„Eure schreckliche Firma interessiert mich nicht!“
Das Debüt des italienischen Regisseurs Roberto Faenza („Copkiller“) aus dem Jahre 1968 ist ein Kind seiner Revoltenzeit und schwarze Giallo-Komödie mit satirischen Elementen zugleich. Dies macht ihn sowohl zu einem interessanten, frühen Genrewerk als auch zu einer ungewöhnlichen Mischung im Kanon des italienischen Kinos.
„Weißt du, was Eskalation heißt?“
Luca Lambertenghi (Lino Capolicchio, „Der Widerspenstigen Zähmung“), ein junger italienischer Hippie und von Beruf Fabrikantensohn, lässt es sich in London gutgehen, steht auf Buddha und hat eigentlich als nächste Station Indien auserkoren. Sein Vater, der Unternehmer Augusto (Gabriele Ferzetti, „Zwei Särge auf Bestellung“) hat jedoch andere Pläne mit seinem Sohn, immerhin soll der Filius ihn irgendwann einmal als Firmenchef beerben. Also holt er ihn kurzerhand nach Hause und steckt ihn ins Büro, wo er jedoch in erster Linie Filme schaut und Streiche spielt. Daraufhin wird er in die Klapse verfrachtet, wo er eine Elektroschocktherapie über sich ergehen lassen muss. Als er der Anstalt entfliehen kann, setzt Augusto einen Privatdetektiv auf seinen Sohn an, der ihn schließlich schnappt. Papas letzter Trumpf ist dann die attraktive Psychotherapeutin Carla Maria (Claudine Auger, „Feuerball“), die Luca gefügig machen soll, indem sie ihn ehelicht. Der Plan scheint aufzugehen, hat jedoch fürchterliche Folgen…
„Escalation“ beginnt mit klischeehaften Hippies-mit-Fahrrad-in-der-Natur-Szenen und einer psychedelischen Hippie-Party mit zahlreichen Farbfiltern in poppigen Swingin‘-Sixties-Kulissen. Der Tonfall ist eindeutig komödiantisch, woran der auftretende Generationskonflikt zwischen Luca und seinem Vater auch zunächst wenig ändert. Der völlig überzogene weitere Verlauf erscheint zunehmend grotesk und kippt mit der Elektroschock“therapie“ ins Schwarzhumorige. Dass Luca mit Psychotherapeutin Carla erst über seine Weltanschauung diskutiert, um sich dann in sie zu verlieben und schließlich – nach eigenartigen visualisierten Visionen, wie ein Inder mit lila Bart ihm Carla zum Kauf anbietet – heiratet, erscheint dann richtiggehend irreal.
Doch erst dadurch entfaltet „Escalation“ seine gialloeske Note. Carla dominiert die Ehe und krempelt den ihr gefügigen Luca um 180 Grad um, der nun bereitwillig für seinen Vater arbeitet und sich optisch wie geistig vollends von seinen einstigen Idealen verabschiedet hat. Er lebt mit ihr in einer abgefahren eingerichteten Wohnung, und indem Carla sich nackt zeigt, erhält der Film seinen Erotikanteil – wenngleich man ihre Geschlechtsorgane nie zu sehen bekommt, Faenza also verglichen mit der weiteren Entwicklung des italienischen Kinos eher dezent vorgeht. Doch Carla spielt auch ihr eigenes Spiel; sie manipuliert Luca, damit sie die Fabrik seines Vaters bekommt. Da wird’s diesem zu bunt…
Trotz allem wirkt „Escalation“ bis zu diesem Punkt auf nicht unangenehme Weise sommerlich leicht. Man teilt eine Vorliebe für Overalls und sieht sich zusammen mit Geschäftsfreunden eine Striptease-Show an. Der Mord, ohne den ein Giallo nicht auskommen darf, wird erst gegen Ende begangen und geht mit Bodypainting einher, das Faenza in seinem kunterbunten Film neben dem Interieur, den Brillen und den Klamotten offenbar als zusätzliche (und im wahrsten Wortsinn) Farbtupfer auch noch unbedingt unterbringen wollte.
In „Escalation“ gibt es keine Sympathieträger und keine Identifikationsfiguren, keine bemitleidenswerten Opfer, keine zu Unrecht Verdächtigten, keine auf eigene Faust Ermittelnden. Die Figuren erhalten kaum tiefergehende Charakterisierungen, sondern sind Projektionsflächen für verschiedene Stereotypen, denen Faenza kräftig einen mitgeben wollte: angefangen beim nichtsnutzigen, seine privilegierte Position verkennenden, pseudoidealistischen Hippie über einen reaktionären kapitalistischen Familien- und Firmenpatriarch bis zur verschlagenen, manipulativen Quasi-Prostituierten. Lucas rasche Wandlung vom Hippie zum angepassten Spießer, der er rein gar nichts entgegenzusetzen hat, steht exemplarisch für eine Entwicklung, die große Teile der einstigen Bewegung vollzogen haben und Faenza offenbar vorausgesehen hat.
Stilistisch ist der von niemand Geringeren als Maestro Morricone musikalisch untermalte Film höchst eigenwillig, vermutlich hat Faenza einen starken Kontrast aus Erscheinungsform und Inhalt angestrebt, was wiederum zu seiner (von mir angenommenen) Aussage passt. Dass es dabei nicht ganz leichtfällt, in den Film hineinzukommen und ihn anteilnehmend zu verfolgen, ist die Kehrseite dieser grundsätzlich interessanten, originellen Herangehensweise.