Alle paar Jahre ist es wieder soweit: ein engagierter und einfallsreicher Jungfilmer zaubert eine gruselige Fake-Documentary aus dem Hut, bei der Budget noch zusammensparbar oder dank lokaler Hilfe einbringbar daherkommt und liefert eine Show ab, bei der die Großen Hollywoods dann begeistert den Hut ziehen, auf das sie den Film selbstständig oder aufgrund des Phänomens Internet zu einem Massenschlager machen. Model 2009 war (wenn auch etwas verspätet, bis sich der 2007 gedrehte Film langsam aber sicher als Geheimtip durchsetzen konnte) "Paranormal Activity".
Wie üblich reicht die Rezeptionsbandbreite bei Publikum und Zuschauern dann von "der unheimlichste Film überhaupt" bis zu "voll öde, weil überhaupt nichts los", was durch die überhöhte Erwartungshaltung natürlich noch zusätzlich angefeuert wird.
Jetzt kann man "Paranormal Activity" in aller Ruhe daheim entdecken und aus der persönlichen Sichtweise heraus würde ich sagen, daß jetzt die beste Wirkung überhaupt erzielt werden kann, während die Atmosphäre in einem vollbesetzten und eher unkontrolliert erlebenden Kinosaal leiden könnte, aber das ist inzwischen eine obsolete Fragestellung.
Was man aber konstatieren kann: beide Skalenenden der Wahrnehmung haben durchaus ihre Berechtigung.
Oren Pelis Debüt ist tatsächlich kein Film mit überragenden Schauwerten, was angesichts eines 15.000-Dollar-Budgets und einer leichten Tricknachbearbeitung für den Kinoeinsatz auch kaum möglich gewesen wäre. Fake-Dokumentation wirken eben über ihre scheinbare Einfachheit, Natürlichkeit und Atmosphäre, nicht über enorme Spezialeffekte, was im blut- und schockgesättigten Fandom immer gern schnell übersehen wird. Kreativität aus der Armut heraus ist schon mal lobenswert, wenn man dafür nicht mit endlosen Streckungen wie etwa bei "Blair Witch Project" gegeißelt wird, wo ein Punkt (die Desorientierung) schon mal emotional zu Tode getrampelt wurde.
So simpel funktioniert die Prämisse: ein Ehepaar in seinem Haus. Sie wird seit frühester Jugend von einer unsichtbaren Entität verfolgt, die später als dämonische Präsenz identifiziert wird. Er will das alles dokumentieren und dagegen vorgehen, leidet aber an den Zivilisationskrankheiten, selbst angesichts deutlicher Beweise alles immer wieder zu ironisieren und sich an der Technik festzuklammern, während sie psychisch langsam aber sicher marode wird. Zu sehen ist dabei nur das, was Ehemann Micah durch die Kamera aufnimmt, nächtens ist sie auf einen Punkt im Schlafzimmer fixiert, der von rechts nach links nur das benutzte Ehebett einfängt, sowie links daneben die Schlafzimmertür, die auf den Fluß bzw. die Treppe in den Wohnraum hinausführt.
Diese Konstellation wird dann im Film immer aus der gleichen Position wieder und wieder durchgespielt, die Nächte von 1 bis 21 durchnummeriert (wobei einige ausgelassen werden). Gleichzeitig läuft (irritierenderweise nur im Nachtmodus) unten eine Uhrzeit mit, um die Abläufe (beschleunigt) zu verdeutlichen.
Gerade durch die immer wieder wiederholte Kameraposition gelingt Peli der simpelste Filmemacherkniff überhaupt: die nachhaltige Steigerung des Unheimlichen durch stetes Ausbauen der übernatürlichen Phänomene.
Hört man in der ersten Nacht nur Schritte auf der Treppe, bewegt sich in der dritten bereits eine Tür auf und wieder zu. Geschickt wird der Zähler der Uhr an den entscheidenden Stellen immer wieder verlangsamt, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu wecken und die Spannung auf das zu erwartende Ereignis zu potenzieren. Parallel dazu spielt der Regisseur mit Urängsten, denn wenn wir irgendwo sicher sein wollen, dann ist es in unserem eigenen Bett, dem persönlichsten Ort (neben dem Klo) im ganzen Haus, in dem wir instinktiv nach Sicherheit suchen würden. Dieser Ort wird zum absoluten Unsicherheitsfaktor und die schlafenden jungen Leute am angreifbarsten.
Erfreulich, daß die Tagesszenen nicht zu kompletten Füllern verkommen, wobei es fast schon üblich ist, daß der Nervfaktor immer bei einer der Figuren steigt (meistens die ungläubige Figur, in diesem Fall der filmende Ehemann), während er den Zerfall seines Lebenspartners dokumentiert. Steven Spielberg, der den Film für die Kinoauswertung mit umschnitt und bezüglich tricktechnischer Erweiterungen beriet, sorgte im Einvernehmen für zahlreiche Kürzungen von Streckszenen und hat so einen relativ dynamischen Film erschaffen, der neben den Nachtszenen eben auch noch Bezüge zu einem Exorzismusfall, eine Ouijaboard-Sequenz und zwei Besuche von einem Geisterberater enthält, der aber - wieder geschickt - entgegen der allseitigen Erwartungshaltung keine Hilfe bringt, sondern die Figuren eher ihrem Schicksal überläßt. Wie sehr beide isoliert sind, wird auch dadurch begünstigt, daß im Film außer dem Wissenschaftler nur eine Freundin zweimal kurz zu Besuch ist, sonst scheint es keine Hilfe und keine Verbindungen zur Welt zu geben.
Dergestalt auf sich selbst zurückgeworfen und isoliert, muß das Ehepaar die Konfrontation suchen, obwohl zu befürchten ist, daß jede weitere Szene, jede neue Anwendung der Kamera der auslösende Moment für den Dämon ist, noch stärker tätig zu werden - aber weil wir ja den Film samt Pointe sehen wollen, müssen wir das fatale Fehlverhalten in Kauf nehmen.
Was an paranormalen Phänomenen schließlich wirklich passiert, ist tatsächlich in der Druckform wenig: eine Tür öffnet und schließt sich, eine Lampe schwingt, ein Schlüsselbund fällt herunter, Schritte und andere Laute sind zu hören und besonders banal, aber potenziert effektiv: während einer Nachtmontage geht im Treppenhaus schlichtweg nur das Licht an! Später finden sich Spuren im Staub und die gute Ehefrau steht nachts einfach mal auf und bleibt drei Stunden schwankend auf der Stelle stehen - gegen solche bizarr-normalen Dinge wirkt die Sequenz einer im Web dokumentieren dämonischen Besessenheit geradezu bombastisch unpassend (weswegen sie auch für das Kino gekürzt und abgedunkelt wurde).
Geschickt wird das Spiel so also mit jeder weiteren Minute auf die Spitze getrieben und gipfelt schließlich in einem Höhepunkt, der einem ohne Vorwarnung das Unausweichliche praktisch ins Gesicht schleudert - sofern man entschieden hat, welches Ende man zu diesem Film präferiert, da drei Enden bekannt, zwei auf der DVD sind und noch viele mehr gedreht wurden. Alle drei wären im Kontext übrigens stimmig, bieten aber unterschiedliche Varianten der Auflösung (der Situation, der Ehe, des Menschseins).
Was uns noch einmal zum Waschzettel zurückbringt, denn "Paranormal Activity" entfaltet seine größtmögliche horrible Wirkung mit Sicherheit, sofern man den Film allein in seiner (vorzugsweise stillen und abgedunkelten) Wohnung bei Nacht (vielleicht im Bett?) ansieht, um den Identifikationslevel so hoch wie möglich zu halten. Sicher werden die "bumps in the night" niemanden den Schlaf rauben, der nicht sowieso nervös auf derlei Geschichten reagiert, aber für einige aufgestellte Nackenhaare, ausreichend Schauder und zwei, drei unerwartete "jumps" inclusive erwartungsängstliches Hochrutschen an der stützenden Rückwand reicht der Film allemal - und funktioniert so wirklich prächtig, von seinem ausgeprägten Timing (egal, wer dafür jetzt verantwortlich war) mal ganz zu schweigen.
Etwas mehr charakterliche Stringenz in den Tagszenen, wo alles entweder humorvoll angestrichen oder ausgeschwiegen wird, und es wäre ein bedrückendes Meisterwerk geworden. (8,5/10)