„Die drei Regeln des Kontrollierens:
Erstens: Freundliches, aber bestimmtes Auftreten.
Zweitens: Ausreden gibt es nicht.
Drittens: Der Fahrgast wird nicht berührt."
Als die Berliner U-Bahn-Kontrolleurin Lena (Anne Ratte-Polle) aufgrund der Missachtung des dritten Grundsatzes ihren liebgewonnenen Job verliert, bricht für sie eine Welt zusammen. Sie beschließt, auf „eigene Rechnung" ihren Job weiter zu betreiben, die Illusion eines geregelten Tagesablaufs für sich selbst und Andere aufrecht zu erhalten. Doch fürs „Schwarzkontrollieren" bricht sie eines Tages wieder die dritte, von ihr selbst aufgestellte Regel: „Lass dich nicht erwischen."...
Illusion ist das Regiedebüt von Burhan Qurbani und wurde von der Filmakademie Baden-Württemberg finanziert, die gemeinhin für hochklassige Kurzfilme steht - so auch hier. Yoshi Heimrath, der Kameramann dieses 9-Minüters, erhielt völlig zu Recht den Deutschen Kamerapreis 2008 in der Kategorie „Bester Kurzfilm": Nicht zuletzt ihm, mit seinen kinoreifen Bildkompositionen ist es neben der ebenso spröde und verletzlich, aber genau deshalb lebensecht agierenden Anne Ratte-Polle zu verdanken, dass Illusion ein atmosphärisch dichtes Drama um Verdrängung, unterdrückte Gefühle und menschliche Kälte geraten ist.
Hauptfigur Lena versucht ihr Selbstwertgefühl auch nach Verlust ihres Jobs aufrecht zu erhalten, obwohl ihrem Leben jegliche Situationen von Intimität und Nähe zu fehlen scheinen. Den liebevollen Körperkontakt, den Lena auf sanftem Wege nötig hätte (wie wir in einer kurzen Rückblende erfahren, als ihr zärtlich über den Hals gestrichen wird) bekommt sie nicht, sondern nur dessen gewaltsames Gegenstück: Gleich zu Beginn, als sie sich gegen eine Attacke eines gestellten Schwarzfahrers zur Wehr setzt.
Im künstlich-fahlen Neonlicht ihres unterirdischen Arbeitsplatzes, in den endlos erscheinenden, dunklen Gängen der U-Bahn-Zugänge und in der U-Bahn selbst herrschen Anonymität und menschliche Kälte. Ihr zu langer, beinahe sehnsüchtiger Blick auf ein küssendes Liebespärchen in der U-Bahn wird - nachdem es bemerkt wird - durch ein aggressives „Is was?" erwidert. Lena tut dann weiterhin das, was sie am besten kann: kontrollieren und sich die bei Schwarzfahrt fälligen 40 Euro in die eigene Tasche stecken. Das ist der illegale Verdienst ihres Lebensunterhalts, das ist ihr einziger Sinn im Leben. Daran kann auch ihr Kollege Micha (Sven Lehmann) nichts ändern, der sie schließlich bei ihrer „Schwarzarbeit" ertappen soll. Beide scheinen einander über das Berufliche hinaus nicht abgeneigt zu sein, doch gleichsam nicht fähig, etwas an sich heran zu lassen, was ihnen zum Verhängnis werden, welche Schwäche zeigen könnte.
Und genau dies ist die Stelle, an dem Illusion letztendlich versagt: an seiner Pointe, die darin besteht, dass Lena wieder ihre drei Regeln zum Besten gibt. Dieses Mal aber in Hinblick auf die Sehnsucht, die ebenso von Unterdrückung, Aufrechterhaltung wie von Unerfüllbarkeit geprägt zu sein scheint. Hier stellt sich der Zuschauer jedoch die Frage nach dem Warum, da die bis dahin durchaus plausiblen Handlungen der beiden Protagonisten infrage gestellt werden. Einzig die Sehnsucht und die Wärme der Liebe schlechthin scheinen der Ausweg aus der Einsamkeit und Lethargie des eigenen Daseins - warum also diese Chance nicht nutzen? Dem Film wie den Protagonisten fehlt abseits seines lobenswerten und gut umgesetzten Themas sowie der ansprechenden Kameraarbeit und bedrückender Atmosphäre letztendlich der Mut, genau diese Frage in befriedigender Länge zu reflektieren (7/10).