Review

„Mach dir eine Kompresse!“

Die im Februar 1964 veröffentlichte italienisch-französische Koproduktion „La calda vita – Das heiße Leben“ ist eine von Regisseur Florestano Vancini („Die lange Nacht von Ferrara“) inszenierte Verfilmung des (mir unbekannten) dritten Romans einer Trilogie des italienischen Autors Pier Antonio Quarantotti Gambini, der (laut Bretzelburger) in seinen Büchern veränderte Geschlechterverhältnisse im Nachkriegsitalien darstellte und verarbeitete. Das Liebes-/Coming-of-Age-Drama erzählt eine Dreiecksgeschichte, die zu einer Vierecksgeschichte gerät, in deren Mittelpunkt die Heranwachsende Sergia (Catherine Spaak, „Süße Begierde“) steht.

„Man sollte nicht immer die Wahrheit sagen…“

Die junge, attraktive Sergia entstammt einer Mittelschichtfamilie und hat eine große Schwester, Liuli (Halina Zalewska, „Auf eine ganz krumme Tour“), die offenbar gern mit den Männern spielt und einen entsprechenden Ruf genießt. Als Sergias gleichaltrige Freunde Max (Fabrizio Capucci, „Das süße Leben“) und Fredi (Jacques Perrin, „Z“) mit ihr für ein paar Tage auf eine idyllische Insel in der Nähe fahren wollen, wo sie angeblich das Ferienhaus eines Onkels bewohnen können, lehnt sie zunächst dankend ab, um schließlich, als sich ein Familienzwist um Liuli abzeichnet, doch einzuwilligen. Auf dem felsigen Eiland vergnügt man sich beim Wasserski und genießt unbeschwert die Sonne. Der aus einer ärmlichen Familie stammende, kleinkriminelle und aufbrausende Max und der zurückhaltendere, weniger problembehaftete Fredi verfolgen jedoch den Plan, Sergia ins Bett zu kriegen. Sie wollen sie sich gewissermaßen teilen: Erst darf der eine ran, dann der andere. Dabei haben sie jedoch die Rechnung ohne Sergia gemacht, die sich nicht ohne weiteres herumkriegen lässt. Als der Eindruck entsteht, Fredi habe Sex mit Sergia gehabt und wolle sie nun für sich behalten, zerstreiten sich die Jungen. Sergia unternimmt allein einen Tauchausflug und lernt dabei Guido (Gabriele Ferzetti, „Die mit der Liebe spielen“) kennen, den eigentlichen Besitzer des Ferienhauses, das Max und Fredi kurzerhand aufgebrochen hatten. Guido könnte ihr Vater sein, fühlt sich von der frechen Sergia dennoch (oder gerade deshalb?) angezogen. Kraft seiner Erfahrung lässt er sich auf keines ihrer Spielchen ein, zeigt ihr rasch mittels einer gewissen Autorität die Grenzen auf und beweist seine Dominanz. Den Jungs ist er nicht böse, zu viert geht man nun im Feriendomizil dem schönen Leben nach. Doch unter der Oberfläche brodelt es vor Eifersucht und gekränktem Stolz, denn alle drei Vertreter des männlichen Geschlechts haben nun Interesse an Sergia…

„Glaubst du, dass ich ein Mädchen bin, das man so nimmt…?“

Der auf technisch recht hohem Niveau gedrehte „La calda vita“ nimmt sowohl mit den malerischen, sonnendurchfluteten Landschaften, dem blauen Meer und der anfänglich sommerlich-leichten Stimmung als auch mit Catherine Spaaks makellosem Körper und ihrer entwaffnenden Mimik gleich gefangen, untermalt von einem wiederkehrenden musikalischen Motiv in unterschiedlicher Instrumentierung. Er erzählt die Geschichte einiger weniger, dafür umso schicksalhafterer Sommertage und macht deren Emotionen von Zuneigung über Triebhaftigkeit, Eifersucht, Wut und Verzweiflung bis hin zur aus alldem resultierenden Trauer und Melancholie spürbar. In ihrem Zentrum steht Sergia stellvertretend für eine bereits vor der sexuellen Revolution selbstbestimmter und -bewusster auftretende Generation junger Frauen, die sich gegen patriarchale Verhaltensmuster zu behaupten wissen. Das ist etwas, womit keiner der hier involvierten Jungen bzw. Männer so richtig umgehen kann, am wenigsten Max, der erst seinen besten Freund zu harpunieren droht und schließlich den Freitod wählt.

„Nun erzähl mir bloß keinen Fortsetzungsroman!“

Sergia hingegen durchläuft mehrere Reifeprozesse: Ihre sexuelle Initiation durch einen väterlichen Liebhaber, einen schmerzhaften, schockierenden Verlust in Form von Max‘ Tod sowie die Emanzipation von den Wünschen und Erwartungshaltungen anderer, weshalb sie auch Guidos Eheofferte überaus reflektiert abschlägt und, mittels Flughafen-Metapher versinnbildlicht, in ein eigenständiges Leben aufbricht. Für Vertreterinnen und Vertreter patriarchalisch, reaktionär oder orthodox-religiös geprägter Moralvorstellungen dürfte diese Geschichte ein Affront gewesen sein, ebenso die Inszenierung einer unbekleideten Spaak, deren Geschlechtsorgane dennoch im Verborgenen bleiben. Damit umging Vancini die Zensur und erzeugte zugleich eine subtile Erotik, die sich (Fußfetischisten aufgemerkt!) auch in Großaufnahmen Sergias zarter Mädchenfüße niederschlägt. Ihr zwischen offenherzig und abweisend pendelndes Auftreten scheint ihre ohnehin schon starke Anziehungskraft weiter zu beflügeln, zugleich bringt es die Herren um den Verstand.

„Die Welt pfeift auf uns!“

Im Geschlechtermiteinander der westlichen Hemisphäre heutzutage, zwischen Freundschaft, zwanglosem Sex bis hin zur Partnersuche und zum Eheversprechen, scheinen Angehörige aller Geschlechter Sergias Verhaltensweisen kultiviert zu haben, sie zuweilen bewusst einzusetzen und, selbst mit ihnen konfrontiert, damit umzugehen gelernt zu haben. Vielleicht trug dieser kleine Film in prärevolutionären Zeiten bereits ein Stück weit dazu bei; in jedem Falle ist er ein vergessener, aber sehenswerter Mosaikstein in der Entwicklung zum erotischen Film. Meinen Nerv traf diese Inszenierung, wenngleich sie Gefahr läuft, aus heutiger Perspektive etwas unspektakulär zu wirken, zumal sie möglicherweise in Richtung Rape-and-Revenge-Thriller oder ähnliche Gefilde tendierende Erwartungshaltungen komplett unterläuft. Dass nicht jede Kritik an den einzelnen Figuren ausformuliert wird, sondern sich indirekt, mitunter auch erst in der Reflektion, erschließt, passt hingegen zur reduzierten Form des Films, der fast gänzlich mit nur einem Schauplatz und einem sehr übersichtlichen Ensemble auskommt, unter dessen hübscher Oberfläche aber mehr steckt, als man auf den ersten Blick vermuten würde.

Mindestens 7,5 von 10 Spaak’schen Gesangseinlagen lasse ich da gern an meine Ohren und hoffe auf eine ungekürzte deutschsprachige Heimkino-Veröffentlichung nicht nur dieses, sondern aller frühen Catherine-Spaak-Filme. Würde doch eine hübsche Box abgeben, oder?

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