr leicht gemacht für "Batman Begins", eine gute Figur zu machen. "The Dark Knight" ist nun in vielerlei Hinsicht genau jene Wiedergeburt, die Fans des Vorgängers schon lange proklamiert haben - Nolans zweiter Ausflug nach Gotham City erweist sich als wesentlich runder und gesetzter als sein hektischer direkter Vorläufer und präsentiert sich als gereifte Charakterstudie, jenseits des Getöses einer herkömmlichen Comicverfilmung.
Nolan scheint viel gelernt zu haben in den letzten Jahren und inszeniert seinen Film besonders in den Action-Szenen mit einer übersichtlichen Besonnenheit, wie man sie in "Batman Begins" schmerzlich vermisst hat. Aufgeräumt und durchdacht sind nicht nur die knallharten Faustkämpfe in Szene gesetzt, jede Explosion und jede noch so rasante Kamerafahrt wird gemeistert von Nolan. Nachdem die Vorgeschichte hinreichend erzählt ist und sich der Film beinahe ausschließlich auf Batmans Nemesis Joker konzentriert, leidet er nicht mehr an einem Ungleichgewicht sondern entfaltet sich mit voran schreitender Laufzeit immer weiter zum bildgewaltigen Meisterwerk. Die zahlreichen Luftaufnahmen der städtischen Straßen und Gassen vermitteln den Eindruck eines Blicks in die Hölle - in eine Hölle aus Stahl, Beton und Anonymität. Den schrägen, knallbunten Retro-Look der Schumacher-Filme lässt "The Dark Knight" ebenso hinter sich wie die kubistisch-expressionistischen Visionen eines Tim Burton um ein eigenes, moderneres Gotham zu zeigen. Eine Stadt mit 30 Millionen Einwohnern, in der Verbechen, Korruption und Anonymität herrschen und die äußerlich den Eindruck synthetischer Künstlichkeit mit urbanem Naturalismus paart. Gotham gleicht Michael Manns visionärem Blick auf 'seine Stadt' Los Angeles, ein Blick voller Kälte und doch voll von Liebe fürs Detail.
Christian Bale hat deutlich größeren Zugang zu seiner Figur erlangt, wird aber kurioserweise von seinen hochkarätigen Sidekicks und natürlich von Heath Ledger ausgespielt. Seine grimmige Aggressivität und innere Zerrissenheit kommt zwar glaubwürdig zur Geltung, während des Einsatzes zeichnet Bale Batman allerdings immer noch als Übermenschen. Schon die tiefer gelegte Stimme rückt gefährlich nahe ans unpassende Overacting, in den schauspielerisch fordernden Szenen rechtfertigt sich der Hauptdarsteller mehr als adäquat. Die inneren Dämonen, die den helden beschleichen, kommen nun kaum mehr aus der schicksalhaften Vergangenheit sondern zeigen sich als Konsequenz des Superheldendaseins. Dieses wird so komplex beleuchtet wie noch nie zuvor im Film. "The Dark Knight" hinterfragt das Wesen des Superhelden auf eine vielschichtige Weise und erreicht somit, was beispielsweise "Hancock" trotz satirischer Distanz und "Spider-Man" trotz aller Nähe zum Comic nicht gänzlich heraus zu kristallisieren vermochten - die Bürde des selbst gewählten Kreuzes und die daraus resultierenden Verluste zu analysieren. Obwohl der Film letztlich flüssig und unterhaltsam ist, so ist er nie gefällig. Nolan verweigert beispielsweise jeden Blick auf grafische Details in der Gewaltdarstellung und das, obwohl "The Dark Kngiht" mit großer Sicherheit das höchste Gewaltpotential aller Batman-Filme in sich birgt.
Letzteres resultiert natürlich aus der despotischen Figurenzeichnung des Joker und dessen grenzenlosem Sadismus. Sein Antrieb ist die pure Lust an der Gewalt, eine infantile, nihilistische Zerstörungswut lenkt die gedanken des Geisteskranken. Kokettierte Jack Nicholson als Joker noch mit der sympathischen Verrücktheit des Charakters, so liefert Heath Ledger in einer seiner letzten Rollen eine moderne Interpretation, welche die Facetten der Figur weitaus mehr zu nutzen weiss. Das dreckige Make-Up und Ledgers markante stimmliche wie mimische Darstellungskunst stilisieren diesen neuen Joker zum ultimativen Anti-Helden der Postmoderne - zynisch, grausam, fanatisch und mit einem diabolischen Charisma versehen. Bis auf einige Sätze vom Joker selbst bezüglich seiner von Gewalt bestimmten Kindheit begibt sich der Film nicht auf die Suche nach den Wurzeln der Figur. Seine Motivationen werden nicht mit einem einfachen Ursache-Wirkung-Schema simplifiziert sondern werden ohne erzählerischen Unterbau während der temporeichen Handlung heraus gestellt.
"This city deserves a better class of criminal. And i'm gonna it give it to em."
Den Joker scheinen finanzielle Interessen nicht zu bewegen, auch wenn es am Anfang den Anschein macht. Vom skupellos agierenden Gangster-Boss mit fanatischer Gier entwickelt er sich aber schon bald zum Gewalt-Anarchisten. Lustvoll arrangiert er sadistische Spiele und reißt mit einem Grinsen etliche unschuldige Menschen in den Tod. Verbrechen aus Leidenschaft spricht aus seinen Taten und auch das Verhältnis zu Erzfeind Batman findet eine Vertiefung gegenüber dem ersten Kinofilm von Tim Burton. Joker arbeitet nicht auf den Profit hin (er verbrennt einen riesigen Geldberg) und strebt den endgültigen Sieg über Batman nicht wirklich an - in gigantomanischer Überbietungssucht intensiviert er seine Verbrechen immer weiter und steuert immer wieder die direkte Konfrontation an, immer agiert er an forderster Front und sucht die Auseinandersetzung. Heath Ledger lebt den Nihilismus seines Charakters voll aus und beweist, wie groß der Verlust für die Filmwelt ist, den sein Tod bewirkt hat. Seine Ausdrucksstärke äußert sich auch, wie schon subtiler in "Brokeback Mountain", über seine einfühlsame Körperhaltung. Die verkrüppelte, skurrile Gangart des Jokers klassifiziert ihn als verletztlich und verschlagen, der körperlichen Überlegenheit Batmans kann er nichts entgegen setzen außer hemmungsloser Gewaltlust. Batman selbst dagegen hat weiterhin zu kämpfen mit dem Blut an seinen Händen. Mit mörderischer Konsequenz lässt Nolan den Joker die wichtigste Frau im Leben des Fledermausmannes töten, ohne sich in die übliche Sicherheit zu retten und die Gefühle des Zuschauers berechnend zu manipulieren. Dank der wenig pathetischen Klänge des ohnehin bombastischen Scores (der in seiner Eingängigkeit schon etwas gefällig klingt und nicht ganz an die elektrisierenden Klänge eines Danny Elfman heran reicht) und dem Verzicht auf Klischees wie ein Begräbnis im Regen wirkt der Verlust umso tiefer. Eindringlich lässt "The Dark Knight" diesen Einschnitt in das Leben Batmans passieren, ohne dabei die Trostlosigkeit der Situation zu verklären.
Neben Christian Bale und Heath Ledger laufen auch sämtliche Nebendarsteller zu Hochform auf, wobei Katie Holmes durch Maggie Gyllenhaal ersetzt wurde und ihre Figur Rachel Dawes ungleich besser zu verkörpern weiß. Holmes blieb im Vorgänger die wohl blasseste Darstellerin in einem hochkarätigen Ensemble, worin sich Gyllenhaal weitaus besser einzufügen versteht. Sensibler und wandlungsfähiger als ihre Vorgängerin erweist sie sich als Verbesserung im ansonsten bereits bewährten Cast. Morgan Freeman zeigt zwar nur Standards, spielt aber auch keine tragende Rolle - trotzdem versteht er es, einige markante Eindrücke zu vermitteln und geht so nicht unter neben den restlichen Weltstars. Michael Gough zeigte zwar schon eine versierte Darstellung in den vier 'alten' Batman-Filmen, wird aber deutlich übertroffen von Leinwandlegende Michael Caine ("Hannah und ihre Schwestern"). Caine verleiht dem Butler Alfred genau die richtige Portion Süffisanz, ist dabei aber der wohl engste Vertraute Batmans und steht ihm mit klugen Ratschlägen zur Seite - Alfred darf sogar aus seiner Vergangenheit in Birma erzählen und bekommt wesentlich mehr Profil als noch in "Batman Begins", wo er schon eine astreine Vorstellung lieferte. Überhaupt wird jedem Charakter mehr Aufmerksamkeit geschenkt, genauso wie jeder einzelne intelligent ins Handlungsgeschehen integriert wird, ohne zur bloßen Staffage zu verkommen. Nolan verschenkt seine Stars nicht, was auch für Gary Oldman gilt. Immerhin spielt Oldman mit Lt. Gordon eine der wichtigsten Figuren im Bat-Universum, wenn er auch eher durch Randpräsenz auffällt, dementsprechend bleibt er hier ebenfalls im Hintergrund, wird aber im Showdown stark in den Handlungsablauf involviert.
Neu im Cast ist Aaron Eckhart ("The Black Dahlia"), der zwar nicht die gleiche Bekanntheit vorzuweisen hat wie seine Kollegen, besteht aber locker und entpuppt sich überraschenderweise als weiterer Gegner Batmans indem er durch einen Unfall zum verbitterten Two-Face wird. Das Schicksal von Harvey Dent/Two-Face wird nicht hinreichend erklärt und bleibt letztlich im Dunkeln. Die Figur mit vergleichsweise sehr wenig Screentime abzutun würde ihr nicht gerecht werden, eine Möglichkeit zur Erweiterung seiner Storyline ist aber glücklicherweise nicht auszuschließen. Krankte beispielsweise "Spider-Man 3" an der Verflechtung zweier Hauptgegner des Helden und konnte beide Charaktere nicht annähernd ausschöpfen, so stellt sich dieses Manko bei "The Dark Knight" nicht ein. Der Film konzentriert sich intensiv auf den Kampf zwischen Joker und Batman, führt am Rande Two-Face ein, was sich aus dem tragischen Handlungsverlauf sehr glaubwürdig und unvorhersehbar ergibt, nur die Affinität für den Münzwurf hätte schon vorher auf diese Entwicklung verweisen können. Letztlich begeistert "The Dark Knight" aber schon durch eine ganz eigene synthetische Eleganz, die nur schwer zu erfassen ist und selbst das monströse Bat-Mobil stilvoll erscheinen lässt. All die rohen Unreinheiten in der Inszenierung, die Nolans Filme bis zu "The Prestige" immer wieder beschlichen haben, scheinen überwunden und so lässt sich auch die Storyline um Two-Face eher als Prolog verstehen, eine komplette Auseinandersetzung mit dem Charakter strebt der Film nicht an, zu sehr ist er auf seinen Hauptplot fixiert. War das Ende im Vorgänger ein netter Gimmick und Quasi-Cliffhanger, so ist dieser Vorbau für einen eventuellen weiteren Film wesentlich mehr als ein Appetizer - sollte Nolan an Two-face anknüpfen, so lässt sich leicht eine organische Wiederaufnahme des roten Fadens herstellen.
Unterm Strich lässt sich sagen, das Nolan das Genre zwar nicht neu erfindet und Bale im zweiten Anlauf immer noch nicht so sehr mit seiner Rolle verwachsen ist wie Heath Ledger bereits in seiner ersten Vorstellung, "The Dark Knight" dennoch ein ungemein souveräner und formal perfekter Film geworden. Inhaltlich bietet er breit gefächerte Überlegungen von großer moralischer Komplexität und untersucht gleichzeitig Intentionen von Held und Schurke als unendliche Spirale, die beide Parteien untrennbar verbindet und voneinander abhängig macht. Vor allem begeht der Film nicht den Fehler, seine moralische Integrität zu verlieren - Batman begibt sich trotz allem nicht auf die gleiche Stufe wie der Joker, dessen Zynismus niemals vom Film selbst aufgegriffen wird. Überhaupt verzichtet Nolan auf plakative Action und stellt sie ausschließlich in den Dienst der Handlung, niemals verkommen die spektakulären Szenen zu reinen Schauwerten, selbst wenn das Tempo in der zweiten Hälfte deutlich angeschraubt wird gibt es keine selbstzweckhafte oder redundante Sequenz. Die narrative Geschlossenheit belegt die durchdachte Gesamtkonzeption des Films, der zu keinem Zeitpunkt droht, aus dem Gleichgewicht zu geraten und jederzeit die Balance hält zwischen den vielen Charakteren, den dicht gewobenen Handlungsabläufen und der perfekt getimeten Action.
Fazit: "The Dark Knight" ist das geworden, was "Batman Begins" allenfalls angedeutet hat - die Neuerfindung des Batman-Mythos und ein großer Schritt für das Genre Comicfilm in Richtung Anerkennung bei der seriösen Kritik. Christopher Nolan inszeniert seinen Film ruhig und episch, im Endeffekt laufen aber die Nebendarsteller Christian bale den Rang ab. Heath Ledger wird wohl in Verbindung mit seinem tragischen Lebensende unweigerlich in die Filmgeschichte eingehen und hinterlässt uns seine vielleicht beste Leistung. Mit Sicherheit hat Nolan aber nun endlich den richtigen Zugang gefunden zur Welt seiner Hauptfigur und findet eine eigene Ästhetik, die auf den ersten Blick unterkühlt erscheinen mag, letztlich aber die Trostlosigkeit der Handlung ansprechend illustriert. Das Duell zwischen Joker und Batman kulminiert zu einem Höhepunkt des Comicfilm-Genres, der große Meilenstein "Batman Returns" bleibt zwar unübertroffen, "The Dark Knight" begegnet ihm aber auf Augenhöhe. Opulentes Erzählkino und Lichtjahre der durch CGI-Effektorgien bestimmten Konkurrenz voraus.
8 / 10