Review

Hallo!? Was lese ich da für Reviews?!
Wo sind wir denn? Rezensenten aufgewacht! Wo sind wir eigentlich? Es ist kein Angelopoulos, sondern Teil 2 eines US-Tanzfilms!
Unsere Erwartungen sollten sich also nicht allzu hoch schrauben. Wir sollten kein großartiges, shakespeare-gestähltes Drama erwarten (seid ehrlich: Wer von Euch guckt überhaupt Shakespeare?!), keine oscarwürdigen Schauspielleistungen (die oft zum Gähnen verführen); nein, wir wollen junge, durchtrainierte Körper und vielleicht noch schöne Gesichter (nicht Menschen) sehen, die möglichst atemberaubende Tanzkünste vorführen.
Natürlich freuen wir uns über eine vernünftige Handlung als Dreingabe; gern gucken wir auch guten SchauspielerInnen ein paar Sekunden länger zu (z.B. Julia Stiles in SAVE THE LAST DANCE); aber wem das wichtig ist, sollte anders wählen. Wenn auf dem Cover eine bauchfreie junge Dame in strömendem Regen ihr Haar schleudert, den Mund halb offen, flankiert von einem Beau im weißen Unterhemd, dann hat beider Innenleben wohl nicht erste Priorität.
Und so soll es sein!
Sein selbstgestecktes Ziel dürfte STEP UP TO THE STREETS erreichen, ebenso wie seine Zielgruppe: HipHopRapDanceAnimals, fed up with ballet, rock'n roll, disco, parents and 8 years George Bush. Und eigentlich sollte man Werke an deren eigenen Vorgaben messen (nicht an unseren).
Der Film ist wahrscheinlich nicht für erwachsene WASP's (white anglo-saxon protestants) gemacht, auch wenn diese den Film gern angucken und auch gern einer coolen Subkultur angehören würden, sobald sie am Abend ihre Büros verlassen haben.
Hm, jetzt zweifele ich: Vielleicht ist er ja gerade doch für sie gemacht?! Denn sie haben es am nötigsten, sich zu verwirklichen, ihre animalischen, afrikanischen, libido-diktierten Wurzeln aufzuspüren (ohne dabei zu amoklaufenden Triebtätern zu werden).
Aus diesen Nöten sah also auch ich den Film an, sogar im Original (mit Untertiteln).
Sich zu verwirklichen... Das ist schließlich die Botschaft: „Sei, wer Du bist!“ (Die Frage, ob das einen egozentrierten Individualimus fördert, soll andernorts diskutiert werden. Denn zugleich propagiert der Film ja auch soziale Werte wie „Die Tanz-'Crew' als Familie“ usw. und wirbt so für die Bildung von verschworenen, loyalen Gemeinschaften, wirvt für das Unterordnen unter eine große soziale Sache, wichtiger als man/frau selbst.)
Und was heißt „schlechte Schauspieler“?! Die schlampige Aussprache, die Unruhe, die Aggression passen! Wen kennen wir, der sich heute noch die Mühe macht, einen Gedanken oder ein Gespräch in Ruhe zu führen? Dem Gesprächspartner zuzuhören? Heutzutage werden auch nicht mehr viele Worte gemacht, erst recht nicht, ich wiederhole mich: „In einem Tanzfilm!“ Und die „Tanz“szenen sind großartig (wobei man mit „Tanzen“ oft etwas anderes verbindet – ebenso wie es die Schule tut, an der die diesbezüglich naive Andie angenommen wird).
Auf Grund meiner männlichen WASP-Vergangenheit gründlich verklemmt, sah ich zu Therapiezwecken ja schon einige Tanzfilme: doch Szenen wie die einleitende U-Bahn-Szene oder der finale Höhepunkt im dichten Regen erreichen eine mystische, magische, geheimnisvolle, berauschende Qualität, die seinesgleichen sucht.
Wenn das der Film noch forciert durch den geschickten, fast unbewußt wirkenden Einsatz von Zeitlupe, ist der Film auf einer Ebene, die tiefer geht als im Kino üblich: Dann geht es um die Überschreitung der Realität, das Sprengen von Grenzen, das Verlassen des vertrauten Grundes. Und das nicht nur als THEMA DES FILMS, sondern DER FILM SELBST verläßt dieses vertraute Gebiet: Wenn in Regen und Dunkelheit die Bewegungen verschwimmen, eine Eigendynamik entwickeln, wenn die U-Bahn zweckentfremdet wird, wenn plötzlich Masken auftauchen und Babys verschwinden, wenn das Geschehen, das eben noch alltäglich war, für uns völlig rätselhaft wird, erreicht der Film eine Beunruhigung (auch durch die Klänge/Töne/Musik), die über bloße Faszination weit hinausgeht.
Wenn solche Ekstase, solche Verwandlung der banalen Wirklichkeit möglich ist, wenn Kunst die U-Bahn in Besitz nimmt, wenn Körper über Intellekt triumphiert, wenn die Form des Films im Regen ihre eigene Wahrnehmbarkeit in Frage stellt, dann ist die Basis unserer eingefahrenen Lebensläufe plötzlich nicht mehr sicher.
Hier sehen wir unsere Bewegungsmuster, unsere Hör- und Sehgewohnheiten in Gefahr (so wie draußen die Wirtschaftskrise die langgepflegten Mythen um die Segenswirkung von Kapitalismus und Marktwirtschaft zerstört hat).
Und das ist Ziel eines guten Films: Unsere Gewohnheiten zu erschüttern!

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