Danny Boyles Drogengroteske “Trainspotting” entwickelte sich vom Geheimtipp zum zweiterfolgreichsten britischen Film aller Zeiten und gilt schon jetzt als Kultfilm. Nebenbei machte er Hauptdarsteller Ewan McGregor international salonfähig, sodass in diesem Streifen sein heutiger Starruhm begründet liegt.
Kritiker werfen Boyle immer wieder vor, Drogenkonsum zu verharmlosen bzw. zu glorifizieren. Genau in diesem Punkt unterscheidet sich “Trainspotting” von anderen Suchtfilmen, denn hier wird nicht eingehend vor Heroin, Speed und anderen Sachen gewarnt, sondern man muss sich als Zuschauer ein eigenes Urteil bilden. Hauptfigur Mark Renton überlässt uns die Wahl: Entweder ja zum Bausparvertrag, niedrigem Cholesterinspiegel und einem pervers großem Fernseher sagen oder Heroin nehmen - alle WG-Insassen haben sich für letzteres entschieden und verbringen ihr Leben nun mit der unablässigen Suche nach dem nächsten Schuss.
Obwohl die Lebensumstände der süchtigen Charaktere hier nur den Schluss zulassen, dass Konsum harter Drogen und Asozialität nicht weit auseinander liegen, wird nie ein warnender Zeigefinger sichtbar. Vielmehr zeigt Boyle, dass Großteile der Konsumgesellschaft selbst abhängig sind, bloß in einer vom Staat und der Gesellschaft tolerierten Art und Weise.
Von einer Glorifizierung von Drogen kann dennoch keine Rede sein, denn die meisten Figuren sind so kaputt, dass man unmöglich so sein wollen kann:
“Spud” ist ein totaler Loser, der herumrennt wie ein kindischer Haspel und gesellschaftlich niemals Anerkennung finden wird, dank dauerhafter Arbeitslosigkeit und Ins-Bett-Scheiß-Aktionen.
“Sick Boy” ist jung, smart, intelligent, langweilt jedoch mit seinem unablässigem Gelaber über James-Bond-Filme und kommt trotz seiner Fähigkeit zur sozialen Integration nicht von der Nadel los.
Begbie rührt zwar “chemisches Zeugs” wie Heroin nicht an, ist aber ein echtes Ekelpaket: Alkoholsüchtig, selbst zu seinen besten Freunden unehrlich und unablässig auf der Suche nach der nächsten Schlägerei.
Renton ist schließlich der einzige, mit dem man als Zuschauer etwas anfangen kann. Er weiß selber um sein Dilemma und ist sich im Klaren darüber, dass er seinen erbärmlichen Freundeskreis und die Lebensumstände nur ertragen muss, weil er zum Leben nein sagen wollte. Der “normalste” unter den Vieren ist schließlich auch die Identifikationsfigur schlechthin.
Episodenhaft zeigt der Film mehrere Lebensabschnitte Rentons (begleitet vom eigenen Off-Kommentar), wobei nicht so sehr der Plot, sondern das Innenleben der Figuren interessiert. Obwohl sich die Charaktere kaum weiterentwickeln, geht von der Story eine ungeheure Anziehungskraft aus, weil es Boyle immer wieder schafft, den Zuschauer mit kühnsten Einfällen zu überraschen. Selbst übelste Trips, die fast mit dem Tod enden, werden noch mit pechschwarzem Humor versehen (und diese Mischung geht perfekt auf), nur um die grotesk-komischen Szenen immer wieder mit derbsten Fiesheiten, wie einem toten Baby, zu unterbrechen, bei denen einem aus Entsetzen die Spucke wegbleibt. So funktioniert “Trainspotting” als unterhaltsame Groteske ebenso wie als brutaler Schocker.
Einen würdigen Abschluss gibt es nicht, ganz im Gegenteil: Am Ende zerbricht nach einem großen Deal sogar die Gemeinschaft der vier, ein Freund stirbt an Aids und Renton will am Ende ja zum Leben sagen, doch es ist völlig klar, dass diese letzte Szene nur ein Auftakt zu einer weiteren Episode in Rentons Leben ist. Wie die aussieht, ist völlig unklar, doch ob er sein Leben noch einmal auf die Reihe kriegt, ist zu bezweifeln.
Fest steht jedenfalls, dass Danny Boyle hiermit einen echten Kultfilm geschaffen hat, der Drogen weder verharmlost noch zu penetrant vor ihnen warnt und der immer den schmalen Grat zwischen Komik und Tragik schafft. Man muss ihn fast zwangsweise zu einen der besten fünf Filme zählen, die sich mit dieser Thematik beschäftigen, der unterhaltsamste ist er auf jeden Fall, dazu politisch hundertprozentig unkorrekt. Sag ja zu “Trainspotting”!