Im Jahre 2008 bricht in Schottland das tödliche „Reaper-Virus“ aus. Um eine Pandemie zu verhindern, wird das Land durch eine Mauer vom Rest des Vereinigten Königreiches abgetrennt und die dortige, infizierte Bevölkerung sich selbst überlassen. 25 Jahre später bricht das Virus mitten in London erneut aus. Um einer erneuten, vielleicht noch schlimmeren, Ausbreitung entgegenzuwirken, schickt die britische Regierung eine Elite-Einheit unter der Führung der taffen Eden Sinclair (Rhona Mitra) in die „verbotene Zone“ nach Glasgow, um dort den Wissenschaftler Dr. Kane (Malcolm McDowell) ausfindig zu machen, der als Einziger über ein wirksames Gegenmittel verfügen soll…
Der Begriff „Camp“ beschreibt eine Kunstform, die sich durch stilistische Übertreibungen, eine besonders starke Theatralik und ästhetische Verspieltheit, eine erkennbare Abkehr vom aktuellen Mainstream und eine im Großen und Ganzen substanzlose, einfach gehaltene künstlerische Ausdrucksform definiert. Die frühen Werke von John Waters („Haispray“) waren z.B. Camp in Reinkultur. Auch Actionfilme der Marke „Road House“ (1989) definierten sich über maßlose Übertreibungen bzw. Überspitzungen der Realität. Camp ist im Grunde dem Kitsch sehr ähnlich, entsteht aber häufig aus unschuldiger Naivität heraus und nicht etwa aus kommerziellem Kalkül. Camp ist häufig auch verdammt Retro, folgt nicht dem Zeitgeist oder einem Trend, sondern gefällt sich v.a. darin, Kunst zu schaffen, die schon beinahe nostalgisch wirkt. Einen tieferen Sinn sollte man hierin nicht suchen, es steht die Lust am Spektakel und am grell Überzeichneten im Vordergrund.
Damit ist der neueste Film von Neil Marshall, um den es im Folgenden geht, schon ganz gut umrissen. Sein Werk ist ein irrwitziges, abstruses Spektakel voller „Style over Substance“- Szenerien, kruder Einfälle und logischer Brüche, die dazu führen, dass zwischendurch schon mal das komplette Genre gewechselt werden darf. Die erste Filmhälfte beginnt als apokalyptisches Zombie-Spektakel mit Anleihen an „I am Legend“ und „28 Weeks later“, wandelt sich dann nahtlos in ein Himmelfahrtskommando, dass Erinnerungen an „Escape from New York“ wachwerden lässt und endet mit einem anarchistischem „Kannibalen-Happening“ durchgeknallter Marodeure, die zur Musik der „Fine Young Cannibals“ (sic!) ein Punk-Konzert der besonders unappetitlichen Art veranstalten. Erinnerungen an Filme wie „Blood of Heroes“ oder „Class of 1984“ werden da geweckt. Speziell der Show-Auftritt des Anführers „Sol“ ist in bester Camp-Manier herrlich übertrieben und grell inszeniert.
Aber auch danach gönnt sich der Streifen keine Ruhepause: Das Setting wechselt komplett, nachdem sich Eden und ihre wenigen verbliebenen Mitstreiter in eine mittelalterlich anmutende Burg im Norden Schottlands begeben haben, wo der gesuchte Dr. Kane geradezu anachronistisch über ein Klein-Volk von Rittern und Burgbewohnern herrscht. Das ist natürlich komplett schwachsinnig, unlogisch und unnötig für einen Endzeit-Film über ein tödliches Virus, entspricht damit aber genau dem Ansatz von Marshall, auf Konventionen und aktuelle Trends zu „scheißen“ , um etwas völlig Neues und im wahrsten Sinne Eigenartiges zu kreieren. Bestätigung hierfür findet der Rezipient schließlich im Finale, das eine einzige Hommage an „The Road Warrior“ darstellt und diesen durch irrsinnige Einfälle sogar noch toppt: Da schnallt sich dann schon mal ein Punk-Kannibale in S/M-Leder-Outfit vor ein fahrendes Vehikel seiner Bande, da dürfen die extravaganten „Mad Max“-ähnlichen Fahrzeuge der Punks wie selbstverständlich mit Menschenhaut verkleidet sein, da fliegt schon mal ein Kopf nach einer spektakulären Kollision in rasantem Tempo von hinten durch die Luft, um Sekundenbruchteilen später in Großaufnahme auf dem Asphalt zu landen.
Nun könnte man natürlich einwenden, dass Marshall halt einfach nur geschickt geklaut hätte, um seine Materialschlacht dramaturgisch aufzupeppen. Und es stimmt ja auch: Storytechnisch ist das Ganze wenig originell und man muss auch festhalten, dass „Doomsday“ voller Plot-Holes und logischer Brüche steckt. Wer hier genau hinschaut, wird so Einiges bemängeln können. Obendrein wird nur wenig erklärt, so erfährt man fast nichts über die Herkunft des Virus, wie es sich urplötzlich wieder ausbreiten konnte oder warum nur ein einziger Wissenschaftler über ein Gegenmittel verfügt. Die Protagonisten bekommen darüber hinaus kaum charakterliche Tiefe zugestanden, selbst die von Rhona Mitra („Underworld 3“) gespielte Hauptfigur Eden Sinclair bleibt an der Oberfläche. Selbiges gilt für die Antagonisten: Die Marodeure beschränken sich meistens auf lautes Gröhlen und wildes Gestikulieren. Bob Hoskins („Mona Lisa“) und Malcolm McDowell („A Clockwork Orange“) haben zu wenig Screentime, um glänzen zu können und bleiben blass.
Nach Subtext oder irgendeinem (gesellschaftspolitischem) Anspruch braucht man bei „Doomsday“ gar nicht erst suchen: Es gibt ihn nicht, auch wenn das Sujet dies durchaus zulassen würde.
Doch genug der Kritik: „Doomsday“ macht soviel Spaß, wie es zuvor schon lange keinem Film mehr gelungen ist: Unterhaltung der besten Sorte und im positivsten Sinn. Marshall übertreibt es mit seinen optischen Spielereien stellenweise derart, dass es schon wieder grandios ist. Ständig kracht und scheppert es irgendwo, die Actionszenen sind hervorragend inszeniert, die Ausstattung (gedreht wurde hauptsächlich in Südafrika) passt perfekt und die Kamera kommt nie zur Ruhe. „Doomsday“ ist Kino der Schauwerte, der „Eye Candies“, der Attraktionen. Mit viel Liebe zum Detail werden hier Hollywood-Konventionen gebrochen (z.B. wird geradezu augenzwinkernd ein Hase in Stücke geschossen) , Genres wild und ohne Rücksicht auf Verluste durcheinander gewürfelt und der Zuschauer in einen Strudel aus Tempo und Wahnsinn geworfen. Purer Anarchismus mit grandioser Retro-Ästhetik, dem man sich nur schwerlich entziehen kann. Speziell das Straßen-Duell am Ende fegt so ziemlich alles weg, was Hollywood in den letzten Jahren an kerniger „Männer-Action“ aufgeboten hat. Und das mit einem eher bescheidenen Budget von 30 Millionen Dollar. Man fühlt sich, trotz moderner technischer Mittel, zurückversetzt in die 70er und 80er Jahre, als Camp und Exploitation noch auf der großen Leinwand laufen durften. An die Zeiten von „Mad Max“, „Ultimate Warrior“ oder „Death Race“. Einfach herrlich!
Sensible Zuschauer seien aber insofern gewarnt, als dass es in „Doomsday“ ziemlich heftig zur Sache geht. Es gibt viele blutige Schusswechsel, zwischendurch auch abgetrennte Köpfe und unschöne Verletzungen. Darüber hinaus eine schon fast legendäre Kannibalismus-Szene, die aber wie das restliche Geschehen auch in einem comichaften und oft selbstironischem Kontext steht.
Fazit:
Camp-Kino vom Allerfeinsten. Trotz mancher Ungereimtheit und offensichtlicher Schwächen ein ganz großer Spaß, nicht nur für Genre-Geeks, sondern für alle, denen der sog. Unterhaltungsfilm zu brav und angepasst geworden ist. Ganz großes Tennis!