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Versucht man den visuellen Meisterspielen des David Cronenberg in all ihrer Subtilität und Vielschichtigkeit auf dem Papier gerecht zu werden, bemüht man sich die Narration, die konzipiert worden ist, um den Zuschauer über das Erlebnis Kino vollends in ihren Bann zu schlagen, mißt man sich zweifellos am fast Unmöglichen. Ich möchte nicht damit beginnen, euch die Handlung eines Cronenberg wiederzugeben. Eines Cronenberg, der in seinem wohl intendierten, von vielen Kritikern aber schlicht überinterpretierten und dann konsequent als zu eindimensional verurteilten Fortschritts- und Medienskeptizismus thematisch an „Videodrome“ (1983) anknüpft und voll der sexuellen Metaphern in Detail und Effekt steckt, die schon immer so typisch für das kanadische Regiegenie waren. Auch dieser Cronenberg ist allen Unkenrufen zum Trotz ein Meisterwerk. Mag man manchen Kritikern zugestehen, daß ihre Vorwürfe, Allegorien wie das einer sexuellen Penetration assoziierte Eindringen in die virtuelle Realität hätten schon lange vor der Vision eines David Cronenberg existiert, durchaus Berechtigung haben, die Kunst Cronenbergs lag und liegt aber immer wieder darin, die Erwartungen und Vorstellungskraft seiner Zuschauer noch zu überbieten. Deshalb gelang ihm nicht zuletzt die Umsetzung von Literatur wie J.G. Ballards „Crash“ oder auch des bis dahin als unverfilmbar gehandelten „Naked Lunch“. Und wenn sich jetzt wieder der Vorwurf erhebt, gerade die Verfilmung von „Naked Lunch“ sei schlecht, weil kaum werkgetreu gewesen, dann ist das genau das, was ich meine. Das undurchsichtige Spiel jenseits aller Erwartungen. Noch immer schafft es Cronenberg, seine Zuschauer auf Irrwege zu leiten, ihnen Lösungsbruchstücke hinzuwerfen und ihnen gleichzeitig vorzugaukeln, es handle sich um marginale Details. Das ist ganz besonders der Reiz von eXistenZ. Es ist ein Film, der mehr verwirrt als alle verfilmten Kevin Williamson Drehbücher, ein Film, der den Zuschauer auf der Suche nach dem Schlüssel in das Labyrinth saugt, das sich vor ihm auf der Leinwand entfaltet, und ihn dort wie doof an seinem engen Horizont verzweifeln läßt. Bis er ihm ironisch die fast schon banale Lösung präsentiert.
Insofern dies wirklich die Lösung ist und nicht nur eine weiteres Level der lebensechten Simulation eXistenZ, eines Computerspiels, deren Erfinderin Allegra Geller (Jennifer Jason Leigh) ganz oben auf der Abschußliste einer Revolutionsarmee für den Realismus steht. Anläßlich der Premiere gelingt es einem Attentäter eine Pistole an den Wachleuten und ihren Metaldetektoren in den Konferenzraum zu schmuggeln. Die Pistole besteht nur aus Knorpel, Knochen und ist mit menschlichen Zähnen geladen. Geller wird angeschossen, kann aber gemeinsam mit dem Praktikanten Ted Pikul (Jude Law) fliehen. Doch wahrscheinlich wurde auch ihre Pod verletzt. Das neuentwickelte Spielmodul, das aus lebendem Gewebe besteht und einer Vulva ähnelt, umsorgt sie wie eine Mutter ihr Kind. In dieser pulsierenden Meta-Gewebe-Einheit ist die Originalversion des Spiels gespeichert. Stirbt die Pod, sind viele Jahre kostbarer Arbeit kaputt. Es gibt schließlich nur eine Möglichkeit herauszufinden, was dem aus geklonten Amphibieneiern gezüchteten Organismus fehlt. Sie und ein ihr freundlicher Spieler müssen eXistenZ spielen und nach Fehlern im System suchen. Pikul bekommt einen Bioport gelegt, einen Zugang, der sein Rückenmark über eine Nabelschnur mit der Pod und einem Mitspieler verbindet. Allegra setzt das Spiel durch das Streicheln einer klitorisähnlichen Amatur an der Pod in Gang. Und dann tauchen sie ein in die virtuelle Welt, die so viel unterhaltender ist als die Wirklichkeit. Und die Charaktere der Spieler so schnell in den Verlauf der Handlung verstrickt, daß kaum noch Zeit bleibt, darüber nachzudenken, was nun Realität und was Fiktion ist. Diese Unterscheidung wird zur Fußnote degradiert. Und genau davor haben die Realisten immer gewarnt.

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