Review

Der Gedanke, sich eine Rasierklinge zu nehmen und sich selbst ein wenig zu ritzen, auf dass das warme Blut das Bein oder den Arm hinunter fließt, ist abwegig.
Der Gedanke, den Kopf mit ziemlicher Wucht auf den Schreibtisch zu knallen, auf dass der innere Schmerz dem physischen weichen möge, - ebenfalls undenkbar.
Die Zigarette ist aufgeraucht, man könnte sie auf dem eigenen Oberschenkel ausdrücken, damit wenigstens für einen Moment Endorphine ausgeschüttet werden, - ebenfalls kein Gedanke.
Sollten diese drei Überlegungen doch für jemanden in Betracht kommen, sollte er „Downloading Nancy“ grundlegend meiden, es könnte den eigenen Suizid in greifbare Nähe rücken, denn auch ohne Hang zum selbstverletzenden Verhalten reißt der Streifen enorm runter.

Nancy (Maria Bello) hat fünfzehn Jahre Ehe mit Albert (Rufus Sewell) hinter sich, der ihre selbstzerstörerischen Neigungen nie wahrgenommen oder geschickt ignoriert hat.
Im Internet knöpft sie Kontakt zu Louis (Jason Patric), einem dominanten Typen, der sich „Schmerzensmann“ nennt. Als sich Louis und Nancy treffen, scheint Nancys Plan unumgänglich, doch Louis kommen bald Zweifel an seiner Abmachung, während der verlassene Albert nur langsam begreift, weshalb Nancy ihn verließ…

Selbstdestruktion ist ein schwieriges Thema, welches an sich eine Menge Hintergrundinformationen benötigt, um vom Betrachter vollends verstanden zu werden.
Demgegenüber erfährt man über Nancy zunächst nicht allzu viel, da die Erzählung komplett verschachtelt erzählt wird und man stets zwischen drei Erzählebenen wechselt.
Da gibt es Ehe-Situationen, die verdeutlichen, wie uneins die beiden seit jeher miteinander waren und wie Albert in seiner oft ignoranten Art, den inneren Schmerz Nancys noch verstärkte. Dann wird zwischenzeitlich von den Momenten zwischen Nancy und Louis berichtet und es folgt eine Zeit nach dieser Begegnung.
So erfährt man schrittweise mehr über die komplexe Figur Nancys, doch leider nicht den Ursprung ihrer Krankheit, außer einem zur Sprache gebrachten Missbrauch durch den Onkel.
Um die Konsequenz ihres Handelns bis zum Ende nachvollziehen zu können, hätte es jedoch ein paar emotionale Eckpunkte mehr bedurft.

Denn so ist das Problem, dass alles ein wenig pathetisch und in sterilen Bahnen abläuft.
Die Situation ist trostlos und ohne Lichtblick und selbst die Psychotherapeutin wird eher bloß gestellt, als dass diese ansatzweise helfen könnte.
Nancy ist entschlossen, ihr Leben erscheint komplett sinnentleert und selbst kleine Hoffnungsschimmer lassen sie immer und immer wieder Schmerzen spüren wollen, was sich nicht nur durch Ritzen oder Gewalt beim Sex äußert.
Im Grunde erleben wir Nancy in keinem Moment außerhalb dieses Krankheitsbildes, was ihre Entscheidung zwar glaubwürdiger macht, im Gesamtbild jedoch Lücken hinterlässt.

So erfahren wir mehr eine Zustandsbeschreibung, was durch die unterkühlten Bilder und die fast schwebenden Sounduntermalungen adäquat unterstützt wird.
Auch die einzelnen Episoden aus Ehe und Besuch bei Psychotherapeutin sind oft nicht chronologisch und mehr eine Bestandsaufnahme, als dass sie der Dramaturgie dienlich wären, auch wenn die verschachtelte Erzählweise durchaus die spannende Frage aufwirft, was am Ende mit den beiden Männern geschieht, die sich letztendlich sogar begegnen werden.
Vielleicht erfolgt von einer der drei Figuren noch so etwas wie eine Selbsterkenntnis, doch innerhalb des trostlosen Gefüges kommt auch hierdurch kein Funken Hoffnung auf.

Auf darstellerischer Ebene machen die zwei männlichen Hauptakteure ihre Sache ordentlich, Mario Bello als Nancy beweist hingegen nicht nur Mut zur Hässlichkeit, sie spielt ihre Schauspielkollegen in nahezu jeder Szene an die Wand, so aufopferungsvoll ist sie stets präsent und gibt sich mit vollem Einsatz ihrer Rolle hin, die wahrlich einiges abverlangt.
Nicht zuletzt aufgrund ihrer Leistung ist man phasenweise schockiert, oder wird zumindest nachdenklich gestimmt.

„Downloading Nancy“ ist ein anstrengender Streifen, einer der sein Tempo der manchmal vorherrschenden Leere seiner Figuren anpasst, um dann in anderen Momenten mit Symbolen behaftete Spitzen zu bringen, die durchaus hängen bleiben.
Leider bleibt als Message rein gar nichts hängen, man nimmt keine Erkenntnisse mit, was insofern schade ist, als dass auf darstellerischer als auch auf audio-visueller Ebene alles richtig gemacht wurde und man zumindest bis zum Ende gespannt bei der Sache bleibt.
6,5 von 10

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