Als die Wachowskis "Matrix" auf die Leinwand brachten, erhielten sie von beinahe allen Seiten Lob für ihren optisch kreativen Stil, der das Computerzeitalter bildlich umsetzte. Dazu wurde das Ganze noch mit einer raffinierten philosophischen Idee überzogen, die die Möglichkeit in den Raum stellte, das die vom Menschen empfundene Realität längst virtuell erzeugt wird. Bis heute hat sich "Matrix" trotz einiger Schwächen und zweier Fortsetzungen, die den philosophischen Ansatz als Luftblase outeten, seinen innovativen Ruf bewahrt.
Da stellt sich doch angesichts eines Films wie "Speed Racer" die Frage, warum sich die Regie-Brüder einer japanischen Zeichentrickserie aus den 60er Jahren annehmen ?
In seinem Entstehungsland waren die Abenteuer um den jungen Rennfahrer kein Erfolg und erst als die Figuren in den USA amerikanisiert wurden, konnte sich die Zeichentrickserie dort großer Beliebtheit erfreuen. Auch in Deutschland kam es Anfang der 70er Jahre zu einem kurzen Intermezzo, aber die actionlastige und dezent brutale Serie wurde nach heftigen Protesten schnell wieder abgesetzt. Wie sehr sich die Sehgewohnheiten änderten, erkennt man daran, dass 20 Jahre später, als RTL die Serie nochmals zeigte, kaum Jemand davon Notiz nahm.
Auch wenn "Speed Racer" in den USA heute noch einen guten Ruf geniesst, so kann das kein Grund dafür gewesen sein, warum die Wachowski-Brüder diese sonst unbekannte Figur wieder aufleben ließen. Besonders wenn man sich die sehr einfach gestrickte Philosophie der Serie ansieht, die in ca. 25 Minuten langen Folgen auf das Publikum losgelassen wurde.
Basis ist immer die Familie, die um Speed Racer (Emile Hirsch) einen festen Kokon bildet. Sein Vater Pops Racer (John Goodman), Mutter Mom Racer (Susan Sarandon), sein kleiner Bruder Spritle (Paulie Litt), der immer mit seinem Affen Chim-Chim abhängt, seine Freundin Trixie (Christina Ricci) und der Mechaniker Sparky (Kick Gurry) geben eine unzerstörbare Einheit in einer Idealform ab, die für die 60er Jahre Voraussetzung bei einer Kinderserie war. Nur die Geschichte um Rex Racer wirft einen Schatten auf diese heile Welt, denn er wurde von seinem Vater verstoßen und verunglückte später tödlich. Doch der geheimnisvolle maskierte Racer X, der immer in der Nähe von Speed auftaucht, erinnert an dessen großen Bruder und erzeugt damit Spekulationen, ob es sich bei ihm nicht doch um das vermisste Familienmitglied handelt.
Der Film übernimmt diese Konstellation, wie er auch alle sonstigen Klischees imitiert. Die Bösen erkennt man schon von weitem und komplexe Figuren existieren nicht. Mit diesem einfach gestrickten Weltbild funktionierte der Zeichentrickfilm, weil er seine Abenteuer mit atemberaubenden Bildern von fantasievollen Rennautos und waghalsigen Rennen schmückte. Nur waren die einzelnen Geschichten nach 25 Minuten vorbei und es stellt sich die Frage, ob diese Faszination auch bei einem abendfüllenden, 40 Jahre später entstandenen Spielfilm funktioniert.
Es funktioniert, aber die Wachowskis setzen sich mit dem Ergebnis zwischen sämtliche Stühle. Mit den japanischen Animés hat der Film nur noch die Grundstruktur gemeinsam. Während der Zeichentrickfilm sehr klar in seiner Bildsprache ist, wagt der Spielfilm das Chaos. Man kann darüber diskutieren, ob die Bonbon-Farben schön sind oder nicht, aber wie es den visuellen Gestaltern immer wieder gelingt, das Bild auseinanderzunehmen, teilweise bis zur Unkenntlichkeit zu verzerren und dann wieder die Ordnung herzustellen, ist beeindruckend.
Vor allem die Autorennen sind optischer Over-Kill. Die Rennbahnen sehen wie irre Versionen von Carrera-Bahnen aus, vermischt mit Grafiken von Computerspielen, so wie auch die Autos mit ihren unrealistischen Drifts wirken, als wenn sie an einer Nadel laufen. Das hat nichts mehr mit dem Vorbild gemeinsam, denn auch wenn dort die Autos ebenfalls recht waghalsige Kunststücke vollbringen, bleibt die Bildsprache immer klar. Deshalb funktioniert "Speed Racer" nicht als Kinderfilm, denn obwohl es kindgerechte Elemente um den kleinen Bruder gibt, ist der gesamte Film viel zu ungeordnet und in seiner Bildsprache zu dynamisch verzerrend. Anders als im Zeichentrickfilm verleiht die Optik dem Film hier keine Ruhe, sondern beschleunigt im Gegenteil noch das Geschehen. Jede Emotion, jeder Vorgang wird zusätzlich bildlich betont.
Das reale Schauspieler innerhalb eines komplett animierten Szenarios agieren, ist man schon gewohnt, aber anders als in "Sin-City" oder in "Beowulf" sind sie hier tatsächlich nichts anderes als "körperliche" Umsetzungen von Comicfiguren. Ihre wichtigste Aufgabe besteht darin, dem Film Ruhe zu geben. Die Wachowskis begehen keineswegs den Fehler, den Film durch optische Dauer-Action zu ersticken, sondern erzeugen immer wieder regelrechte Standbilder, die an Kinderbücher erinnern. Innerhalb dieser Szenen agieren die Schauspieler gemäss der vorgegebenen Klischees, ohne jemals aus ihrer Rolle zu fallen.
Diese vorhersehbare Konsequenz ist voller Ironie, die sich vor allem im Detail zeigt. Wenn Speed Racer beim Groß-Unternehmer Royalton entscheiden soll, ob er in dessen Team einsteigt, und vor ihm Verträge liegen, die so dick sind, dass man wahrscheinlich Monate braucht, sie durchzulesen, dann braucht sich Niemand über seine Reaktion zu wundern. Die Unterbrechungen, wenn Speed und Trixie sich zu küssen versuchen, lassen den Humor erkennen, mit dem die Wachowskis ihr Kinderprogramm nehmen. Ebenso verdeutlichen die klaren freudigen Gesichter von Susan Sarandon, Christina Ricci und John Goodman, mit denen diese immer ihre einfachen Botschaften auf der Leinwand verbreiten, einerseits den comicartigen Charakter dieser Figuren, andererseits die Unernsthaftigkeit in dieser Konstellation.
Darin liegt auch die mögliche Antwort auf die Frage verankert, was die Wachowskis dazu getrieben haben könnte, ausgerechnet diese Vorlage zu nutzen. Durch das Thema Autorennen gibt "Speed Racer" zum Einen eine hohe Geschwindigkeit vor - ohne allerdings für Autofreaks befriedigend gestaltet zu sein - zum Anderen schafft er durch seine klischeehafte Einfachheit eine wunderbar "neutrale" Spielwiese, um sich optisch auszutoben - ganz ohne philosophischen Ansatz und intellektuelle Hintergedanken. Genau das wird dem Film zum Verhängnis, denn während "Matrix" seine letztlich wenig innovative Optik in schöne Ideen verpackt, kommt "Speed Racer" scheinbar sinnentleert daher.
Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist naheliegend - was soll das Ganze ? - Zuerst fällt auf, was "Speed Racer" nicht ist. Er ist kein Kinderfilm. Kein Film, der Botschaften verbreiten will. Kein Film, der wirklich eine Story erzählt, denn die hier die Grundlage bildenden Abläufe sind in ihrer Vorhersehbarkeit unbeirrbar. Auch für Autofreaks oder Sportfans ist der Film viel zu unstrukturiert und chaotisch. Und selbst die optischen Details und Farben sind im Detail nicht wirklich neu.
Aber trotzdem ist "Speed Racer" adrenalintreiben, mitreissend und fast überwältigend. Nur entzieht sich der Film üblicher Bewertungskriterien in seinem fast nihilistischen Ansatz und man kann den Wachowskis hier nur bescheinigen, daß es ihnen gelungen ist, unter Verwendung von fast ausschließlich bekannten Versatzstücken etwas Neues geschaffen zu haben, dass nur mit einem Wort benannt werden kann - Kunst (9/10).