Da leider niemand bisher zu Kieslowskis Meisterwerk einen Kommentar abgegeben hat, muss ich mal etwas dazu sagen:
Die Trilogie der drei Farben (aus der französischen Flagge, sie stehen für Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) ist wohl eine der besten Film-Mehrteiler, die das Kino, insbesondere das europäische Autorenkino, gesehen hat.
Kunstvoll werden in allen Teilen vielschichtige Geschichten gewöhnlicher Menschen in und in Beziehung mit Paris erzählt, welche durch Zufall, Schicksal und andere Umstände irgendwie aus den Fugen geraten. In "Blau" geht es um die Frau eines berühmten Komponisten, der dann stirbt und sie alleine lässt. Doch weiß sie mit ihrer neu gewonnenen Freiheit nicht ganz umzugehen. In "Weiß" geht es um die Ehe zwischen einer Französin und einem Polen, die an der Impotenz des Polen scheitert. Die Frau reicht die Scheidung ein und trifft sich mit anderen, doch ihr Ex-Mann will es ihr "zurückzahlen".
In "Rot" schließlich geht es um ein Fotomodell, gespielt von Irène Jacob, die in einer ziemlich kaputten Beziehung mit einem ständig auf Reisen befindlichen Freund lebt. Durch Zufall fährt sie einen Hund an und trifft dadurch einen alten, verbitterten, zynischen Richter, der die Telefonate seiner Nachbarn mitschneidet und deren Leben mit all den Beziehungskrisen, etc. ausspannt. Durch seine hohe Menschenkenntnis und sein Wissen scheint er das Schicksal anderer förmlich in seiner Hand zu halten, und obwohl das Valentine, dem Modell, missfällt, fühlt sie sich durch eine "mystische" Macht zu ihm hingezogen. Sie bekommt ebenfalls tiefere Einblicke in Zufall, Schicksal und Gerechtigkeit. Der Film schwenkt dabei immer wieder durch kurze Begegnungen und Zusammenstöße zu kleineren Nebengeschichten einiger Nachbarn, von denen der Richter ab und an erzählt.
Dem Zuschauer wird hiermit ein kompliziertes Gefüge präsentiert, dass scheinbar unwichtigen Alltagsgegebenheiten schicksalsträchtige Bedeutung verleiht. Man könnte wirklich meinen, dass alles vorbestimmt ist, durch jeden Schritt, den die Protagonisten gehen. Viele Dinge geschehen, Freundschaften gehen zu Bruch, oft nur wegen kleiner Zufälle. Ähnlich geht später auch Michael Haneke an seine Filme "71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls" oder "Code: Unbekannt" heran, nur in einem fragmentarischen Stil, sehr kühl-distanziert eine emotionslose Welt schildernd. Kieslowski geht es vielmehr um die emotionale Seite, die Geschichten und deren geheimnisvolle, eventuell bedeutungsschwangere Verknüpfungen. Diese Thematik zieht sich wie ein roter Faden durch alle drei Teile, und so schleichen sich zwischen den zunächst unzusammenhängenden Filmen auf einmal kleinste Beziehungen und Verbindungen ein, sodass sich der Zuschauer noch einmal Gedanken über das Passierte machen muss. Ich bewerte bewusst "Rot", weil die Trilogie schließlich hier in einem wirklich überraschenden und genialen Finale mündet. Dieser letzte Tropfen, der das Fass dann füllt, verleiht der ganzen Trilogie einen höheren Sinn und eine emotionale Stärke und Intensität.
Dabei ist jeder Film für sich in einem eigenen Stil gemacht, mit eigenen unverwechselbaren Geschichten und tollen Schauspielern. Außerdem ist jeder Teil für sich ein Wechselbad der Gefühle; Tragik, Komik, Liebe und Dramatik sind jeweils kunstvoll und einmalig vereint. Kieslowski ist nichts anderes als ein großer Künstler, der Leben, Sterben und Schicksal in seiner Quintessenz erkannt hat und mit seinen Filmen die Gedanken verarbeitet und uns näherbringt. Schade, dass er bereits verstorben ist, denn niemand kann mit Charakteren so außergewöhnlich göttlich "spielen", wie er.
Wenn man also ein Freund des europäischen Autorenkinos ist, empfehle ich, die gesamte Trilogie in nicht all zu langen Abständen anzusehen, wobei man unbedingt beachten sollte, "Rot" zum Schluss zu sehen. 10/10.