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Jugendkriminalität ist auch in Deutschland kein Thema mehr, welches man unter den Tisch kehren kann. Seit 1994 steigt die Anzahl der straffälligen Jugendlichen jährlich und es scheint beinahe banal, noch zu erwähnen, dass Gewaltvideos per Handy auf dem Schulhof getauscht werden. Der Kultivierungshypothese der Medienwirkungsforschung nach lassen uns die Medien jedoch durch die häufige Thematisierung von Gewalt und Verbrechen nur glauben, dass „die Welt da draußen" verroht und die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung im Justizapparat tätig sei, sowie dass man sich kaum mehr auf die Straße trauen dürfe.

Es ist also durchaus ein brisantes Thema, welchem sich Regisseur und Drehbuchautor Marcus Richardt mit Mars annimmt. Und es stellt sich die Frage, ob er sich diesem Thema kritisch bis reflektierend nähert oder sich doch eher den Stereotypen zuwendet, die wir aus den Gerichtsshows und Pseudo-Reality-TV kennen. Schlussendlich kann konstatiert werden, dass erwartungsgemäß beide Extreme Eingang in seinen Kurzspielfilm gehalten haben, sonst würde es sich schließlich auch um einen Dokumentarfilm handeln, der kaum Idealisierungen zulassen würde.

Es geht um die beiden Mädchen Lilly (Anna Maria Mühe) und Anna (Claire Oelkers), die beide auf den ersten Blick nicht verschiedener sein könnten. Während die kettenrauchende Lilly als Anführerin einer brutalen Mädchengang Mitschüler unter Drohungen um Geld erpresst, geht die introvertierte Einzelgängerin Anna ihrem kleinen Job und leidenschaftlich ihrem Hobby der Fotografie nach. Sie treffen sich zufällig, als Lillys Gang einmal wieder ein Mädchen „bearbeitet" und freunden sich nach einiger Zeit an. Als dann Anna versucht, Lilly zu küssen, reagiert diese mit Ablehnung und bei der nächsten Begegnung der beiden soll es wiederum zu einer Konfrontation kommen, bei der sich Lilly für oder gegen Anna entscheiden muss...

Die jungen Akteure, allen voran Anna Maria Mühe und Claire Oelkers, agieren wie aus dem Leben entsprungen. Unaffektiert gelingt es ihnen, ihre konträren, aber doch ähnlichen Charaktere auszufüllen. Die introvertierte Einzelgängerin auf der einen, der alsbald nachdenkliche Rebell-Teenager als Kriegsgott im schulischen Mikrokosmos (der sich wohlmöglich nach Zuneigung sehnt) auf der anderen Seite. Allerdings - und diesen Vorwurf muss sich Mars gefallen lassen - bleiben abseits der Fokussierung des Films auf die beiden Hauptfiguren und ihres Verhältnisses zueinander die sozialen Milieus der Charaktere unbeleuchtet. Es gibt keine Hintergründe, seien sie familiärer oder schulischer Natur, was die Frage nach dem Warum ihres Verhaltens aufwirft, aber unbeantwortet lässt.

Stattdessen suhlt sich der Film regelrecht dankbar in einer Verwahrlosungs-Attitüde, in welcher ein altes Industriegelände nur allzu gern mit der Intimität eines Maskenballs zu zweit kontrastiert wird, wo die im weiteren Verlauf wichtige Rollenverteilung zwischen der eher maskulinen Lilly und der eher femininen Anna bereits angedeutet wird. Die Möglichkeit, mit (lesbischer) Liebe (und der Loslösung von monetärer Fixierung) einen Ausweg aus Gewalt und Kriminalität zu finden, ist dann auch die populärste aller Lösungen - auch wenn sie hier natürlich und unverkrampft und deswegen äußerst plausibel vor Augen geführt wird.

Die Musikuntermalung unterstützt die aufgeheizte und dynamische Stimmung des Films: Von getriebenen Musik-Themen von Christopher Dierks bis hin zur Band „Deichkind" reicht der Bogen, welcher das Lebensgefühl der Jugendlichen widerspiegelt. Optisch fällt eine Tendenz zur Tristesse auf, welche durch blau-graue Töne bei den Bildkompositionen verstärkt wird.

Indem er gleichzeitig zwei bedeutungsvolle Themen im Leben von Jugendlichen anspricht (Kriminalität und Liebe) und mit zwei natürlichen Hauptfiguren zu überzeugen vermag, verzeiht man Mars seine idealisierte Stromlinienförmigkeit gerne, obwohl bei einem solchen Film eher Haken und Ösen in Form von Hintergründen angebracht gewesen wären. Dennoch: Ein nachdenkenswerter, lebensechter und aktueller Beitrag zu brisanten Themen (7/10).  

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