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Sergio Sallima hatte schon seit Anfang der 50er Jahre an vielen Drehbüchern mitgewirkt, bevor er seine erste Regiearbeit bei einem Episodenfilm ablieferte, dessen starkes Aufkommen in den 60er Jahren die enge Zusammenarbeit unter den italienischen Filmschaffenden widerspiegelte. An der Seite der Darsteller Alberto Bonucci ("Il mattatore" 1960, Dino Risi) und Nino Manfredi ("Brutti, sporchi e cattivi",1976, Ettore Scola), sowie des Drehbuchautoren Luciano Lucignani ("Interrabang", 1969) trug er die Episode "Le donne" zu "L'amore difficile" (Erotica, 1962) bei - ein Gemeinschaftswerk ausschließlich von Regie-Anfängern. Doch während es für seine Kollegen bei einem seltenen Ausflug ins Regie-Fach blieb, begann für Sallima wenige Jahre später - noch unter dem Pseudonym Simon Sterling - seine Karriere als Regisseur.

Nach drei Agentenfilmen war "La resa dei conti" (Der Gehetzte der Sierra Madre) sein erster Italo-Western, dem mit "Faccia a faccia" (Von Angesicht zu Angesicht,1967) und "Corri uomo corri" (Lauf um dein Leben,1968) noch zwei weitere folgen sollten - nur bei Sergio Leone gibt es eine ähnliche Beschränkung auf wenige, durchgehend qualitativ hochwertige Filme des Genres. Weitere Parallelen zu Sergios Werk liegen in der Zusammenarbeit mit dem Drehbuchautor Sergio Donati, der auch an "C'era una volta il West" (Spiel mir das Lied vom Tod, 1968) beteiligt war, und der großartigen Filmmusik von Ennio Morricone. Der deutsche Titel "Der Gehetzte der Sierra Madre" beschreibt korrekt das offensichtliche Geschehen im Film. Der Kopfgeldjäger Corbett (Lee van Cleef) jagt den Mörder eines 12jährigen Mädchens, den arbeitslosen, mexikanischen Herumtreiber "Cuchillo" (Tomas Millian), durch die wüstenähnliche Landschaft bis nach Mexiko, aber der Originaltitel "La resa dei conti" (wörtlich "Die Abrechnung" oder "Rechenschaft") vermittelt genauer, worum es in dem Film wirklich geht - um die Konsequenzen, die jeder für sein Handeln tragen muss.

In einer der schönsten Sequenzen, als Cuchillo bei seiner Flucht vor Corbett Hilfe auf einer Farm sucht, wird das Prinzip deutlich, das Sallima in seinem Film verfolgt. Äußerlich scheint die Auseinandersetzung zwischen den beiden Protagonisten - hier der wortkarge Meisterschütze, dort der trickreiche und lautstarke kleine Gauner - die Handlung zu bestimmen, doch ihre wiederkehrenden Treffen, die meist in eine erneute Flucht des Mexikaners münden, haben die Funktion eines Katalysators, der die niederen Beweggründe ihrer Umgebung erst zur Explosion bringt. So wird Cuchillo von den Arbeitern auf der Ranch mit unverhohlenem Rassismus begrüßt. Erst das Eingreifen ihrer Chefin (Nieves Navarro) verhindert weitere Gewalttätigkeiten, doch der Friede stellt sich schnell als trügerisch heraus. Die attraktive Frau, die seit dem Tod ihres Mannes der Boss ist, hält sich nicht nur für unwiderstehlich, sondern lässt den Kurzliebhaber gleich darauf wieder fallen.

Es ist sein Verfolger, der ihn vor weiteren Peitschenhieben rettet, denn Corbett will Cuchillo nur der Gerichtsbarkeit übergeben. Doch er gerät in den gleichen Sumpf aus Missgunst, Machtgier und Vorurteilen wie Cuchillo. Als die fidele Witwe auch Corbett verführen will, nutzt der Mexikaner den Neid ihrer Arbeiter und hetzt diese gegen seinen Verfolger auf, um die daraus entstehende Situation zur Flucht zu nutzen. Die Männer sind dem Revolverhelden erwartungsgemäß nicht gewachsen, genauso wie ihn die hübsche Rancherin kalt lässt. Als auch er den Ort der Handlung verlässt, um sich wieder auf Cuchillos Spur zu begeben, hinterlässt er Brachland – eine hilflose Frau umgeben von den Leichen ihrer Untergebenen. Die Raffinesse in Sallimas demaskierender Vorgehensweise liegt darin, das seine beiden Protagonisten in ihrer jeweiligen Haltung selbstbestimmt sind, unabhängig von ihrer Umgebung, während die Konfrontation mit ihnen, die egoistischen Obsessionen und den Opportunismus ihrer Umgebung entlarven.

Cuchillo und Corbett sind zwar einerseits komplexe Charaktere, auch dank des Spiels von Lee Van Cleef und Tomas Milian, andererseits in ihrer moralischen Standfestigkeit hochstilisiert, wenn auch keineswegs einseitig gestaltet. So bleibt lange offen, ob Cochillo der Mörder ist, und Corbett nimmt einem Familienvater, der ihm gerade das Leben gerettet hat, Pferd und Waffe weg, um weiter sein Ziel zu verfolgen. Sallima befand sich mit ihrer Konfrontation auf der Höhe der Zeit, Mitte/Ende der 60er Jahre, denn der Ältere vertritt konservative Werte wie Zuverlässigkeit, Fleiß und Gerechtigkeit, der Jüngere lehnt sich gegen die Gesellschaftsordnung auf, arbeitet nicht, hat dafür Spaß und Sex. Dass Sallima diese Haltungen keineswegs für unvereinbar hielt, lässt er an einer Gesellschaft deutlich werden, die äußerlich Anstand und Recht predigt, ihre Macht aber nur für die eigenen Ziele missbraucht.

Sie alle – der reiche Geschäftsmann Brokston (Walter Barnes), der Corbett für seine politischen Ziele einspannen will, sein schmieriger Schwiegersohn, der aus geschäftlichen Gründen Brokstons Tochter heiratete, der österreichische Baron Von Schulenburg (Gérard Herter – eine Figur, die in der deutschen Fassung nicht existierte), für den Töten Sport ist, der korrupte mexikanische Polizeichef (Fernando Sancho) oder die promiskuitive Witwe – werden irgendwann zur „Rechenschaft“ für ihr Handeln gezogen (9/10).

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