Die Western des Regisseurs Sergio Sollima gehören zu den intelligentesten Beiträgen des Italowesterns. Die inszenatorische Brillanz mag der legendäre Sergio Leone vielleicht gepachtet haben, die wirklich kontroversen und hintergründigen Filme hat aber Sollima gedreht und das stellt der erste seiner drei Italowestern eindrucksvoll unter Beweis. Die Klasse des ein Jahr später realisierten „Von Angesicht zu Angesicht“ erreicht er zwar nicht ganz, das liegt aber vornehmlich am dort grenzgenial spielenden Gian Maria Volonté und Edelsupport William Berger.
Gleich vorweg muss man dieses Mal leider vor der völlig verhunzten Neu-Synchronisation von Lunatic Synchron, die die deutsche Fassung geradezu vergewaltigen, warnen. Die Sprecher wirken furchtbar aufgesetzt und die Geräusche passen nicht so recht zum Bild, eindeutig eine dem Film nicht würdige Arbeit.
Dabei hat „Der Gehetzte der Sierra Madre“ wieder einiges zu vermelden. Sergio Sollima nimmt hier ein Urthema des Genres, der des Jägers und des Gejagten, auf. Der berühmte wie gefürchtete Kopfgeldjäger Jonathan Corbett (Lee Van Cleef, „Für ein paar Dollar mehr“, „Sabata“) wird auch nicht jünger und muss sich eingestehen, dass eine Umorientierung dringend Not tut, weil soviel Gesindel sich inzwischen auch nicht mehr herumtreibt. Der findige Eisenbahntycoon Brokston (Walter Barnes) möchte ihn in die Politik drängen, finanziert seinen Wahlkampf und glaubt mit dem berühmten Corbett an seiner Seite leichtes Spiel bei der Durchsetzung seiner Interessen zu haben. Auf einer gesellschaftlichen Veranstaltung platzen urplötzlich völlig außer Atem zwei Cowboys, die von der Vergewaltigung eines jungen Mädchens durch den Mexikaner Cuchillo Sanchez (Tomas Milian, „Töte, Django“, „Von Angesicht zu Angesicht“) berichten, herein. Corbett, sich inmitten dieser feinen Gesellschaft wie ein Fremdkörper vorkommend, nimmt ein letztes Mal dankbar die Verfolgung auf. Dabei ist er in seinem Charakter sehr ungewöhnlich, denn er zielt wirklich nur darauf ab dem Gesetz genüge zu tun und nicht möglichst hohe Kopfgelder zu kassieren.
Sollimas Regie ist von gewohnt innovativen Ideen geprägt. Die Anfangsszene, in der Corbett auf einen Baumstamm überdimensioniert drei Kugeln vor den im Hintergrund angespannt wartenden Verbrechern auftürmt, ist genauso unvergesslich, wie die spätere Szene, in der sich Cuchillo mühevoll über den Vorsprung stemmt und im Hintergrund die weiten des Canyons zu sehen sind. Sollima besitzt ein ungewöhnlich sicheres Auge bezüglich brillanter Montagen von Vor- und Hintergründen. Ähnliches bewies er ja auch in „Von Angesicht zu Angesicht“.
Was sich zu Beginn noch als eine Geschichte anhört, die zwischen Gut und Böse klar trennt, entpuppt sich schnell als intelligentes Statement über das alles andere als gerecht, voreilige Verurteilen offensichtlicher Sündeböcke. Denn dieser Cuchillo ist lediglich ein armer Mexikaner, der zum Banditen gemacht wurde. Der gescheiterte Revolutionär wurde mit Verleumdungen überhäuft, ist deswegen ständig auf der Flucht, hat seinen Humor aber noch längst nicht verloren. Das soll auch Corbett zu spüren bekommen, der mehrmals von ihm verhöhnt wird, indem er ihn auf einfachste Art und Weise austrickst. Obwohl er den Mexikaner mehrmals stellt, kann der ihm immer wieder entwischen.
„Der Gehetzte der Sierra Madre“ ist, wie schnell klar wird, die Zusammenkunft zweier sich gar nicht mal so unähnlicher Figuren. Beide suchen ihren Platz in der sich neu ordnenden Welt und beide wissen doch nur zu gut, dass sie nie wieder wird, wie sie mal war. Die Jagd soll sie in reichlich skurrile Situationen führen. Da wäre beispielsweise eine schwarze Witwe, die mit zwielichtigen Cowboys eine Ranch betreibt und nacheinander Cuchillo wie Corbett in ihr Spinnennetz fängt, oder ein Mönch der famos mit dem Schießeisen umgehen kann.
Tiefgründige Dialoge („Das Opfer ist nicht immer der, auf den man schießt“, „Wer von uns beiden ist eigentlich das Tier“) paaren sich mit Situationen, in denen Corbett, der die Werte, an die er sich sein Leben lang ausrichtete, zerfallen sieht, Cuchillo immer näher kommt, ja schlimmer als er wird (Prügelt Siedler nieder und stiehlt ihm Waffe wie Pferd). Veredelt wird auch dieser Italowestern mal wieder von den Kompositionen Ennio Morricones (im übrigen von Bruno Nicolai arrangiert), der hier nicht an seine Höhepunkt heranreicht, aber innerhalb des Genres nach wie vor eine Klasse für sich bleibt.
Über einen Mormonentrack bis über die Grenze nach Mexiko führt sie beide ihre Jagd/Flucht. Längst muss der systematisch und planmäßig vorgehende Corbett sich eingestehen, dass er dem spontanen, schlitzohrigen Cuchillo nichts entgegen zu setzen hat. Genau wie bei „Von Angesicht zu Angesicht“ prallen hier zwei völlig unterschiedliche Lebensphilosophien aufeinander. Allerdings belässt Sollima es hier dabei, die Einflüsse aufeinander zu zeigen. In seinem wenig später folgenden Western sollte er noch weiter gehen.
Wenn dann schließlich die Worte des Mexikaners zu Corbett durchdringen, ist er sich seiner eigentlich klar definierten Aufgabe gar nicht mehr so sicher. Als auch noch Brokston eintrifft, scheint sich seine Vermutung zu bestätigen, aber ich will an dieser Stelle nicht zuviel verraten.
Später wartet auf den Zuschauer noch ein toll inszeniertes Doppelduell in der staubigen Wüste, indem dann Corbett unter anderem gegen einen deutschsprachigen Scharfschützen (dieser Preuße ist pure Exotik) antreten muss. Beide Duelle (u.a. Messer vs. Colt) erreichen nicht vibrierende Spannung diverser Leone-Kompositionen, sind aber dennoch klasse in Szene gesetzt.
Das eigentlich Interessante ist aber wieder die Sollimas Intention, hier die Machtfülle der Obrigkeit anzuklagen, die für ihre Sünden gewissenlos die entsprechenden Böcke sucht und dann von voll und ganz in ihren Ansichten von Gerechtigkeit aufgehenden Menschen jagen, verurteilen und töten zu lassen. Abstrakt kann man hieraus auch die aktuelle politisch-wirtschaftliche Lage Deutschlands deuten, aber das würde jetzt zu weit führen.
Bleibt noch zu erwähnen, dass, neben den gewohnt erstklassigen Leistungen von Lee Van Cleef und Tomas Milian, akustisch wie visuell alles im Lot ist. War von Sollima aber auch nicht anders zu erwarten. So sorgfältige Handwerker wie er findet man leider nicht immer Westerngenre. Das hierfür deutlich sichtbar noch kein so hohes Budget wie bei „Von Angesicht zu Angesicht“ zu Verfügung stand, sei umständehalber zu vernachlässigen. So schrecklich viele Erfolg feierte das Genre damals noch nicht.
Fazit:
Bleibt nur festzuhalten, dass der Name Sergio Sollima für intelligente Westernkost steht, die gleichzeitig kritische Parabel, wie Charakterstudie bezüglich zwei völlig unterschiedlicher Lebensstile darstellt. „Der Gehetzte der Sierra Madre“ ist intelligentes Filmgut mit spannenden Momenten, skurrilen Situationen, tollen Darstellerleistungen, visueller Kreativität und edler Musik. Für den Westernfan ein Muss!