„Ein Hauch von Magie"
Als es endlich dunkel wird im Kinosaal, zuerst das Lucasfilm Logo und dann der sich in ein Filmbild verändernde Paramount-Berg erscheint, gibt es lang anhaltenden Szenenapplaus und lautstarke Beifallsbekundungen. Ein Augenblick, den man festhalten möchte, den man auskosten und genießen möchte. Weil er so selten ist in deutschen Lichtspielhäusern. Weil er eine Stimmung, ein Gefühl heraufbeschwört, das heutzutage kaum mehr mit Kino assoziiert wird: pure Magie.
Steven Spielberg und George Lucas heißen die Zauberkünstler. Unter den zeitgenössischen Filmemachern nehmen sie seit Jahrzehnten eine Ausnahmestellung ein. Während der einst ob seines kindlichen Gemüts als Peter Pan des Mainstream Kinos belächelte Spielberg spätestens seit seinen zwei Regie-Oscars auch vom Feuilleton und der seriösen Filmkritik gefeiert wird, gilt Lucas immer noch als filmischer Märchenonkel, der abseits seines Publikums eher wegen seiner filmtechnischen Pionierleistungen - als Mastermind hinter der Trickfilmschmiede ILM sowie dem Ton-Qualitätssiegel THX - anerkannt scheint.
Beiden gemeinsam ist ein untrügliches Gespür für publikumswirksame Stoffe und magische Filmmomente. Wer E.T.s Telefonwunsch, den Angriff des T-Rex, die Attacke des weißen Hais oder Darth Vaders „Outing" als Familienvater auf der großen Leinwand erleben durfte, weiß was Kino bewirken kann. Längst sind ihre Filme Teil der Popkultur geworden. Kaum jemand der Jurassic Park, Jaws oder Star Wars nicht kennt. All dies gilt genauso und im besonderen für ihr einziges Gemeinschaftsprojekt. Mit der Blockbustertrilogie um den Peitsche schwingenden Archäologieprofessor Indiana Jones kreierten sie eine Ikone des Actionkinos, belebten ganz nebenbei das angestaubte Abenteuergenre und lieferten einen schier unerschöpflichen Fundus für popkulturelle Zitate und Einflüsse aller Art. Ob Schriftzug, Heldenoutfit, Titelmelodie oder Oneliner, kaum ein Element das nicht Einzug in so unterschiedliche Bereiche wie Literatur, Film, Alltagsleben oder Werbung gehalten hat.
Vor diesem Hintergrund 19 Jahre nach dem letzten Abenteuer (Indiana Jones und der letzte Kreuzzug) einen vierten Teil zu produzieren ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits scheint ob der enormen Beliebtheit und des globalen Bekanntheitsgrades der Figur ein finanzieller Misserfolg nahezu ausgeschlossen. Andererseits ist die Erwartungshaltung an die Fortsetzung einer filmhistorisch und popkulturell so bedeutenden Filmreihe exorbitant und letztlich unmöglich zu befriedigen. George Lucas hat dieses Phänomen bereits mit der Prequel Trilogie zu seiner Star Wars-Saga erfahren (müssen). Finanziell zwar extrem erfolgreich, machte sich sowohl bei Kritikern als auch bei der riesigen Fangemeinde allerdings rasch Ernüchterung und eine zumindest unterschwellige Enttäuschung breit. Der Zauber war weg. Gut es sah nach Star Wars aus, hörte sich wie Star Wars an, aber schmeckte irgendwie schal. So gesehen waren die beiden Filmmogule gewarnt.
Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels beginnt jedenfalls stark. Zu den Klängen eines Elvis-Klassikers liefern sich eine Gruppe Jugendlicher und ein US-Militärkonvoi eine Verfolgungsjagd auf einem einsamen Highway. Die Botschaft ist klar: Wir befinden uns in den 1950er Jahren und uns erwartet ein rasantes, spritziges Abenteuer. Für Insider ist bereits hier einiges geboten. Der Verweis auf Lucas ersten Kinohit American Graffiti ist evident und launig. Die Soldaten entpuppen sich als Sowjets, die kurzerhand die Wachmannschaft einer geheimen Militärbasis niedermähen. Überraschend und temporeich. So kann es weitergehen. Der ersehnte Ton stimmt. Auch Indys erster Auftritt ist gelungen. Zuerst kommt der Fedora, dann die Silhouette und schließlich der vertraute zerknautschte, schief grinsende Gesichtsausdruck, den Ford immer noch unnachahmlich beherrscht. Als Gefangener der Sowjets soll er in einer riesigen Lagerhalle - ja, es ist die gleiche wie am Ende des ersten Films - beim Aufspüren eines mysteriösen magnetischen Artefaktes helfen. Auftritt Cate Blanchett. Als KGB-Agentin Irina Spalko - bewaffnet mit Degen und Pagenfrisur - erinnert sie an die Larger than life-Villains der frühen Bondfilme. Eine wohlige Entspannung macht sich breit. Das wird ein Knaller. Der erste verbale Schlagabtausch kann kommen. Und es kommt - nichts.
Das Rededuell zwischen Held und Schurkin ist zu lang, zu unwitzig und zu belanglos. Erste ängstliche Zweifel kommen auf. Glücklicherweise folgt eine knallige Actionsequenz, die an die guten alten Trilogie-Zeiten erinnert. Ford ist in körperlicher Höchstform, das Timing stimmt. Das ist ja noch mal gut gegangen. Der Einfall die atomare Bedrohung der 50er Jahre in den Film mit einzubauen ist ein wortwörtlich zündender. Wie Indiana Jones der Bedrohung auf einem atomaren Testgelände entkommt leider nicht. Ein platter, völlig unglaubwürdiger und letztlich blöder Gag.
Schon in der Anfangsviertelstunde wird das zentrale Problem des Films deutlich. Großartige Einfälle wechseln sich mit dümmlichen ab, spritzige Wortgefechte stehen im Kontrast zu belanglosem Gelaber, rasant inszenierten und ideenreichen Actionsequenzen stehen einfallslose und viel zu lange Verfolgungsjagden von der Stange gegenüber. Der vierte Teil kämpft mit ähnlichen Schwächen wie das erste Sequel Temple of Doom. Auch dort stimmte der Ton nicht, sprang der Film zwischen Düsternis und Slapstick hin und her und wirkte letztlich unausgegoren. Auch dort gab es nach einem fulminanten Auftakt erzählerischen wie dramaturgischen Leerlauf. Spielberg spürte dies und versuchte die Löcher mit Screwballartigen Elementen und diversen Albernheiten zu füllen. Dieses Gespür scheint er verloren zu haben. Während Temple of Doom zumindest durchgängig einen hohen Unterhaltungswert aufweist, gelingt es dem erfahrenen Regisseur im vierten Teil nicht, die zeitweise aufkommende Langeweile zu kaschieren.
Natürlich gibt die Story um die Kristallschädel nicht viel her. Zumal die ganze Geschichte in endlosen, meist langweiligen Dialogen mit diversen Figuren durchgekaut wird, ohne dass man dadurch Wesentliches oder die Handlung vorantreibendes erfahren würde. Der McGuffin ist ähnlich fad und uninteressant wie die Sankarasteine oder der heilige Gral. Nur was hier mit einer fulminanten Lorenjagd durch ein zusammenstürzendes Bergwerk und dort durch eine der witzigsten und spielfreudigsten Vater-Sohn-Duelle der Filmgeschichte beinahe in Vergessenheit geriet, fällt im neuen Film unangenehm stark auf. Weder Drehbuchautor noch Regisseur hatten offenbar irgendeine Idee, wie das völlig abstruse und letztlich belanglose Mysterium um die Kristallschädel zu „vertuschen" wäre.
Auch die Actionszenen können nicht vollends überzeugen. Während Spielberg in Hälfte eins noch alles richtig macht - sowohl die Auftaktsequenz als auch die Motorradjagd durch Indys Universitätsstadt sind toll geschnittene und perfekt inszenierte Actionleckerbissen - geht ihm in der Folgezeit etwas die Puste aus. Die Verfolgungsjagd durch den Dschungel ist von der Stange und tricktechnisch erstaunlich schlecht umgesetzt. Zu deutlich ist der Einsatz von Bluescreen und CGI auszumachen. (Die Tarzan-Einlage des Sidekicks Mutt Williams sollte nur ob ihrer Peinlichkeit erwähnt werden.) Auch die anschließenden „Wasserfallszenen" kommen einem seltsam bekannt und abgegriffen vor. Die größte Enttäuschung bietet schließlich das finale Eindringen in den Maya-Tempel. Keine ausgeklügelten Fallen oder überraschende Hindernisse, die Indy mit Witz oder Einfallsreichtum zu überwinden hätte. Ähnlich dem schwachen zweiten Teil der Plagiatreihe um den modernen Abenteurer Benjamin Gates (Das Vermächtnis des geheimen Buches), geht alles viel zu schnell und reibungslos vonstatten. Die „Alien-Auflösung" kommt alles andere als überraschend und ist von Spielberg zwar routiniert aber recht lustlos heruntergekurbelt. Obgleich hier klar auf die B-Science-Fiction-Filmwelle der 50er Jahre angespielt wird - und damit konsequent das gängige Muster der Anlehnung an in der Spielzeit der Filme populäre Billigproduktionen beibehalten wird -, will die SF-Thematik weit weniger zum Indiana Jones Kosmos passen, als die mystischen Fantasy-Elemente in den Vorgängerfilmen.
Bleiben Dialoge und Figuren. Wie oben bereits erwähnt, fehlt es Crystal Skull an knackigen Onelinern und spritzigen Wortgefechten, zwei Ingredienzien denen vor allem die ersten beiden Sequels ihren enormen Unterhaltungswert verdanken. Nur zeitweise blitzt das hier sträflich verschenkte Potential auf, wenn der alternde Titelheld sich mit seinem jungen Partner Mutt Williams (Shia LaBeouf) zankt, oder er seine alte Flamme Marion Ravenwood (Karen Allen) im südamerikanischen Urwald wieder trifft. Die Idee, den stärksten und kratzbürstigsten Love-Interest der Trilogie wieder auftauchen zu lassen, ist einer der besten Einfälle des Drehbuchs. Leider macht es viel zu wenig daraus. Die Konstellation erinnert natürlich stark an die Vater-Sohn-Geschichte aus Teil drei. Aber während sich die entfremdeten Jones-Männer durch den gesamten Film hindurch unter feindlichem Dauerbeschuss verbal beharken, gibt es lediglich einen kurzen Schlagabtausch zwischen Indy und Marion während ihre Gegner tatenlos um sie herumstehen. Allen verfügt zudem nicht einmal ansatzweise über das schauspielerische Potential Connerys, der durch seine eingebrachten Ideen sowie seine mimischen Qualitäten auch den schauspielerisch eher unauffälligen Harrison Ford zu Höchstleistungen trieb. In Crystal Skull ist er dagegen das mimische Schwergewicht, eine Rolle die ihm offenbar weniger behagt.
Neben der Reaktivierung Marion Ravenwoods fällt vor allem Indys jugendlicher Sidekick Mutt Williams positiv auf. Jungstar und Spielbergzögling Shia LaBeouf (Transformers) gibt eine augenzwinkernde Hommage an Marlon Brandos legendären Auftritt in The Wild One. Der jugendliche Rocker-Biker ist ein witziger und erfrischender Kontrast zum alternden Abenteurer. Auch wenn seine Beziehung zu Indy sich mit einer wahren Paukenarmee ankündigt, ist Mutt klar eine Bereicherung des Cast. Das Kennenlernen der beiden, ihre rasante Motorradjagd und das gemeinsame Aufspüren des McGuffins gehören zu den Highlights des Films. Die Chemie stimmt jedenfalls.
John Hurt als durchgeknallter Archäologiekollege Indys sowie Ray Winstone als sein zwielichtiger Partner sind dagegen belanglos und weitestgehend austauschbar. Vor allem Winstons Charakter wirkt schlampig entwickelt, da aus seiner Ambivalenz so gut wie kein Potential geschlagen wird. Sallahs Abwesenheit fällt damit um so deutlicher ins Gewicht. Cate Blanchett glänzt zwar mit auffälliger Spielfreude an ihrer überzeichneten Bösewichtfigur, wird aber ebenfalls schnöde vom schwachen Drehbuch im Stich gelassen. So gönnt man ihr nicht nur viel zu wenig Screentime sondern versagt ihr zudem so richtig fies zu sein sowie verbale Bosheiten zu verteilen. Auch ihr sowjetischer Handlanger bleibt relativ blass. Kein Vergleich zu den diabolischen und lustvoll gemeinen Nazischergen aus Raiders und Last Crusade.
Fazit:
Gemessen am übermächtigen eigenen Schatten ist Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels sicherlich eine Enttäuschung. Lediglich Temple of Doom spielt in einer ähnlichen Liga, aber aus ganz anderen Gründen. Er ist den Vorgängerfilmen in nahezu allen Bereichen unterlegen. Wortwitz, Einfallsreichtum, Charme oder unkonventionelle Actioneinlagen, alles findet sich in der alten Trilogie treffender, zündender, knalliger, witziger und letztlich frischer. Spielberg scheint sein untrügliches Gespür für Timing und rasantes Blockbusterkino verloren zu haben. Dramaturgischer Leerlauf ist in seinen vergleichbaren Arbeiten jedenfalls kaum zu finden. Ideenarmut auch nicht.
Aber es gibt auch Positives zu berichten. Befreit vom Ballast der Vorgänger ist Spielberg immer noch ein sehr unterhaltsamer und sympathisch altmodischer Abenteuerfilm gelungen, der es locker mit seinen zahllosen Nachahmern aufnehmen kann. Immer wieder blitzt das alte Indy-Feeling durch. Vor allem Look, Ausstattung und Soundtrack schaffen eine gelungene Verbindung zur Serie. Und schließlich ist da noch Harrison Ford. Der mittlerweile 65-jährige Star schlüpft in die Rolle wie in eine zweite Haut. Von Altersschwäche keine Spur. Er kämpft, rackert und prügelt sich mit einer solchen Verve durch das dünne Skript, dass man nicht anders kann als zu applaudieren. Sein schiefes Grinsen, der immer leicht zerknautscht wirkende Gesichtsausdruck, sein trockener Wortwitz, alles wie früher. Ford ist Indiana Jones. Weder Spielbergs schwächelnde Regie noch Koepps müdes Drehbuch können daran etwas ändern. Es macht immer noch verdammt viel Spaß, dem abenteuerlustigen Archäologen bei seinen unkonventionellen wissenschaftlichen Studien zu begleiten.
Und da ist es dann doch noch zu finden, das Einzigartige, das Unbeschreibliche was nur wenige Filme oder Figuren in uns auslösen: ein inneres, wohliges Lächeln. Ein Hauch, nur seltener, weniger deutlich als früher, aber spürbar.
Ein Hauch von Magie.
(6,5/10 Punkten)