Man könnte es einfach auf den Standort des Gefängnisses schieben, der sich innerhalb Londons befindet. Die Story findet nicht innerhalb eines High-Tech-Gebäudes statt, sondern in einem archaisch anmutenden Altbau mit engen kleinen Zellen und käfigartigen Sicherungen an den Treppenabgängen. Gut vorstellbar, dass man hier eine Lücke in der Wand hinter dem Beichtstuhl findet und das man durch eine Vielzahl unterirdischer Gänge bis zur Londoner U-Bahn gelangen kann. Doch das macht eine solche Flucht nicht wirklich leichter.
Das überhaupt eine Flucht stattfindet, weiß der Betrachter schon nach wenigen Minuten, denn der Film "The Escapist" verzahnt seine Story zwischen der Flucht und der vorherigen Planung. Während man fünf Insassen dabei zusieht, wie sie versuchen zu entkommen, blendet der Film immer wieder zu den Momenten zurück, in denen Frank Perry (Brian Cox) den Entschluss zur Flucht fasst, seinen Freund Brodie (Liam Cunningham) dafür gewinnt und den kräftigen Lennie (Joseph Fiennes) aus praktischen Gründen mit einweiht. Dem Betrachter wird damit auch gleich vor Augen geführt, dass später noch zwei weitere Gefangene hinzukommen, da diese bei der Flucht mit dabei sind.
Auch wenn der Anlass für Perry nach 12 Jahren Knast typisch für das Gefängnisfilm-Genre ist (er will seine totkranke Tohter noch einmal wiedersehen), verzichtet der Film auf viele gängige Klischees und konzentriert sich ganz auf die Beziehungen der Gefängnisinsassen untereinander. Fast betulich scheint das Leben hier zu sein. Die Gefängniswärter fallen kaum auf und mischen sich in die inneren Angelegenheiten der Häftlinge nicht ein, so dass auch die Herstellung von Drogen, die innerhalb der Mauern verteilt werden, in Ruhe ausgeführt werden kann.
Erstaunt betrachtet man, wie entspannt Rizza (Damian Lewis) - offensichtlich ein Gefängnisinsasse - in einem Raum mit den Wärtern zusammen sitzt, hört den freundlichen Umgangston untereinander und spürt zum ersten Mal die alltägliche Gefahr, als ein älterer Gefangener ganz höflich von Rizza vor die Wahl gestellt wird, sich entweder den Daumen oder die vier anderen Finger einer Hand selbst abzuschneiden. Er hatte Drogen heimlich für sich abgezweigt und durfte die Art der Bestrafung als Entgegenkommen begreifen. "The Escapist" entwickelt seine Spannung nicht aus der Bedrohung einer Überwachungsmacht, bestehend etwa aus bewaffneten Wärtern unter der Führung eines sadistischen Direktors, sondern von Innen heraus.
Innerhalb der Gefangenen gibt es eine klare Struktur, an die sich alle zu halten haben. Rizza ist darin der unangefochtene Anführer, der es gar nicht mehr nötig hat, seine Autorität lautstark auszuüben. Für Jeden, der sich an die ungeschriebenen Regeln hält, bedeutet diese Struktur eine gewisse Ruhe im Gefängnisleben. Einzig Tony (Steven Mackintosh) ,der jüngere Bruder von Rizza, sorgt mit seinen Eskapaden für Unruhe, unter der aber hauptsächlich die Neuankömmlinge leiden.
Der größte Unterschied zur gängigen Genreware liegt entsprechend darin, dass es hier weder Unschuldslämmer noch Helden gibt. Über die Taten, die zu den jeweiligen Gefängnisstrafen führten, wird nicht gesprochen (und schon gar nicht entschuldigt) und als zu Perry ein Frischling in die Zelle kommt, der sogleich von Tony drangsaliert wird, kommt weder er noch das zusehende Wachpersonal diesem zu Hilfe. Brian Cox spielt überzeugend den älteren Gefangenen, dem es sichtlich schwer fällt, einen Ausbruch zu planen, da es eigentlich seinem Bedürfnis nach Ruhe widerspricht, aber die Sehnsucht nach seiner Tochter ist grösser. Ihm ist auch bewusst, dass seine Flucht der inneren Ordnung unter den Gefangenen widerspricht, weshalb Rizza nichts von dem Plan erfahren darf, aber Tony versteht schnell die Zeichen unter den Planenden und beginnt sie zu erpressen...
"The Escapist" gewinnt der schon häufig erzählten Ausbrechergeschichte neue Aspekte ab, indem er von Beginn an klar macht, dass es zum Ausbruch kommt und sich für das Überwachungspersonal und deren Methoden nicht weiter interessiert. Spannend und mit nur geringen Anleihen an typische Klischees erzählt "The Escapist" auch dank der sehr guten Darsteller davon, dass Freiheit zuerst im Kopf beginnt (7,5/10).