An drei Lektüren aus der Sekundarstufe 1 der Gesamtschule erinnert man sich sofort:
„Rolltreppe abwärts“, „Die neuen Leiden des jungen W.“ und „Die Welle“.
Damals, Mitte bis Ende der Achtziger, waren es häufig eben jene Lehrkräfte, die der Hauptfigur in dieser Verfilmung sehr ähnelten: Einstige Haubesetzer, Schwarzweißhalstuchträger, „Fair-geht-vor“-Propagandisten und Spät-68er.
Und gerade weil solche Leute diese Literatur stets mit dem links erhobenen Zeigefinger behandelten, war eine kritische Betrachtung recht schwer, wenn auch innerhalb der Klasse sehr anregend.
Anregend wirkt der Stoff auch heute noch, doch obwohl ihm hier glücklicherweise der erhobene Zeigefinger fehlt, so mangelt es ihm manchmal an nachvollziehbaren Beweggründen einzelner Beteiligter.
Wenger (Jürgen Vogel) ist ein sympathischer Vertreter jener Lehrergruppe: Hausbootbewohner, Rock and Roll-Liebhaber, kantig, aber Kumpeltyp.
„Anarchie“ wäre natürlich sein Thema für die anstehende Projektwoche gewesen, nun bleibt ihm das weite Gebiet der „Autokratie“.
Um seinen Schülern zu veranschaulichen, wie leicht sich eine Diktatur bilden kann, formt er aus ihnen eine Gemeinschaft, die rasch eine gefährliche Eigendynamik entwickelt.
Die Schülerfiguren sind zwar lebhafte Vertreter nachvollziehbarer Stereotypen, doch ihnen und zugleich dem Gefüge der Gemeinschaft mangelt es doch mancherorts an Glaubwürdigkeit.
Prompt läuft der einzige Ausländer in der Klasse konfliktlos zu Hochform innerhalb der Gemeinschaft auf, der Mitläufer mutiert gar zum Wagemutigen, der sich Lehrer Wenger als Leibwächter anbiedert und ausgerechnet die Beliebte in der Klasse stellt sich der Gemeinschaft mit Gegenpropaganda entgegen, - kassiert innerhalb der mittlerweile recht rabiat reagierenden Truppe aber nicht mehr als nur böse Worte.
Allerdings erfolgt die Entwicklung zur faschistoid anmutenden Gruppierung glaubhaft und nachvollziehbar. Sind die Schüler beim Thema Einheitskleidung noch etwas ratlos und mit der zackigen Disziplin zu Beginn ein wenig überfordert, entwickeln sie gerade in Sachen Kreativität ungeheuren Elan: Eine Homepage muss ebenso stehen, wie eine Präsenz bei MySpace, das Logo muss ebenfalls im Ort verbreitet werden und ein einheitlicher Gruß wird auch schnell gefunden.
So eine gruppendynamische Euphorie setzt jedoch nicht selten kriminelle Energie frei und auch da baut die Dramaturgie geschickt auf, setzt von kleinen Keilereien mit helfender Intervention weiter fort, bis „Die Welle“ zu einer durchorganisierten Macht aufstrebt, die sogar ein bedeutungsvolles Wasserballspiel organisiert und leitet.
Und bereits hier droht die Welle beinahe bildlich überzuschwappen.
Leider nicht unbedingt innerhalb einiger Figuren, deren oberflächlich wirkende Verführbarkeit oft mechanisch und zu emotionslos wirkt.
Inszenatorisch wird das zwar die entsprechende Zielgruppe der Schüler ansprechen, mit stylischen Schnitten und Aufnahmen einer hippen Strandparty, doch für einzelne Individuen bleibt zu selten Raum, persönliche Motivationen zu durchleuchten und Lehrer Wengers Ehe/Beziehung einer glaubwürdigen Zerreißprobe zu unterziehen.
Aufgrund erzählerischer Windigkeiten wird allerdings geschickt die allgemeine Anfälligkeit für bestimmte Ideologien verdeutlicht, - Irgendwann wirkt die Masse der Weißgekleideten im Gesamtbild zu bedrohlich, um einzelne Schicksale in den Vordergrund zu stellen, womit der Film auch in seiner teilweise oberflächlichen Form sein Ziel erreicht.
Dass er im Gegensatz zu den historischen Fakten sogar ein wenig blutig endet, mag man der zeitgenössischen Umsetzung schulden, - in dem Punkt endet die Verlaufskurve der Gewalt konsequent und folgerichtig, so dass sich für betrachtende Schüler ein weiterer Diskussionspunkt ergibt.
Was jenen, die die Schulbank bereits vor vielen Jahren hinter sich gelassen haben, an Details und Neuerungen fehlen wird, bietet er restlichen, die das Buch von Morton Rhue nie gelesen haben.
Er wird flüssig und unterhaltsam präsentiert, hier und da fehlt es zwar an Tiefgang, doch alles in allem wirft „Die Welle“ erneut die Frage auf, wie leicht sich Menschen zu einer autoritären Ideologie hinreißen lassen.
Nicht optimal beantwortet, aber mit vielen sehenswerten Ansetzen versehen…
7 von 10