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Die us-amerikanische Psychoanalyse, der sich bekanntermassen ein Grossteil der Bevölkerung in den USA anvertraut, verfolgt das Ziel, den Menschen an die Sozialisation anzupassen, ihn sozusagen "lebensfähig" zu machen. "Verrückt ist man, wenn man nicht mit Anderen kommunizieren kann" sagt Frank Wheeler (Leonardo DiCaprio) einmal vor Wut über John Givings (Michael Shannon), den sich in psychiatrischer Behandlung befindlichen Sohn seiner Immobilienmaklerin (Kathy Bates), und verdeutlicht damit, welcher Grundgedanke hinter dieser Sozialisation verborgen ist - die Anpassung an gesellschaftlich vorbestimmte Muster.

Interessanterweise betont das noch der deutsche Titel "Zeiten des Aufruhrs", der anders als der ironische Originaltitel "Revolutionary Road", die zeitliche Beschränktheit des Aufruhrs beschreibt. Auch in der Psychoanalyse werden Phasen des Aufbegehrens beschrieben, wie etwa die Pubertät oder als junger Erwachsener. Diese Phasen gelten als wichtig für die Entwicklung eines Menschen, um dann quasi geläutert in die vorbestimmte Rolle einzutauchen. Der Gedanke dahinter ist keineswegs inhuman, sondern fußt auf der Einstellung, dass nur wenige Menschen stark genug sind, mit einem individuell geprägten Leben glücklich zu werden.

Auch Frank und seine Frau April (Kate Winslet) hatten wenige Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges so reagiert, als April schwanger wurde. Sie beendeten ihr hedonistisches Leben in der Grossstadt und zogen in einen ruhigen Vorort. Frank reihte sich in die Massen der Ehemänner ein, die jeden Morgen mit dem Zug zur Arbeit fuhren, und Kate kümmerte sich um das Haus und die zwei Kinder. Diese Szenen des Beginns der Beziehung zeigt der Film nur ganz kurz, viel mehr beschreibt er die fortgeschrittene Zerrüttung des Paares Mitte der 50er Jahre. Eine Kommunikation findet nicht mehr statt und das Frank sich Ablenkung bei einer Schreibkraft seiner Firma sucht, überrascht bei dieser Konstellation auch nicht mehr.

Um so mehr ist er erstaunt, als er an seinem 30.Geburtstag von seiner Familie liebevoll empfangen wird. April macht ihm den Vorschlag, alles hinter sich zu lassen, sich wieder auf die früheren Vorstellungen über ihr Leben zu besinnen und mit den Kindern nach Paris zu ziehen. Frank hatte ihr immer von Paris, dass er als Soldat kennenlernte, vorgeschwärmt. Als Frank in den Plan nach anfänglicher Skepsis zustimmt, beginnt eine Phase des Glücks für die Ehe.

Die Stärke des Films liegt darin, keine Extreme aufeinander prallen zu lassen. Es ist zwar offensichtlich, dass die Idee des "Ausstiegs" stärker von April ausgeht, aber Kate Winslet gelingt es dabei, auch die darin verborgene Flucht vor sich selbst zu verdeutlichen. Sie wirkt getriebener, unausgeglichener als DiCaprio und ist auch in ihren Reaktionen ungerechter. Ihre Umgebung reagiert auch keineswegs mit Ablehnung, sondern eher mit freundlichem Unverständnis - wie man es Kindern gegenüber zeigt, denen man naive Gedanken nachsieht. Selbst Franks Chef reagiert ganz entspannt, als sein Mitarbeiter, mit dem er grosse Pläne vorhat, ihm von seiner Kündigung erzählt. Er rät ihm, einfach eine Nacht darüber zu schlafen.

Es greift zu kurz, den Film auf ein Ehedrama aus der Zeit vor der Emanzipation zu beschränken, auch wenn zeittypische Muster Auswirkungen auf ihr Verhalten haben. Aber April stellt hier keineswegs ihre Rolle als Frau in Frage, sondern denkt immer in der Kombination mit ihrer Familie. Das sie im Ausland für das Einkommen sorgen würde, während sich Frank selbst verwirklichen könnte, unterliegt keinen ideologischen Gedanken, sondern ist einfach der Praxis geschuldet. Viel mehr stellt der Film die Frage, ob ein Ausbruch aus der gewohnten Ordnung möglich und letztendlich sinnvoll ist - und erhält damit eine bis heute gültige Aktualität.

In der Konstellation des psychisch kranken Sohnes und seiner Mutter, die gemeinsam die Wheelers besuchen, stellt sich die freie Wahl, sich sein Leben nach individuellen Vorstellungen gestalten zu können, als Lüge heraus. Deutlich zeigt sich, dass John Givings an der Auseinandersetzung mit seiner Mutter, die von Kathy Bates bewusst sanft und freundlich dargestellt wird, gescheitert ist. Ein Ausbruch aus gewohnten Bahnen erkauft man sich immer mit dem Makel der Unreife und der Verantwortungslosigkeit und es bedarf einer besonderen Stärke, sich dem auszusetzen. John Givings hatte diese Kraft nicht, auch wenn er der Einzige ist, der die Dinge konkret benennen kann. Gerade in dieser Unbequemlichkeit liegt für die Umgebung sein Scheitern.

"Zeiten des Aufruhrs" ist ein leises Drama, das auf übertriebene Gesten größtenteils verzichtet und seine Höhepunkte nur punktuell setzt. Es sind die ruhigen Momente und die Blicke in Gesichter, die von Verdrängung und Lebenslügen gezeichnet sind, die in Erinnerung bleiben, aber der Film gibt keine eindeutige Antwort auf die Frage, welcher Weg der Richtige ist. Aber er gibt sie weiter an seine Zuschauer... (9/10).

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