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„Regierungen kommen und gehen – die Polizei bleibt!“

Die Tupamaros sind eine antikapitalistische Bewegung in Uruguay. Gegründet in den 1960er-Jahren, wurde sie von der reaktionären Staatsmacht gegen Ende des Jahrzehnts in den Untergrund und bewaffneten Widerstand gezwungen. Unter Notstandsgesetzen war man politischen Freiheitsberaubungen und Folter, ausgesetzt, weshalb man in Notwehr den Guerillakampf aufnahm. 1970 zogen die Tupamaros den US-amerikanischen „Entwicklungshelfer“ Daniel Mitrione aus dem Verkehr und versuchten, durch seine Entführung politische Gefangene freizupressen. Doch die Regierung opferte lieber Mitrione, als auf die Forderungen einzugehen. So starb Mitrione am 10. August 1970.

Der griechische Regisseur Costa-Gavras, der mit „Z – Anatomie eines politischen Mordes“ die Entstehung der griechischen Militärdiktatur thematisierte und mit „Das Geständnis“ die politischen Morde Stalins aufgriff, nahm sich in seinem 1972 gedrehten – ein Jahr, nachdem die Linken die Wahl in Uruguay verloren hatten –, in französisch-italienisch-deutscher Koproduktion realisierten Film „Der unsichtbare Aufstand“ dieser Vorgänge an und entspinnt in seinem hochkarätigen Polit-Thriller die wahren Hintergründe der Tat. Für die Hauptrolle konnte er einmal mehr den Franzosen Yves Montand („I wie Ikarus“) gewinnen.

„Der unsichtbare Aufstand“ beginnt damit, dass Santore (Yves Montand) – das filmische Alter Ego Mitriones – erschossen aufgefunden wird. Es stellt sich heraus, dass es sich um einen Entwicklungshelfer handelte. Der Zuschauer fragt sich ebenso wie Presse und Öffentlichkeit, warum er sterben musste und ob er nicht schlichtweg ein bedauernswertes Opfer kaltblütiger, brutaler Terroristen wurde. Die Rolle des Fragenden übernimmt der unbequeme Journalist Carlos Ducas (O.E. Hasse, „Die Todesstrahlen des Dr. Mabuse“). Im Folgenden aber macht Costa-Gravas die wahren Zusammenhänge begreifbar: Die Tupamaros entführten Santore und zwei weitere Männer und verhören sie in aller Ruhe und ohne Folter oder Gewaltexzesse. Gibt sich Santore anfänglich noch selbstsicher und souverän, muss er bald erkennen, dass seine Entführer bestens Bescheid wissen: Darüber, dass er getarnt als Entwicklungshelfer die Interessen US-amerikanischer Wirtschaftsgrößen vertritt, indem er zusammen mit einem großen Netzwerk eine faschistische Diktatur in Uruguay aufbaut, die sicherstellen soll, dass die USA das Land wirtschaftlich ausbeuten können, u.a. indem antikapitalistische und antiimperialistische Kräfte verfolgt und handlungsunfähig gemacht werden. Er ist Teil der Exekutive des US-amerikanischen Imperialismus, der Diktatoren und totalitäre Systeme in Entwicklungs- und Schwellenländern installiert, und Vertreter eines der mächtigsten Organe der organisierten Kriminalität und des Staatsterrorismus, der CIA. Trotz ihres Wissens behandeln die Entführer ihre Gefangenen fair, lassen sie ihrerseits argumentieren und diskutieren.

Costa-Gavras hält sich dabei eng an historische Fakten und schafft es aufgrund seines Inszenierungsstils, der sich die Vorgänge langsam entfalten lässt sowie aufgrund der Tatsache, dass diese Art der US-amerikanischen „Politik“ meist im Verborgenen und von den Medien nur unzureichend kritisch beleuchtet stattfindet, anspruchsvolle und spannende Unterhaltung zu bieten, die jedem fiktiven Stoff das Wasser reichen kann. Er kreiert kein pädagogisches Kino mit erhobenem Zeigefinger, sondern nimmt die Zuschauer an die Hand, um sie sachlich-nüchtern und weitestgehend unmanipulativ durch die Handlung zu führen, so dass das Publikum die Beweggründe der Tupamaros nachzuvollziehen lernt, es ihm dabei aber freigestellt bleibt, seine eigenen Schlüsse zu ziehen. Er heroisiert die Rebellen nicht, sondern zeigt sie mit ihren Stärken und Schwächen sowie der Ernüchterung, Ausweglosigkeit und Verzweiflung, die sie letztlich Santores Leben beenden ließen. Einerseits wird dieser letzte Schritt nicht verurteilt, andererseits aber auch erst recht nicht als erfolgversprechendes Mittel oder irgendeine Art von „Sieg“ verkauft. Das Fehlen eines Patentrezepts, eines „Happy Ends“ oder direkter propagandistischer Aufforderungen regt den kritischen Geist an und verhilft zu interessanten Perspektiven. Derer gibt es im Film neben der der Tupamaros mehrere; neben der des kritischen Journalisten sieht man den Umgang der Staatsmacht mit den Entführungen, die Kaltschnäuzigkeit, mit der Foltermethoden „am lebenden Objekt“ erprobt und angewandt werden, so dass das Klima staatlicher Repression, verlorener Freiheit und Ohnmacht spürbar wird – weshalb „Der unsichtbare Aufstand“ zwar subtil, aber dennoch nachhaltig auch emotional wirkt und lange nachklingt.

Weit weniger als der Tod Santores sind es die Pseudo-Unabhängigkeit der marionettenhaften latein- und südamerikanischer Staaten, die von Industriellen infiltrierte, durchsetzte Politik, die Existenz eines faschistischen Killerkommandos („Geheimpolizei“ genannte Todesschwadronen) und das generelle Verhalten der Regierungskreise, die kurzzeitig in eine Krise geraten und um ihren Machterhalt fürchten müssen, letztlich jedoch Santore opfern, den Ausnahmezustand verhängen und das Land mit Folter und Terror überziehen, die schockieren, aber die Augen öffnen

Yves Montand, der bereits in den anderen beiden oben genannten Polit-Thrillern Costa-Gavras mitwirkte, spielt einen gefassten, besonnenen Santore, der stets die Contenance wahrt, auch je mehr er sich seiner ausweglosen Situation bewusst wird. Er wird bewusst nicht als das Böse in Person oder Wurzel allen Übels dargestellt, sondern als eines von vielen Rädchen im Getriebe, dessen Funktion analysiert und ausgewertet wird, das jedoch austauschbar ist und dessen Verlust die Todesmaschinerie kaum beeinträchtigt. Costa-Gavras Kritik erfolgt nicht personalisiert, sondern systemorientiert und damit mit wesentlich mehr Ein- bzw. Überblick und Weitsicht, als es die Fixierung auf eine bestimmte Person je könnte. Der große Machtapparat bleibt realitätsgetreu anonym im Hintergrund. Costa-Gavras gestattet es dem Zuschauer gar, Mitgefühl für Santore zu entwickeln, für ihn als Ehemann, als Mensch; er lässt jedoch auch keinen Zweifel daran, dass der Tod Santores ein vergleichsweise geringer Verlust ist verglichen mit den Unmenschlichkeiten und Morden, mit denen seine Auftraggeber vorgehen.

Gedreht wurde dieses Paradebeispiel für tief in der Realität verwurzelte, aufklärerische, kritische Polit-Thriller in Chile, dem kurz danach ein ähnliches Schicksal widerfuhr: Die Allende-Regierung wurde gestürzt und der faschistische Diktator Pinochet errichtete mithilfe der USA seine Schreckensherrschaft. Die Militärdiktatur in Uruguay endete erst 1985, Überlebende der Tupamaros gingen in die parlamentarische Politik und sind seit 2004 an der Regierung beteiligt. Amtierender Präsident Uruguays ist seit März 2010 mit José Mujica ein Tupamaro. Ein spätes „Happy End“? USA/CIA jedenfalls trieben und treiben ihr Unwesen in etlichen weiteren Ländern und sind noch immer die kriegerischste Nation der Welt, die zynischerweise mitunter ihre eigens installierten Diktatoren und Soziopathen bekämpft, sobald sich diese gegen sie wenden, und dies der Öffentlichkeit als „Krieg gegen den Terror“ oder „Friedensmissionen“ zu verkaufen versucht. Geändert hat sich nichts.

Filme wie „Z – Anatomie eines politisches Mordes“, „Das Geständnis“ und „Der unsichtbare Aufstand“ sollten eigentlich zu Standardwerken des Geschichts- und Politikunterrichts gehören. Stattdessen wurde auch diesem Meisterwerk bisher noch nicht einmal eine DVD-Auswertung zuteil, in Deutschland erschien es lediglich auf Montevideo (man verzeihe mir diesen Kalauer zum Schluss, auf VHS ist gemeint).

Bei der Recherche bzgl. der Geschichtlichen Hintergründe des Films und der Entwicklung Uruguays erwies sich die deutsche Wikipedia als hilfreich.

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