"Ich wollte einen rauen Film drehen" sagte Regisseur Josef Fares in einer Stellungnahme und in seinem Film "Leo" wird deutlich, was er damit meint. Sein Rachefilm verzichtet auf differenzierte Betrachtungsweisen, auf moralische Zeigefinger und tiefenpsychologische Erklärungen, sondern erzählt linear die Geschichte einer ungeheuren Verletzung und dem daraus entstehenden Wunsch nach Rache.
Schon der Beginn lässt das kommende Unheil ahnen, denn ein Szenario voller Glück gleich zu Beginn, kann nur einen tiefen Fall nach sich ziehen. Leo (Leonard Terfelt) ist 30 geworden und feiert zusammen mit seiner Mutter, seinen besten Freunden Josef (Regisseur Josef Fares selbst) und Shahab (Shahab Salehi) und vor allem seiner Freundin Amanda (Sara Edberg) seinen Geburtstag. Leicht betrunken und in Erwartung einer amourösen Nacht, geht er gut gelaunt mit Amanda nach Hause. Die Authentizität dieser Konstellation kommt nicht von ungefähr, denn die drei männlichen Protagonisten sind auch in ihrem Privatleben eng befreundet und spielen hier teilweise zum ersten Mal.
Die dann entstehende dramatische Situation ist ebenso leicht vorstellbar. Leo lässt Amanda für einen kurzen Moment allein, um in einem Lokal auf die Toilette zu gehen, worauf sie von einem Typen, der gerade heraus kommt, angebaggert wird. Die Aggressivität in der Anmache ist offensichtlich, aber Amanda lässt ihn eher passiv abgleiten. Erst als Leo unwissend hinzu kommt und gleich Amanda umarmt, wird aus der Aggressivität Brutalität. Leo wird zweimal geschlagen, wehrt sich aber nicht gegen den Angreifer, der zudem noch von einem ihn begleitenden Freund zurückgehalten und weggezogen wird, so das die Situation erst einmal bereinigt scheint.
In Verkennung der Gefahr, geht Leo nicht auf Amandas Vorschlag ein, ein Taxi zu rufen, um seine Verletzung in einem Krankenhaus behandeln zu lassen, sondern setzt den gemeinsamen Weg zu Fuß fort. Jedem Betrachter dieser Szene ist bewusst, dass hier keine wirkliche Klärung stattfand, so dass es nicht überrascht, als der Angreifer wenig später mit seinem Auto neben dem Paar hält und sie brutal mit einer Waffe überfällt. Die eigentliche Intention, eine Frau anzumachen, spielt längst keine Rolle mehr, was in der gezielten Erniedrigung Leos zu erkennen ist, dem der Angreifer vor allem dessen Hilflosigkeit vor Augen führen will. Die sich lösenden Schüsse und der daraus resultierende Tod Amandas wirken dagegen eher zufällig.
Leo überlebt den Angriff schwer verletzt und wird von seinen Freunden und seiner Mutter nach besten Kräften unterstützt. In schneller Abfolge zeigt der Film die Versuche, Leo wieder Lebensinhalt und Halt zu geben. Seine Freunde begleiten ihn zu Amandas Grab, die Polizei, die die Täter nicht findet, hat Verständnis für einen Wutausbruch gegenüber seinem Chef und ein Psychologe versucht mit ihm über seine Gefühle zu reden. Doch Leo zeigt sich zunehmend unzugänglich und sehnt sich nur noch nach Rache. Die Szenen mit dem Psychologen zeigen zum Einen die Unfähigkeit der Gesellschaft, sich wirklich in eine solche Situation einfühlen zu können, zum Anderen versucht "Leo" aber gar nicht erst, seiner Hauptperson besondere Sensibilität anzudichten. Im Gegenteil spielt der Verlust der Freundin immer weniger eine Rolle - seine ohnmächtige Wut, die auch immer selbstzerstörischer wird, entspringt ausschliesslich der erfahrenen Erniedrigung.
Die Story ist in ihrer linearen Erzählweise vordergründig weder besonders originell, noch in den entstehenden Konsequenzen überraschend, aber im Detail zeigen sich die Unterschiede, die diesen "Selbstjustiz"-Film von Standardwerden wie "Ein Mann sieht rot" oder erst zuletzt "Death Sentence" deutlich unterscheiden.
Das begründet sich schon in der Person des Leo, die immer verbohrter und unzugänglicher wird. Sind seine Emotionen zuerst noch nachvollziehbar, so wird er zunehmend unsympathischer in seinem Racheverlangen. Das ist auch darin begründet, dass zwischen der Ursprungstat und seiner Rache eine erhebliche Zeitspanne liegt, die er nicht zu einer anderen Wahrnehmung nutzt. Der Film vermeidet zudem dramatische Zuspitzungen im Zusammenhang mit Amanda und beschreibt ihren Tod fast lakonisch, während die erniedrigende Situation für Leo stärker in Erinnerung bleibt. Schon der fremde Angreifer agierte nur deshalb so brutal, weil er sich zurückgesetzt und nicht respektvoll behandelt fühlte - das gibt der gesamten Auseinandersetzung beidseitig eine sehr niedrige moralische Grundlage, die beim Betrachter kein Gefühl der Befriedigung oder gar Erlösung entstehen lässt.
In üblichen Racheepen werden bewusst sehr unterschiedliche moralische Haltungen gegenüber gestellt - hier der sozial verwahrloste Straftäter, dort der anständige Familienvater, der nur sein Recht verteidigt (wenn auch mit gesetzlich unlauteren Mitteln) - in "Leo" gleicht sich die moralische Ebene spätestens nach dem ersten misslungenen Versuch immer mehr an. Zudem werden der Hauptperson auch keine zusätzlichen "Kämpfer"-Fähigkeiten zugesprochen, die er sich plötzlich und unerwartet erwirbt, was dessen Ansinnen noch wahnsinniger wirken lässt...
Wenn Regisseur Fares von einem "rauen" Film redet, dann spürt man hier, dass damit nicht nur das Bekenntnis zu einer rigorosen Brutalität und fehlenden moralischen Erkenntnis gemeint ist, sondern auch der Verzicht auf plakative Zuspitzungen, die immer nur eine Einflussnahme des Publikums bedeuten. "Leo" erzählt seine Geschichte mit einer so lakonischen Konsequenz, dass hier keinerlei typische Befriedigungen entstehen und das die Sinnlosigkeit solcher Vorgehensweisen nicht erst durch komplizierte Analysen hervorgekramt werden muss - der Irrsinn erschliesst sich von selbst und erzeugt beim Betrachter nach Ansicht dieses Films ein schales Gefühl (8/10).