Wenn der Mensch in seinem Leben etwas unvergleichbar furchtbares erlebt, dann gerät dieses aus den Fugen und damit sind vor allem solch grausame Dinge wie z. Bsp. die Ermordung eines geliebten Menschen oder das Miterleben eines blutigen Überfalls gemeint. Wenn man etwas erlebt, dass in negativer Hinsicht nicht in den normalen Ablauf des Lebens gehört, dann ist es nur schwer, dies zu verarbeiten. Außer im Film. Denn Filme über eben jene Verarbeitungsversuche des Menschens gibt es wie Sand am Meer und jeder kennt sie zur genüge. Und in den allermeisten Fällen verlaufen solche Filme in Richtung Betroffenheitskino, so dass diese Art von Streifen schon bald fast jeder satt hat. Das es jedoch noch rühmliche Ausnahmen in dieser Richtung gibt, durfte "Winged Creatures" im Kino leider nicht groß unter Beweis stellen. Auf DVD ist dieses kleine Juwel aber mehr als nur einen Blick wert.
Auf den ersten Blick liest sich der Inhalt erst einmal wie ein typischer Vertreter der Marke Betroffenheitskino. Es geht um eine Gruppe von Menschen, die sich an einem schönen Nachmittag in einem Cafe befinden. Dieses soll jedoch der Schauplatz eines grausigen Amoklaufs werden, bei dem eine Person erschossen wird, eine weitere verletzt und der Täter am Ende sich selbst richtet. Wie die Überlebenden des blutigen Geschehens mit der Situation im Nachhinein fertig werden, dass erzählt "Winged Creatures". Und das, wie sich schnell herausstellt, wirklich mal auf eine andere Art und Weise, als sonst.
Denn von großen Betroffenheitsgedusel kann hier kaum die Rede sein. Der Film baut auf äußerst realistische und nachvollziehbare Art eine Handlung auf, die schnell in den Bann zieht, ohne dass sonderlich auf die Tränendrüse gedrückt wird. Das hängt schon mit den Figuren zusammen, die eigentlich allesamt nichts mit einander zu tun haben und auch bis zum Ende hin soweit nichts mit einander zu tun haben werden, außer eben, dass sie zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort waren. Und auch wenn sie irgendwo, irgendwann einmal im ganzen Treiben aufeinander treffen, hauptsächlich bleibt jede Figur für sich und ist mit seinem Schicksal auf sich alleine gestellt.
Und dabei ist es vor allem die höchst durchdachte Mischung von unterschiedlichen Charakteren, die hier die Musik macht. Da haben wir eine fanatische kleine Gottesanbeterin in Form einer Teenagerin, die, nachdem ihr Vater bei dem Blutbad getötet wurde, versucht zu vergeben, aber schnell merkt, dass Gott ihr dabei nicht wirklich helfen kann. Dann der Freund der Teenagerin, welcher bei der Tat dabei war und nun versucht einen Halt zu finden, diesen aber immer mehr verliert, auch weil seine Eltern ihm diesen nicht geben können. Dann Charlie Archenault, der Krebskranke, welcher den blutigen Streifschuss überlebt und nun weiß, dass er sein Glück, dass ihm gerade so gut gesonnen war, noch einmal richtig herausfordern muss, und in Las Vegas an den Start geht. Carla, die Kassierin des Cafes, welche nicht nur mit ihrem ständig weinenden Kind überfordert ist, sondern auch so langsam völlig die Nerven verliert. Und dann noch der Arzt, welcher noch dem Täter die Tür geöffnet hat und nun versucht seiner Frau aus dem Wege zu gehen, in dem er ihr Migräne fördernde Mittel verpasst. Alle Figuren sind anders als die sonst üblichen Figuren und doch so sehr aus dem Leben geschnitten, dass es nicht schwer ist, sich mit ihnen zu identifizieren.
Wie die Figuren das so eben Erlebte nun bewältigen, erzählt Regisseur Rowan Woods, auf faszinierende Weise. Denn wo sonst Ensemble-Dramen meist eher in Episodenform verfallen und jeder einzelne Charakter seine 5 Minuten bekommt, so sind die Figuren hier durchgehend präsent. Mal wird ein Häppchen von dieser Figur erzählt, mal kriegt jener Charakter ein paar Minuten der kostbaren Screentime. Damit umschifft Woods sauber die Gefahr der Langeweile, denn selbst wenn einem mal das Schicksal einer der Figuren nicht so zusagt, schon nach wenigen Minuten ist erst einmal wieder eine andere am Zug, so dass es einfach nicht auf Dauer langweilig werden kann.
Zudem stößt das Ganze noch mit einer weiteren Entscheidung äußerst positiv auf, die zugleich viel Mut erfordert. Denn eine Figur wird vom Drehbuch völlig ausgeklammert und erhält im kompletten Filmverlauf keinerlei wirkliche Bedeutung: Der Täter. Wo andere Streifen sich nicht selten im charakterisieren des Attentäters verheddern, so wird hier nicht einmal das Gesicht vom Täter offenbart. Man erfährt nicht wer er ist oder was ihn dazu getrieben hat und es wird auch kein wirkliches Interesse an der Aufklärung dieser Fragen erweckt, weder bei den Überlebenden, noch beim Zuschauer. "Eine Gewalttat wie diese ist immer Sinnlos, egal wer dahinter steckt und mit welchen Motiven", könnte eine unterschwellige Moral des Films sein, und diese kommt beim Zuschauer an, ohne dass er mit der Nase darauf gestoßen wird. Es geht einzig und allein darum das Geschehnis zu verarbeiten, und dazu braucht es nicht immer zwangsgebend eine Ergründung des Warums.
Was es jedoch braucht, zumindest im Film, sind gute Schauspieler und die hat "Winged Creatures" zu genüge. Angefangen bei Forest Whitaker, der einmal mehr sein Können als Charakterdarsteller unter Beweis stellt. Dann die Kinderdarsteller Dakota Fanning und Josh Hutcherson, wenngleich Fanning schon jetzt ein wenig über ihre "Blütezeit" hinaus sein mag. Aber Hutcherson hat es durchaus drauf, einmal zu den ganz Großen zu gehören, so sensibel und glaubwürdig ist er hier in seinem Part. Dazu noch die erblondete Kate Beckinsale, Guy Pearce, Jennifer Hudson, sowie die wunderbare Jeanne Tripplehorn. Allesamt spielen sie glaubwürdig und genau so, wie man es von einem besseren Streifen dieser Art erwarten darf.
Fazit: Völlig zu unrecht nicht ins Kino gekommenes Drama, um die Verarbeitung einer Gewalttat aus der Sicht mehrerer Charaktere, welche nicht nur anders sind, als in den meisten Filmen dieser Art, sondern auch mit ihrer ganzen Handlung glaubwürdiger agieren, als nicht wenige ähnlich gelagerte Figuren vorher. Dadurch entstehen beim Zuschauen nicht selten Emotionen, welche man so am Anfang nicht erwarten würde und welche zudem, durch die ungewöhnliche Machart, sowie den tollen Schauspielern noch gesteigert werden. Wer sich mal wieder überzeugen will, dass ein Bewältigungsdrama nicht immer nur aus Betroffenheitsattacken bestehen muss, der ist mit "Winged Creatures" jedenfalls gut beraten!
Wertung: 8/10 Punkte